BGH,
Beschl. v. 12.11.2002 - 3 StR 244/02
3 StR 244/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
12. November 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 12.
November 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 18. Dezember 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags zu
Freiheitsstrafen von zehn Jahren (Angeklagter S. ) und neun Jahren
(Angeklagter E. ) verurteilt. Außerdem hat es die
Unterbringung des Angeklagten E.
in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, daß vor
Beginn der Maßregel fünf Jahre Freiheitsstrafe zu
vollziehen sind. Mit ihren Revisionen rügen beide Angeklagte
die Verletzung materiellen Rechts, der Angeklagte S. beanstandet
darüber hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel führen
mit den Sachbeschwerden zur Aufhebung des Urteils, weil der
Tötungsvorsatz unzureichend festgestellt ist. Einer
Erörterung der Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
1. Nach den Feststellungen verfolgten die Angeklagten ihren Bekannten
G. , der vor ihnen flüchtete. Nachdem sie ihn eingeholt
hatten, versetzte ihm der Angeklagte S. einen Schlag oder
Stoß, so daß G. zu Boden fiel und regungslos liegen
blieb. Sodann traten beide Angeklagte mehrmals mit so großer
Wucht auf den Kopf des G. ein, daß dieser an einer zentralen
Lähmung infolge einer schweren
Schädel-Hirn-Verletzung verstarb.
Die Strafkammer hat dieses Verhalten als gemeinschaftlich begangenen
Totschlag bewertet. Den bedingten Tötungsvorsatz hat sie aus
den wuchtigen Tritten gegen den Kopf und dem Wissen der Angeklagten
gefolgert, daß solche Gewalthandlungen schwerste
Kopfverletzungen mit tödlichem Ausgang verursachen
können (UA S. 19).
2. Gegen die Begründung, mit der das Landgericht den bedingten
Tötungsvorsatz bejaht hat, bestehen durchgreifende rechtliche
Bedenken.
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß bei
äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der
Schluß nahe liegt, der Täter habe mit der
Möglichkeit des Todeseintritts gerechnet und einen solchen
Erfolg billigend in Kauf genommen. Angesichts der hohen Hemmschwelle
gegenüber einer Tötung ist dieser Schluß
jedoch nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach
Sachlage in Betracht kommenden objektiven und subjektiven
Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die
geeignet sind, dieses Ergebnis in Frage zu stellen (vgl. BGHR StGB
§ 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41 und 51m. w. N.).
Eine solche Gesamtschau aller Umstände hat das Landgericht
nicht erkennbar vorgenommen. So hat es das Fehlen eines einsichtigen
Beweggrundes für eine Tötung nicht erörtert.
Nach den Feststellungen war der Angeklagte E. noch am Vormittag des
Tattages von G. in seiner Wohnung aufgesucht worden, ohne daß
es zwischen ihnen zu "Mißhelligkeiten" gekommen wäre
(UA S. 6). Der Angeklagte S. wollte gegen G. lediglich aus
Verärgerung über dessen angebliche Drohungen vorgehen
(UA S. 7). Außerdem hat die Strafkammer bei der
Beweiswürdigung mehrere Äußerungen der
Angeklagten, die gegen einen bedingten Tötungsvorsatz sprechen
könnten, nicht erkennbar berücksichtigt. Wie die
Strafkammer festgestellt hat, warnte der Angeklagte E. unmittelbar nach
der Tat seine mit G. verlobte Schwester davor, sich "noch mal mit ihm
auf der Straße sehen zu lassen" (UA S. 7). Beide Angeklagten
berichteten dem ihnen gut bekannten Zeugen B. davon, daß sie
jemanden "zusammengeschlagen" hätten (UA S. 8). Vor allem
fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der alkoholbedingten
erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten E. , von der die Strafkammer zu seinen Gunsten wegen einer
möglichen Alkoholkonzentration zur Tatzeit von maximal 3,00 %
ausgegangen ist (UA S. 20 ff.). Bei dieser Sachlage versteht es sich
nicht von selbst, daß der eine
Persönlichkeitsstörung mit antisozialen Anteilen,
Selbstunsicherheit und depressiven Zügen aufweisende
Angeklagte E. trotz einer erheblichen Alkoholisierung erkannt hatte,
daß die Gewalthandlungen zum Tod führen
könnten, und er diese Folgen auch billigend in Kauf genommen
hatte (vgl. BGHR StGB § 21 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 26;
Schroth NStZ 1990, 324, 325 m. w. N.).
3. Der dargestellte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des
Urteils mit den Feststellungen. Damit entfällt auch die
Grundlage für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten
E. in einer Entziehungsanstalt und die Bestimmung, daß
fünf Jahre Freiheitsstrafe vor Beginn der Maßregel
zu vollziehen sind.
4. für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes
hin:
Für die Anordnung der Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt ist es nicht entscheidend, ob die Entziehungskur von
vornherein aussichtslos erscheint; vielmehr setzt die
Maßregel eine hinreichend konkrete Aussicht eines
Behandlungserfolges voraus (BVerfGE 91, 1). Das Abweichen von der
gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge
gemäß § 67 Abs. 2 StGB verlangt eine auf
den Einzelfall bezogene Begründung (Tröndle/Fischer,
StGB 50. Aufl. § 67 Rdn. 6 m. w. N.).
Sollte die Zeugin M. in der neuen Hauptverhandlung wiederum von dem
Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1
Nr. 3 StPO Gebrauch machen, wird - im Hinblick auf die Entscheidung
BGHSt 45, 203 ff. und die gerichtliche Aufklärungspflicht - zu
prüfen sein, ob sie gefragt werden muß, ob sie einer
Verwertung ihrer im Ermittlungsverfahren gemachten Angaben zustimmt.
Tolksdorf Miebach Winkler von Lienen Becker |