BGH,
Beschl. v. 10.1.2000 - 5 StR 640/99
5 StR 640/99
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 10. Januar 2000
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2000
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Neuruppin vom 23. August 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO im
gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen und versuchten
schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die
Revision des Angeklagten ist zum Schuldspruch unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, sie führt jedoch mit der
Sachrüge zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Das
Landgericht hat die Voraussetzungen des § 21 StGB mit
rechtsfehlerhafter Begründung verneint.
Der schwer herzkranke Angeklagte fühlte sich nach dem Tod
seiner Frau verstärkt zu Kindern hingezogen. Wegen einer im
Alter von über 60 Jahren verübten - von ihm in Abrede
gestellten - Serie sexuellen Mißbrauchs von insgesamt elf
Jungen, an deren Geschlechtsteil er jeweils manipuliert hatte, war der
bis dahin unbestrafte Angeklagte 1995 erstmals durch Strafbefehl zu
einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Die Begehung jener
Taten hat der Angeklagte indes nicht anders als die danach begangenen,
jetzt abgeurteilten gleichartigen Taten bestritten.
Das Landgericht beruft sich für die Ablehnung der
Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB auf den
psychiatrischen Sachverständigen. Dieser hat
ausgeführt, zwar bestünden beim Angeklagten
"Konstellationen, die beim Vorliegen einer Pädophilie immer
wieder angetroffen würden", das Vorliegen einer
Pädophilie "lasse sich jedoch anamnestisch nicht fassen, zumal
der Angeklagte diesbezügliche Neigungen strikt in Abrede
stelle" (UA S. 18).
Dies läßt befürchten, daß der
Tatrichter, der "Hinweise" für eine
Persönlichkeitsstörung des Angeklagten (UA S. 5)
sowie "Anhaltspunkte" für eine schwere andere seelische
Abartigkeit (UA S. 20) verneint hat, es unterlassen hat, dem
Sachverständigen aufzugeben, bei seiner Begutachtung in
Rechnung zu stellen, daß der Angeklagte pädophile
Neigungen lediglich in Konsequenz zu seiner bestreitenden Einlassung
geleugnet haben könnte (vgl. BGHR StPO § 78 - Leitung
1). Es liegt nicht ganz fern, daß die psychiatrische
Begutachtung unter diesen Voraussetzungen doch zur Diagnose einer
sexuellen Devianz des Angeklagten in Form der Pädophilie
gelangt wäre. Diese kann die Voraussetzungen einer schweren
seelischen Abartigkeit erfüllen (BGHR StGB § 21 -
Seelische Abartigkeit 33).
Es läßt sich folglich nicht ausschließen,
daß beim Angeklagten danach - zumal auch im Blick auf sein
Alter und seine persönliche Entwicklung - die Voraussetzungen
erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit
gemäß § 21 StGB anzunehmen gewesen
wären. Dies entzieht dem gesamten Rechtsfolgenausspruch die
Grundlage. Darüber hinaus gehende Anhaltspunkte für
eine mögliche Schuldunfähigkeit des Angeklagten sieht
der Senat hingegen nicht.
Harms Basdorf Tepperwien
Gerhardt Raum |