BGH,
Beschl. v. 11.12.2007 - 3 StR 489/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 489/07
vom
11.12.2007
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 11. Dezember 2007 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 22. Mai 2007 aufgehoben; jedoch bleiben die
Feststellungen aufrechterhalten mit Ausnahme derjenigen, die die
Vorstellungen des Angeklagten über die Folgen des Sturzes und
die Rettungschancen für das Opfer betreffen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit
seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die
Verletzung materiellen Rechts. Er beanstandet, die Verurteilung wegen
versuchten Totschlags sei zu Unrecht erfolgt, weil er von diesem
Versuch strafbefreiend zurückgetreten sei.
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I. Nach den Feststellungen des Landgerichts packte der Angeklagte nach
einem Streit mit direktem Tötungsvorsatz seine sechzehn Jahre
alte Tochter auf dem Balkon einer im vierten Stock eines
Mehrfamilienhauses gelegenen Wohnung am Nacken und an den Beinen, hob
sie über die Brüstung und ließ sie fallen.
Das Opfer stürzte 8,81 Meter in die Tiefe und fiel auf das
Dach einer Garage, wo es benommen und regungslos liegen blieb. Der
Angeklagte nahm an, dass seine Tochter zumindest lebensbedrohlich
verletzt sei und lief nach unten. Als er im Wohnzimmer an seiner
Ehefrau vorbeilief, rief er ihr zu, sie solle einen Krankenwagen holen,
da die Tochter sich vom Balkon gestürzt habe. Die
Rettungsdienste wurden jedoch von anderen Zeugen herbeigerufen, die das
Geschehen beobachtet hatten. Das Opfer hatte zahlreiche Verletzungen;
diese waren aber nicht lebensgefährlich.
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II. Das Urteil hält rechtlicher Prüfung nicht stand,
soweit das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt
(§ 24 Abs. 1 StGB) des Angeklagten vom Versuch des Totschlags
verneint hat.
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1. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt: Der Versuch des
Totschlags sei nach dem Hinunterstürzen der Tochter beendet
gewesen. Der Angeklagte habe nicht die gemäß
§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB erforderlichen eigenen freiwilligen
und ernsthaften Bemühungen zur Unterbrechung des in Gang
gesetzten Kausalverlaufs unternommen. Da er selbst über keine
ärztlichen Kenntnisse verfügt habe, sei als
ernsthafte Rettungshandlung nur die Benachrichtigung eines
Krankenwagens in Betracht gekommen. Diese habe er nicht selbst
veranlasst, sondern lediglich in Richtung seiner Ehefrau gerufen, sie
solle einen solchen holen. Danach sei er ohne Weiteres
hinuntergelaufen, ohne sich zu vergewissern, ob seine Ehefrau ihn
verstanden habe und emotional zu einem sol-
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chen Anruf in der Lage gewesen sei. Damit habe er die Rettung seiner
Tochter dem Zufall überlassen.
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2. Mit diesen Erwägungen hat das Landgericht im Ausgangspunkt
zu Recht angenommen, dass der Angeklagte hier Straffreiheit wegen des
Versuchs nur gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB
erlangen konnte. Es liegt ein beendeter Versuch vor, da der Angeklagte,
nachdem er seine Tochter von dem Bal-kon gestürzt hatte, die
tatsächlichen Umstände, die den Erfolgseintritt nahe
legen, erkannte und den Tod seiner Tochter für
möglich hielt (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 24 Rdn.
15). Der Erfolg trat ohne Zutun des Angeklagten nicht ein, weil das
Tatopfer bei dem Sturz keine ausreichend schweren Verletzungen erlitten
hatte. Die Strafkammer hat indes die objektiven Voraussetzungen des
§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB rechtsfehlerhaft verneint.
a) Danach bleibt der Täter straffrei, wenn die Tat ohne sein
Zutun nicht vollendet wird, und er sich freiwillig und ernsthaft
bemüht, die Vollendung zu verhindern. Dabei reicht nicht ein
irgendwie geartetes Bemühen aus; vielmehr ist ein solches
erforderlich, das sich in der Vorstellung des Täters als ein
bewusstes und gewolltes Abbrechen des in Bewegung gesetzten
Kausalverlaufs darstellt. Der Täter muss alles tun, was in
seinen Kräften steht und was nach seiner Überzeugung
zur Erfolgsabwendung erforderlich ist; er muss die aus seiner Sicht
ausreichenden Verhinderungsmöglichkeiten ausschöpfen
(vgl. BGHSt 33, 295, 302; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 2
Bemühen 1; BGH NStZ 1997, 276). Der Täter muss dabei
nicht unbedingt selbst die notwendigen Hilfsmaßnahmen
ergreifen; er kann sich vielmehr der Hilfe Dritter bedienen (vgl. BGHR
StGB § 24 Abs. 1 Satz 2 Bemühen 3; BGH StV 1997,
244). Jedenfalls wenn - wie hier - ein Menschenleben auf dem Spiel
steht, sind jedoch insoweit hohe Anforderungen zu stellen. Der
Zurücktretende muss sich um die bestmög-
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liche Maßnahme für die Erfolgsabwendung
bemühen und sich grundsätzlich zumindest
vergewissern, ob die Hilfspersonen das Notwendige und Erforderliche
veranlassen (vgl. BGHSt 33, 295, 302; BGHR StGB § 24 Abs. 1
Satz 2 Bemühen 5).
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b) Gemessen an diesen Anforderungen reichen entgegen der Auffassung des
Landgerichts die Handlungen des Angeklagten unter den konkreten
Umständen für einen strafbefreienden
Rücktritt vom Versuch gemäß § 24
Abs. 1 Satz 2 StGB aus. Das Herbeirufen eines Krankenwagens war die am
ehesten zur Rettung der Tochter geeignete Maßnahme. Insofern
schadet es nicht, dass der Angeklagte diese Handlung nicht selbst
vornahm, sondern seine Ehefrau dazu aufforderte. Es ist nicht
ersichtlich, wieso der Angeklagte befürchten musste, seine
Ehefrau werde dieser Aufforderungen nicht nachkommen bzw. sei hierzu
nicht in der Lage; denn Tatsachen, die etwa dafür sprechen
könnten, dass die Ehefrau des Angeklagten - für
diesen erkennbar - seinen Zuruf nicht wahrnahm oder ihm nicht Folge
leisten konnte oder wollte, sind nicht festgestellt. Deshalb war der
Angeklagte nicht gehalten, bei seiner Ehefrau zu verweilen, um sich zu
vergewissern, ob sie seiner Aufforderung nachkam. Hiervon durfte er
vielmehr nach den Umständen ausgehen. Der Umstand, dass der
Angeklagte für den Sturz seiner Tochter von dem Balkon
gegenüber seiner Ehefrau eine unzutreffende Erklärung
abgab, ist in diesem Zusammenhang ohne rechtlichen Belang.
III. Schuld- und Strafausspruch waren danach aufzuheben. Die
Feststellungen zur Tat sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht
betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Der Senat hebt
jedoch die Feststellungen bezüglich der Vorstellungen des
Angeklagten über die Folgen des Sturzes und die
Rettungschancen für das Opfer auf, da diese eng mit der Frage
verbunden
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sind, ob der Angeklagte mit dem Willen zur Rettung seiner Tochter
handelte. Der neue Tatrichter erhält so die Gelegenheit, zu
den Vorstellungen und dem Willen des Angeklagten nach dem eigentlichen
Tatgeschehen insgesamt neue Feststellungen zu treffen, die freilich zu
den übrigen nicht in Widerspruch stehen dürfen.
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IV. Der neue Tatrichter wird auch in den Blick zu nehmen haben, dass
der Täter gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2
StGB nur dann Straffreiheit erlangt, wenn er sich freiwillig und
ernsthaft, das heißt nicht nur zum Schein, um die Rettung des
Opfers bemüht (vgl. Fischer, aaO § 24 Rdn. 36).
Deshalb genügt eine Handlung nicht, die zwar vom
Täter veranlasst, aber nicht von seinem Rettungswillen
getragen ist (vgl. BGHSt 31, 46, 49 f.; BGH NJW 1990, 3219; NStZ 1999,
300, 301). Demnach kommt ein Rücktritt vom versuchten
Totschlag hier nur in Betracht, wenn der Angeklagte bewusst und gewollt
eine auf die Erfolgsverhinderung gerichtete Tätigkeit
entfaltet und so mit dem Willen zur Rettung seiner Tochter die in Gang
gesetzte Ursachenkette abgebrochen hat. Dies versteht sich in
Anbetracht der Tatumstände nicht von selbst, da der Angeklagte
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nach dem Sturz seiner Tochter aus immerhin fast neun Metern
Höhe möglicherweise weitere Hilfe ohnehin
für vergeblich hielt und seine Rettungsbemühungen nur
zum Schein entfaltete. In diesem Fall läge kein wirksamer
Rücktritt von dem versuchten Tötungsdelikt vor.
RiBGH Pfister ist urlaubs- RiBGH von Lienen
bedingt an der Unter- ist wegen Krankheit
zeichnung gehindert. an der Unterzeichnung
gehindert.
Tolksdorf Tolksdorf Tolksdorf
Hubert Schäfer |