BGH,
Beschl. v. 12.11.2008 - 2 StR 355/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 355/08
vom
12. November 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. November
2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Köln vom 2. April 2008 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von
Kindern in 505 Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs
von Kindern in 26 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
elf Jahren verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet; vom
Vorwurf weiterer Taten hat es den Angeklagten freigesprochen.
Während die Überprüfung des Schuldspruchs
aufgrund der auf die Sachrüge gestützten
Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben hat, hält der Rechtsfolgenausspruch der
rechtlichen Prüfung nicht stand.
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1. Das Landgericht hat für die 505 Fälle des
sexuellen Missbrauchs von Kindern, die der Angeklagte an fünf
verschiedenen Kindern in verschieden langen Zeiträumen
zwischen 1996 und Ende 2006 beging, 117 Einzelfreiheitsstrafen von
einem Jahr und sechs Monaten, 30 Einzelstrafen von drei Jahren und 358
Einzelstrafen von jeweils drei Jahren sechs Monaten verhängt.
In den Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs zu Lasten von
zwei der genannten und eines weiteren Kindes hat das Landgericht 25
Einzelfreiheitsstrafen von jeweils vier Jahren und eine
Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten festgesetzt. Das
Vorliegen minder schwerer Fälle hat es in allen
Fällen verneint.
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Zutreffend rügt die Revision, dass die Strafzumessung in den
einzelnen vom Landgericht gebildeten Gruppen zu pauschal vorgenommen
wurde und eine im Hinblick auf die Schuldschwere gebotene
Differenzierung nicht erkennen lässt. So ist hinsichtlich der
einzelnen Tatserien in den Urteilsgründen zwar pauschal
erwähnt, aber nicht erkennbar berücksichtigt, dass im
Hinblick auf die Gewöhnung und die jedenfalls teilweise
ausdrückliche Zustimmung der missbrauchten Jungen die
Hemmschwelle des Angeklagten gesunken ist. Auch das zunehmende Alter
der Betroffenen - bei drei der sechs Geschädigten sind Taten
bis zu deren 14. Geburtstag erfasst, bei den übrigen bis zum
13. Lebensjahr -, der Umstand, dass bei einigen von ihnen ein
freundschaftliches Verhältnis zum Angeklagten bestand, das
auch nach dem Ende der Tatserien fortgesetzt wurde, sowie insbesondere
auch der unterschiedliche Schuldgehalt der Tatausführungen
sind in den Strafzumessungsgründen des angefochtenen Urteils
nicht hinreichend deutlich berücksichtigt. Eine
differenzierte, im Einzelnen nachvollziehbare Begründung
wäre aber schon deshalb erforderlich gewesen, weil die vom
Landgericht festgesetzten Einzelstrafen ungewöhnlich hoch
sind. So kam es etwa in den unter Ziffer II. 1 der
Urteilsgründe aufgeführten 30 Taten zu Lasten des
Geschädigten J. stets zum - einverständlichen -
gegenseiti-
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gen Masturbieren, jedoch nur in einer nicht festgestellten Anzahl von
Fällen auch zum Schenkelverkehr. Das Landgericht hat die
Annahme minder schwerer Fälle aber (auch) hier mit der
Begründung abgelehnt, es habe sich "um massive Taten innerhalb
der Bandbreite möglicher Tathandlungen" gehandelt;
überdies habe der Angeklagte "verschiedene Sexualpraktiken
gleichzeitig" angewendet (UA S. 40). Auch die gleichförmige
Verhängung von 30 Einzelfreiheitsstrafen von jeweils drei
Jahren in den genannten Fällen, die mit denselben
Erwägungen begründet ist, erweist sich als nicht
rechtsfehlerfrei. Im Übrigen ist auch zweifelhaft, ob eine
Freiheitsstrafe von drei Jahren für das
einverständliche gegenseitige Masturbieren mit einem
13-jährigen Jungen, bei dem auch später keine
nachteiligen psychischen Folgen der Geschehnisse festgestellt wurden,
noch innerhalb des vertretbaren Spielraums schuldangemessener Strafen
liegt.
Der Rechtsfehler der Zumessung nur pauschal begründeter,
durchweg hoher Einzelstrafen trotz teilweise lang dauernder Tatserien,
unterschiedlicher Tatgestaltung und abnehmender Schuldschwere betrifft
den überwiegenden Teil der verhängten Einzelstrafen.
Insoweit wird der neue Tatrichter auch jeweils eine unter
Umständen differenzierte Prüfung des Vorliegens
minder schwerer Fälle unter Heranziehung aller
hierfür wesentlichen Gesichtspunkte vorzunehmen haben.
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Soweit Einzelstrafen isoliert betrachtet rechtsfehlerfrei
begründet sind, kann der Senat nicht ausschließen,
dass auch ihre Zumessung von den genannten Rechtsfehlern beeinflusst
ist.
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Der neue Tatrichter wird auch zu beachten haben, dass die Festsetzung
einer Gesamtfreiheitsstrafe im oberen Bereich des Strafrahmens, durch
welche die Einsatzstrafe auf mehr als das Doppelte erhöht
wird, nicht mit ausschließlich
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zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkten
begründet werden kann.
2. Auch die Maßregelanordnung hat keinen Bestand. In der
Begründung des Landgerichts bleibt schon unklar, ob die
Anordnung auf § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 3 Satz 2
StGB gestützt werden sollte; die Urteilsgründe nennen
- offenbar irrtümlich - an unterschiedlichen Stellen
verschiedene Rechtsgrundlagen.
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Nicht bedenkenfrei ist das für die Begründung der
Gefährlichkeit des Angeklagten angeführte Argument,
"vordergründig" günstige Umstände wie
Vorstrafenlosigkeit, gute soziale Einbindung und Bestehen eines
günstigen sozialen Empfangsraums seien hier in Wahrheit
Indizien für besonders hohe Gefährlichkeit, da sie
den Angeklagten auch in der Vergangenheit nicht von der Begehung der
(abgeurteilten) Taten abgehalten hätten. Ein prognostisch
günstiges Kriterium verliert sein Gewicht nicht schon dadurch,
dass es in der Vergangenheit - unter anderen Bedingungen - Straftaten
nicht verhindert hat. Die Erwägung, hinter dem Fehlen von
Vorstrafen verberge sich die hohe Gefährlichkeit des
Angeklagten (UA S. 48 f.), ist rechtlich bedenklich, denn andere als
die abgeurteilten Taten sind nicht festgestellt.
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Unklar sind im Übrigen auch die Erwägungen des
Landgerichts zur Einbeziehung der Wirkungen des Strafvollzugs in die
Gefährlichkeitsprognose (UA S. 51). Zutreffend ist zwar, dass
es für die Prognose i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf
den Zeitpunkt der Urteilsfällung ankommt. Die
anschließende Erwägung, (nur) in Fällen des
§ 66 Abs. 3 StGB habe der Gesetzgeber bewusst auf das
Prognosekriterium der Gefährlichkeit zum Zeitpunkt des
Strafendes verzichten wollen, ist jedoch nicht nachvollziehbar; sie
zeigt, dass das Landgericht, das unmittelbar danach wieder die
Erfüllung der Voraussetzungen des § 66
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Abs. 2 betont, insgesamt die Anwendungsvoraussetzungen des §
66 StGB nicht mit der erforderlichen Klarheit geprüft hat.
Der Rechtsfolgenausspruch war daher insgesamt aufzuheben.
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Rissing-van Saan Fischer Roggenbuck
Cierniak Schmitt |