BGH,
Beschl. v. 13.1.2009 - AK 20/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AK 20/08
vom
13. Januar 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
AWG § 34 Abs. 2 Nr. 3; Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c; GVG §
120 Abs. 2 Nr. 4
1. Zur Eignung einer Straftat nach dem
Außenwirtschaftsgesetz, die auswärtigen Beziehungen
der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden.
2. Holen die Strafverfolgungsorgane zu dieser Frage eine Stellungnahme
des Auswärtigen Amtes ein, so ist dieses allein gehalten, die
aufgrund seiner besonderen Sachkunde dort bekannten, für die
Beurteilung des konkreten Falles relevanten Tatsachen mitzuteilen; die
Erstattung eines Rechtsgutachtens obliegt ihm nicht.
3. Zur Strafverfolgungskompetenz des Bundes und damit des
Generalbundesanwalts und der Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte
bei Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz.
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BGH, Beschl. vom 13. Januar 2009 - AK 20/08 - Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Verbrechens gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 3,
Abs. 6 Nr. 2 AWG u. a.
- 3 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts sowie des Angeschuldigten und seines Verteidigers
am 13. Januar 2009 gemäß §§ 121,
122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwaige erforderliche weitere Haftprüfung durch den
Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem
Oberlandesgericht Koblenz übertragen.
Gründe:
I.
Der Angeschuldigte ist am 20. Juni 2008 festgenommen worden und
befindet sich seitdem in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund
des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom
selben Tage (1 BGs 115/2008). Mit Beschluss vom 11. Juli 2008 hat der
Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl
aufrechterhalten und seinen weiteren Vollzug angeordnet. Die hiergegen
gerichtete Beschwerde des Angeschuldigten hat der Senat durch Beschluss
vom 8. September 2008 (StB 19/08) verworfen. Mit Beschluss vom 21.
November 2008 (1 BGs 212/2008) hat der Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs den Haftbefehl neu gefasst. Am 12. Januar 2009 hat
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der Generalbundesanwalt gegen den Angeschuldigten Anklage zum
Oberlandesgericht Koblenz erhoben.
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft
über sechs Monate hinaus liegen vor.
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1. Der Angeschuldigte ist dringend verdächtig, mehrfach in
strafbarer Weise gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG)
verstoßen zu haben:
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Der Angeschuldigte ist langjähriger
Geschäftsführer der C. GmbH (im Folgenden: C. GmbH)
mit Sitz in B. ; bis Ende 2006 war er gleichzeitig Alleingesellschafter
dieses Unternehmens. Seit Mai 2001 ist er außerdem an dem
türkischen Unternehmen IN. Ltd. beteiligt; dessen
Geschäftsführer und Mitgesellschafter ist der
gesondert Verfolgte I. . Spätestens Anfang 2006 kamen der
Angeschuldigte, I. und der gesondert Verfolgte H. überein,
zukünftig regelmäßig hochwertiges Graphit
verschiedener Güteklassen ohne die erforderliche Genehmigung
über die Türkei an die iranische S. (im Folgenden: S.
) zu liefern. Derartiges Graphit fällt unter den Anhang I der
Verordnung (EG) Nr. 1334/2000 (Dual-Use-Verordnung); seine Ausfuhr ist
deshalb genehmigungspflichtig. Das Material ist auch von dem am 4.
März 2008 im Bundesanzeiger veröffentlichten Anhang I
der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 (Iran-Embargo-Verordnung) erfasst;
eine Lieferung in den Iran ist seitdem verboten. Es findet bei der
Herstellung von Mittel- und Langstreckenraketen Verwendung. Die S. ist
am Programm des Iran für ballistische Raketen beteiligt; H.
vertrat sie als
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zentraler Einkäufer. Die S. und H. sind in dem am 8. Mai 2007
im Bundesanzeiger veröffentlichten Anhang IV der
Iran-Embargo-Verordnung aufgeführt; deshalb ist seit diesem
Zeitpunkt die Lieferung jeglicher Waren an sie nicht erlaubt. Der
Angeschuldigte beabsichtigte, sich durch die folgenden Taten eine
dauerhafte, nicht unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen:
a) Zwischen März 2006 und Januar 2007 lieferte der
Angeschuldigte in Ausführung der mit I. und H. getroffenen
Vereinbarung in sechs Fällen Graphit der beschriebenen Art aus
Deutschland über die Türkei in den Iran. Zur Umgehung
der Ausfuhrkontrollen wurde das Material in den Unterlagen als
geringwertiges Graphit bezeichnet, das nicht unter die
Dual-Use-Verordnung gefallen wäre und somit genehmigungsfrei
hätte ausgeführt werden können. Bei mehreren
Lieferungen wurde das hochwertige Graphit in den
Transportbehältnissen mit minderwertigem Material bedeckt. Die
Gesamtmenge des in den Iran gelieferten hochwertigen Graphits betrug
13.173 kg. Ein Kaufpreis für das angeblich geringwertige
Material wurde auf Firmenkonten der C. GmbH gutgeschrieben; ein
darüber hinausgehender Betrag wurde
vereinbarungsgemäß auf Konten des Angeschuldigten
auf den Seychellen transferiert.
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b) Im Februar/März 2007 vereinbarten der Angeschuldigte und I.
, weitere insgesamt zehn Tonnen hochwertiges Graphit an die S. in den
Iran zu liefern. Zur Umgehung der deutschen Exportkontrolle wandte sich
der Angeschuldigte an den Geschäftsführer der in
England ansässigen T. Ltd. (im Folgenden: T. Ltd.), den Zeugen
D. . Diesem spiegelte er vor, es handele sich um eine Lieferung in die
Türkei; er verheimlichte ihm, dass in Wahrheit Endabnehmer des
Graphits die S. im Iran sein sollte. In Absprache mit dem
Angeschuldigten bestellte I. bei der T. Ltd. 120 Graphitblöcke
zu einem Gesamtpreis von 124.800 €. Der Angeschuldigte
verpflichtete sich, bei Nichtbezahlung des Materials durch den
türkischen Abnehmer dieses
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selbst zu übernehmen. In der Folgezeit wurde die Lieferung von
Teilmengen vereinbart.
Im April/Mai 2007 wurde der erste Teil der Bestellung in die
Türkei versandt. Aufgrund der unzutreffenden Angaben des
Angeschuldigten beantragte die T. Ltd. keine Genehmigung für
eine Ausfuhr in den Iran. H. verpflichtete sich, neben dem offiziellen
Kaufpreis in Höhe von 36.680 € außerhalb
der Buchführung weitere 60.000 € an den
Angeschuldigten zu zahlen. Das Graphit verließ das EU-Gebiet
im Mai 2007; es wurde durch den türkischen Zoll in Istanbul
aufgehalten und im September 2007 zurückgesandt.
7
Danach entschieden der Angeschuldigte und I. , das für den
Iran bestimmte Graphit erneut von der T. Ltd. in die Türkei
versenden zu lassen. Der Angeschuldigte gab der T. Ltd. einen
angeblichen neuen Empfänger in der Türkei vor und
veranlasste, dass aus den Lieferpapieren die Angaben entfernt wurden,
die einen Rückschluss auf "gelistetes" Material
zuließen. Das Graphit verließ das EU-Gebiet kurz
nach dem 29. November 2007; es wurde jedoch vom türkischen
Zoll erneut angehalten und im Februar 2008 wieder nach England
zurückgeschickt.
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c) In der Folgezeit erwarb der Angeschuldigte für die C. GmbH
das Graphit von der T. Ltd. Er erörterte mit I. verschiedene
Möglichkeiten der Lieferung an die S. . Sie entschieden, das
Graphit über andere Drittstaaten in den Iran transportieren zu
lassen; dabei wurde konkret eine Lieferung über
Rumänien und Aserbeidschan angestrebt. Zu diesem Zweck nahm I.
Kontakt zu einem dem Angeschuldigten bekannten "A. " in
Rumänien auf. Sodann erörterten der Angeschuldigte
und I. die Zahlung einer Provision an "A. ". Die Aufbewahrung des
erworbenen Graphits erfolgte außerhalb des eigentlichen
Lagers der C. GmbH in einem Zelt. Das Material wurde weder verarbeitet
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noch an andere Kunden verkauft und der Anweisung des Angeschuldigten
entsprechend nicht in die übliche Lagerbuchhaltung
aufgenommen. Es wurde anlässlich einer Durchsuchung am 19./20.
Juli 2008 sichergestellt.
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich vor allem aus den mitgeteilten
Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes, den Gutachten der
Bundesanstalt für Materialforschung, den Ergebnissen der
Auswertung der sichergestellten EDV-Datenträger, den Aussagen
mehrerer Zeugen und dem Inhalt zahlreicher schriftlicher Unterlagen
sowie abgehörter Telefongespräche. Hinsichtlich der
Einzelheiten wird auf die zutreffenden Ausführungen in den
Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 20.
Juni und 21. November 2008, dessen Haftfortdauerentscheidung vom 11.
Juli 2008 sowie die in der Anklageschrift vom 7. Januar 2009
aufgeführten Beweismittel verwiesen. Der Senat hat zudem in
seinem Beschluss vom 8. September 2008 den dringenden Verdacht
bezüglich der beabsichtigten Lieferung weiterer zehn Tonnen
Graphit in den Iran ausführlich begründet. Die
dortigen Ausführungen gelten fort; der Senat nimmt auf sie
Bezug.
10
3. Danach hat sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wie
folgt strafbar gemacht:
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a) In sechs Fällen (s. o. II. 1. a) führte er jeweils
gewerbsmäßig entgegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung
(EG) Nr. 1334/2000 (Dual-Use-Verordnung) ohne die erforderliche
Genehmigung Güter mit doppeltem Verwendungszweck aus, die im
Anhang I dieser Verordnung aufgeführt sind; dadurch handelte
er einer unmittelbar geltenden Vorschrift in Rechtsakten der
Europäischen Gemeinschaften über die
Beschränkung des Außenwirtschaftsverkehrs zuwider.
Da die erste Lieferung am 31. März 2006 und damit vor der
Neufassung des Außenwirtschaftsgesetzes am 8. April 2006
durchgeführt wurde, richtet sich die Straf
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- 8 -
barkeit insoweit nach § 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2,
§ 33 Abs. 4 AWG aF; § 70 Abs. 5 a Nr. 1 AWV aF;
§ 25 Abs. 2 StGB. Für die weiteren fünf
Taten gelten § 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2, § 33
Abs. 4 AWG nF; § 70 Abs. 5 a Nr. 1 AWV; § 25 Abs. 2,
§ 53 StGB. Die Handlungen des Angeschuldigten waren geeignet,
die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland
erheblich zu gefährden. Hierzu gilt Folgendes:
aa) Das Merkmal der Eignung, die auswärtigen Beziehungen der
Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden, ist
sprachlich sehr weit gefasst. Die auswärtigen Beziehungen
umfassen diejenigen Sachverhalte, die für das
Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten
oder zwischenstaatlichen Einrichtungen, insbesondere für die
Gestaltung der Außenpolitik Bedeutung haben. Nach allgemeinem
Verständnis können hierzu im konkreten
Regelungszusammenhang auch Kontakte politischer, wirtschaftlicher und
kultureller Art gehören. Trotz der damit gegebenen
Konzentration auf die staatliche Ebene erstreckt sich das Merkmal auf
eine praktisch nicht überschaubare Vielfalt von Beziehungen.
Seine Verwendung ist deshalb verfassungsrechtlich mit Blick auf das
Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG in hohem Maße
problematisch (vgl. BVerfG NJW 2004, 2213, 2219).
13
Allerdings zwingt das Bestimmtheitsgebot den Gesetzgeber nicht dazu,
auf auslegungsfähige Begriffe vollständig zu
verzichten. Welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne
Straftatbestand haben muss, hängt von dessen Besonderheiten
und den Umständen ab, die zu einer gesetzlichen Regelung
führen (vgl. etwa BVerfGE 28, 175, 183; 75, 329, 341).
Vorliegend wird zum einen eine konkretere Fassung der Norm durch die
Komplexität der internationalen Beziehungen und die Vielfalt
der Konfliktmöglichkeiten erschwert. Zum anderen besteht ein
erhebliches öffentliches Interesse daran, die gemeinsamen
Interessen, welche die Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staa-
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- 9 -
ten verbinden, gerade auch auf dem Gebiet der Außenwirtschaft
- nötigenfalls durch Strafbestimmungen - zu wahren. Vor diesem
Hintergrund begegnet der Straftatbestand letztlich zwar noch keinen
durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken; indes begibt sich der
Gesetzgeber mit der Verwendung eines derartigen Tatbestandselements in
den Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen. Den
Anforderungen an eine ausreichende Bestimmtheit genügt somit
nur eine enge, konkretisierende Auslegung des Tatbestandsmerkmals durch
die Strafgerichte. Bereits von Verfassungs wegen ist somit eine
restriktive Interpretation dahin erforderlich, dass nicht jede denkbare
negative Reaktion irgendeines fremden Staates, sondern nur eine
mögliche schwerwiegende Beeinträchtigung der eigenen
Interessen der Bundesrepublik Deutschland eine erhebliche
Gefährdung der auswärtigen Beziehungen darstellen
kann (vgl. BVerfG NJW 1993, 1909, 1910; Diemer in Erbs/Kohlhaas,
Strafrechtliche Nebengesetze 166. ErgLfG. AWG § 34 Rdn. 18).
Führt demnach schon der verfassungsrechtliche Kontext der Norm
zur Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung, so wird
dieses Ergebnis durch Überlegungen auf der Ebene des einfachen
Gesetzes bestätigt (vgl. Wolffgang/Simonsen, Kommentar zum
Außenwirtschaftsrecht Stand Februar 2008, AWG § 34
Rdn. 48, 58 ff.):
15
§ 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG setzt nicht
voraus, dass die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik
Deutschland konkret gefährdet oder gar gestört
werden; bei der Norm handelt es sich vielmehr um ein abstraktkonkretes
Gefährdungsdelikt (vgl. BGH NJW 1999, 2129; Bieneck, Handbuch
des Außenwirtschaftsrechts 2. Aufl. § 29 Rdn. 2;
Hocke/Berwald/ Maurer/Friedrich, Außenwirtschaftsrecht Stand
Juni 2008 AWG § 34 Rdn. 26), so dass es genügt, wenn
die Handlungen des Täters bei genereller Betrachtung ihrer Art
nach typischerweise geeignet sind, eine solche Gefährdung mit
hinrei-
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chender Wahrscheinlichkeit herbeizuführen (vgl. Bieneck aaO
§ 29 Rdn. 17; Diemer aaO § 34 Rdn. 14). Jedoch kann
die abstrakte Gefährdung der auswärtigen Beziehungen
der Bundesrepublik, anders als diejenige eines Individualrechtsgutes,
nur mit Mühe an tatsächliche Sachverhalte
angeknüpft werden. Durch das weitere Erfordernis, dass die Tat
geeignet sein muss, die auswärtigen Beziehungen erheblich zu
gefährden, kommt ein wertendes Element hinzu, das eine
Abgrenzung zu Delikten mit minderer Gefährdungseignung
erforderlich macht, für die - jedenfalls im Grenzbereich -
kaum geeignete Beurteilungskriterien zur Verfügung stehen.
Dies macht die Auslegung und Anwendung dieses Tatbestands- bzw.
Qualifizierungsmerkmals, auf das sich auf der subjektiven Deliktsseite
der Vorsatz oder zumindest die Erkennbarkeit der
Gefährdungseignung (§ 34 Abs. 7 AWG) erstrecken muss,
schon für sich einfachrechtlich außerordentlich
schwierig.
Hinzu kommt, dass sich auch auf dieser Ebene die Notwendigkeit einer
restriktiven Interpretation des Merkmals ergibt. Dies folgt zum einen
schon aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm, wonach die Handlung des
Täters geeignet sein muss, die auswärtigen
Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nicht in irgendeiner Weise,
sondern erheblich zu gefährden (vgl. Bieneck aaO § 29
Rdn. 25; Wolffgang/Simonsen aaO § 34 Rdn. 60). Zum anderen ist
dieses Normverständnis aus der Gesetzessystematik herzuleiten:
Im Fall des § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG führt die
Erfüllung der Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals dazu,
dass die Handlung des Täters nicht lediglich als
Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 1, 4 oder 5 AWG zu bewerten,
sondern als Straftat mit einem Strafrahmen, der von Geldstrafe bis
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren reicht, zu verfolgen ist.
Diese erhebliche Verschärfung der angedrohten Sanktion ist nur
bei einer adäquaten Erhöhung des tatbestandlichen
Unrechts zu rechtfertigen; sie erfordert somit eine Auslegung, bei der
dem Tatbestandsmerkmal ein erhebliches, das Tatunrecht wesentlich
steigerndes Gewicht zu-
17
- 11 -
kommt. Daneben ist lediglich auf diese Weise zu gewährleisten,
dass der Straftatbestand des § 34 Abs. 2 AWG in sich stimmig
ausgelegt und angewendet werden kann; denn in den übrigen
Alternativen der Norm sind mit der äußeren
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (§ 34 Abs. 2 Nr. 1
AWG) und dem friedlichen Zusammenleben der Völker (§
34 Abs. 2 Nr. 2 AWG) Rechtsgüter von erheblichem Belang
aufgeführt. Dem Merkmal der erheblichen Gefährdung
der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland
(§ 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG) muss deshalb eine vergleichbar hohe
Bedeutung zukommen.
Diese Überlegungen gelten für den
Qualifikationstatbestand des § 34 Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG
entsprechend. Hier führt die Bejahung des Tatbestandsmerkmals
zu einer erheblichen Verschärfung des Strafrahmens; dieser
beträgt im Fall des § 34 Abs. 4 AWG sechs Monate bis
fünf Jahre Freiheitsstrafe, während
demgegenüber § 34 Abs. 6 AWG Freiheitsstrafe nicht
unter zwei Jahren vorsieht. In den weiteren Alternativen des §
34 Abs. 6 Nr. 4 Buchst. a und b AWG sind im Übrigen ebenfalls
die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
und das friedliche Zusammenleben der Völker als
Schutzgüter genannt.
18
Aus alldem folgt, dass eine erhebliche Gefährdung der
auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nur
dann anzunehmen ist, wenn anhand konkreter tatsächlicher
Umstände (vgl. Hocke/Berwald/Maurer/Friedrich aaO §
34 Rdn. 29) festzustellen ist, dass die Bundesrepublik Deutschland
durch die Tat in eine Lage gebracht werden kann, die es ihr
unmöglich macht oder ernsthaft erschwert, ihre Interessen an
gedeihlichen Beziehungen zu anderen Staaten zu wahren. Danach kann das
Tatbestandsmerkmal der Eignung zur erheblichen Gefährdung
beispielsweise erfüllt sein, wenn aufgrund der Tat ein Akt
starker diplomatischer Missbilligung, eine feindselige Kampagne der
führenden Medien eines wichtigen Landes der
Völkergemeinschaft oder eine Ver-
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- 12 -
urteilung der Bundesrepublik Deutschland in inter- bzw. supranationalen
Gremien ausgelöst werden kann (vgl. OLG Hamm ZfZ 1992, 291,
292; Holthausen/Hucko NStZ-RR 1998, 225, 231; Wolffgang/Simonsen aaO
§ 34 Rdn. 58; Diemer aaO § 34 Rdn. 18, 20; vgl. auch
die weiteren Beispiele bei Bieneck aaO § 29 Rdn. 25).
Demgegenüber reicht nicht jede mögliche negative
Reaktion eines fremden Staates, wie z. B. eine bloße
Demarche, für sich allein bereits aus (für eine
zurückhaltende Anwendung ebenso Hocke/Berwald/Maurer/
Friedrich aaO § 34 Rdn. 57).
bb) Ob die Handlung des Täters nach diesen
Maßstäben geeignet ist, eine erhebliche
Gefährdung der auswärtigen Beziehungen
herbeizuführen, ist aufgrund einer Gesamtschau der konkreten
Einzelfallumstände zu entscheiden. Ein wichtiges Indiz hierbei
ist, ob staatlichen deutschen Stellen ein Vorwurf daraus gemacht werden
kann, dass es zu dem Verstoß gegen die
außenwirtschaftsrechtlichen Bestimmungen kommen konnte
(zweifelnd Bieneck aaO § 29 Rdn. 26); denn in diesen
Fällen liegt es deutlich näher, dass die
Bundesrepublik Deutschland negativen Reaktionen anderer Staaten oder
internationaler Organisationen ausgesetzt ist, als bei
Fallgestaltungen, in denen den staatlichen Organen kein Fehlverhalten
anzulasten ist. Erst recht gilt dies, wenn diese durch ihr Eingreifen
eine verbotene oder ohne die erforderliche Genehmigung geplante
Lieferung eines Wirtschaftsgutes sogar verhindert haben. Daneben werden
regelmäßig die sonstigen Umstände wie etwa
Art und Menge der Ware, deren Verwendungsmöglichkeit und
-zweck, das konkrete Empfängerland ebenso in die
Gesamtbetrachtung einzustellen sein wie Umfang und Gewicht der
konkreten außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik
Deutschland, die durch die Tat gefährdet werden
können.
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cc) Der Generalbundesanwalt hat zur Klärung der insoweit
aufgeworfenen tatsächlichen Fragen eine Stellungnahme des
Auswärtigen Amtes einge-
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- 13 -
holt. Diese gibt zunächst Anlass zu folgendem klarstellenden
Bemerken: Das Auswärtige Amt legt - möglicherweise
veranlasst durch die entsprechende Fragestellung in dem Anschreiben des
Generalbundesanwalts vom 25. November 2008 - zu Beginn seiner
Ausführungen und an weiteren Stellen dar, nach seiner Meinung
seien auf der Grundlage der ihm mitgeteilten Tatsachen
sämtliche Handlungen des Angeschuldigten geeignet, die
auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland
erheblich zu gefährden. Auf diese Rechtsauffassung kommt es
indessen nicht an (vgl. Bieneck aaO § 29 Rdn. 17). Holen die
Strafverfolgungsorgane, was regelmäßig und vor allem
in Zweifelsfällen in besonderem Maße angezeigt
erscheint, eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zu der in
Rede stehenden Frage ein, so ist dieses gehalten, die aufgrund seiner
besonderen Sachkunde dort bekannten Tatsachen mitzuteilen, soweit sie
für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 34 Abs.
2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG im konkreten Fall relevant sind;
die Erstattung eines Rechtsgutachtens ist nicht veranlasst. Die
Funktion des Auswärtigen Amtes in dem Straf- bzw.
Ermittlungsverfahren unterscheidet sich insoweit nicht von derjenigen
sonstiger Sachverständiger oder Zeugen. Vielmehr obliegt es
allein den Strafverfolgungsorganen, auf der durch das
Auswärtige Amt vermittelten tatsächlichen Grundlage
zu prüfen und zu entscheiden, ob die Handlungen des
Täters geeignet waren, die auswärtigen Beziehungen
der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden.
dd) Soweit das Auswärtige Amt ausführt, wenngleich es
nicht zu offiziellen Demarchen gekommen sei, sei die gegebene
Konstellation typischerweise geeignet, Kritik von staatlicher
israelischer Seite auszulösen und trage außerdem zur
Verringerung der Akzeptanz der legalen Handelsbeziehungen zwischen
Deutschland und Iran bei, würde dies sowie der Umstand, dass
sich das zuständige US-amerikanische Generalkonsulat zur
Klärung weiterer Einzelheiten an den Generalbundesanwalt
gewandt hat, allein nicht ausreichen, um nach
22
- 14 -
den dargelegten Maßstäben die Voraussetzungen des
§ 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG zu
erfüllen. Den vom Auswärtigen Amt mitgeteilten
tatsächlichen Umständen ist bei einer Gesamtschau
indes noch ausreichend zu entnehmen, dass in den Fällen, in
denen das Graphit über die Türkei in den Iran
geliefert wurde, die Handlungen des Angeschuldigten zur erheblichen
Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der
Bundesrepublik Deutschland geeignet waren. In diesen Fällen
haben sich die deutschen Exportkontrollbehörden über
wesentliche Umstände täuschen lassen. Der
Angeschuldigte lieferte jeweils eine erhebliche Menge Graphit, das beim
Bau von Mittel- und Langstreckenraketen Verwendung finden kann. Jeder
Einzelfall war Teil einer sich über längere Zeit
hinziehenden Tatserie. Unter diesen Umständen waren die nicht
verhinderten Lieferungen solchen Materials an die S. , einem an dem
iranischen Raketenprogramm maßgeblich Beteiligten, in
besonderem Maße geeignet, Zweifel an der
Effektivität der deutschen Exportkontrolle aufzuwerfen. Hinzu
kommt, dass die Politik des Empfängerlandes Iran insbesondere
gegenüber Israel von einer aggressiven Grundhaltung
geprägt ist. Mit Blick auf die in der Stellungnahme
dargelegten besonderen außenpolitischen Interessen und
Aktivitäten der Bundesrepublik Deutschland zur Stabilisierung
der Region des Nahen und Mittleren Ostens waren die Handlungen des
Angeschuldigten somit bei genereller Betrachtung ihrer Art nach
typischerweise mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geeignet, Akte
starker diplomatischer Missbilligung oder Medienkampagnen gegen die
Bundesrepublik Deutschland in wichtigen Partnerländern
herbeizuführen.
b) Durch das Verbringen der Teillieferung des Graphits in die
Türkei im Mai und erneut Ende 2007 (s. o. II. 1. b) ist der
Angeschuldigte dringend verdächtig, in zwei Fällen
versucht zu haben, gewerbsmäßig entgegen Art. 7 Abs.
3 der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 im Anhang IV dieser Verordnung
aufgeführten natürlichen und juristischen Personen,
Organisationen und Ein-
23
- 15 -
richtungen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftliche Ressourcen zur
Verfügung zu stellen oder zugute kommen zu lassen, mithin
jeweils versucht zu haben, einem im Bundesanzeiger
veröffentlichten unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Verkaufs-,
Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs-,
Investitions-, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines
Rechtsakts der Europäischen Gemeinschaften zuwider zu handeln,
der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen
Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen
Sanktionsmaßnahme dient (§ 34 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 6
Nr. 2 AWG nF; §§ 22, 23, 25 Abs. 2, § 53
StGB). Demgegenüber kommen versuchte
Verstöße gegen Art. 2 Buchst. a i. V. m. Anhang I
der genannten Verordnung nicht in Betracht, weil die betreffende
Güterliste erst am 4. März 2008 und damit nach
Begehung der Taten im Bundesanzeiger veröffentlicht worden
ist. Die Publikation des Anhangs IV erfolgte indes bereits am 8. Mai
2007 und demnach vor den Taten.
Bei diesen Delikten ist kein dringender Verdacht dahin anzunehmen, dass
der Angeschuldigte versucht hat, den Qualifikationstatbestand des
§ 34 Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG zu verwirklichen, oder in
strafbarer Weise gegen die Dual-Use-Verordnung verstoßen hat
(§ 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG); denn sie waren nach den oben
dargelegten Maßstäben nicht geeignet, die
auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland
erheblich zu gefährden. Der Angeschuldigte veranlasste jeweils
von Deutschland aus lediglich eine Lieferung des Graphits aus England,
die nur bis in die Türkei gelangte. An dem Ausfuhrvorgang
waren deutsche Behörden nicht beteiligt. Nach dem erhobenen
Tatvorwurf wandte sich der Angeklagte vielmehr gerade deshalb an den
Geschäftsführer der T. Ltd., um die strengen
deutschen Exportkontrollbestimmungen zu umgehen. Seine Handlungen
konnten deshalb allenfalls geeignet sein, Zweifel an der
Effektivität der englischen Exportkontrolle hervorzurufen.
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- 16 -
c) Die Vereinbarung mit I. , das Graphit über Umwege doch noch
in den Iran zu liefern (s. o. II. 1. c), begründet den
dringenden Verdacht, dass der Angeschuldigte mit einem Anderen
verabredet hat, gewerbsmäßig entgegen Art. 2 Buchst.
a der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 im Anhang I dieser Verordnung
aufgeführte Güter mit oder ohne Ursprung in der
Gemeinschaft unmittelbar oder mittelbar an juristische Personen,
Organisationen oder Einrichtungen in Iran zu verkaufen, zu liefern,
weiterzugeben oder auszuführen und durch dieselbe Handlung mit
einem Anderen verabredet zu haben, gewerbsmäßig
entgegen Art. 7 Abs. 3 der genannten Verordnung den im Anhang IV dieser
Verordnung aufgeführten natürlichen oder juristischen
Personen, Organisationen und Einrichtungen unmittelbar oder mittelbar
wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen oder
zugute kommen zu lassen, mithin verabredet zu haben, einem im
Bundesanzeiger veröffentlichten unmittelbar geltenden
Ausfuhr-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-,
Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder
Umgehungsverbot eines Rechtsakts der Europäischen
Gemeinschaften zuwider zu handeln, der der Durchführung einer
vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen
Sanktionsmaßnahme dient (§ 30 Abs. 2 StGB;
§ 34 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 6 Nr. 2 AWG nF; § 25 Abs. 2,
§ 52 StGB).
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Bei dem hochwertigen Graphit handelt es sich um wirtschaftliche
Ressourcen i. S. d. Art. 7 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 423/2007.
Hierunter fallen nach der Definition des Art. 1 Buchst. i derselben
Verordnung Vermögenswerte jeder Art, unabhängig
davon, ob sie materiell oder immateriell, beweglich oder unbeweglich
sind, bei denen es sich nicht um Gelder handelt, die aber für
den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden
können. Der Senat verweist zur Begründung im
Übrigen auf seine Ausführungen in dem Beschluss vom
8. September 2008 (StB 19/08 S. 8 f.), die weiterhin gelten.
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An seiner Annahme, gegen den Angeschuldigten bestehe der dringende
Verdacht eines Verbrechens nach § 34 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 6 Nr.
2 AWG i. V. m. Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) 423/2007
durch Erbringung von Vermittlungsdiensten im Zusammenhang mit den in
Anhang I zur Iran-Embargo-Verordnung aufgeführten
Gütern (vgl. Beschl. vom 8. September 2008 S. 9 f.),
hält der Senat indes nicht fest.
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Ein dringender Verdacht eines Verstoßes gegen § 34
Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG besteht auch bezüglich dieser Tat
nicht. Dem Angeschuldigten wird lediglich zur Last gelegt, mit einem
Anderen eine verbotene Lieferung verabredet zu haben. Das bei der C.
GmbH gelagerte Material wurde von den deutschen Behörden
sichergestellt und damit durch diese eine Lieferung in den Iran gerade
verhindert. Es ist - auch unter Berücksichtigung aller
sonstigen maßgebenden Umstände des vorliegenden
Falles - nicht zu erkennen, inwiefern diese Fallgestaltung geeignet
gewesen sein soll, erhebliche, den auswärtigen Beziehungen der
Bundesrepublik Deutschland zum Nachteil gereichende Reaktionen
hervorzurufen.
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4. Da der Haftbefehl des Ermittlungsrichters vom 21. November 2008
ausdrücklich nur auf die dargestellten Taten gestützt
ist, hat sich der Senat nicht damit zu befassen, ob der Beschuldigte
dreier weiterer vollendeter Lieferungen hochwertigen Graphits in den
Iran im Jahre 2005 (vgl. Taten 1. bis 3. der Anklageschrift vom 7.
Januar 2009) dringend verdächtig ist.
29
5. Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit auch
diejenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs sowie des
Oberlandesgerichts Koblenz ist gegeben (§ 120 Abs. 2 Nr. 4
Buchst. a, § 142 a Abs. 1 Satz 1 GVG; § 169 Abs. 1
Satz 2 StPO).
30
- 18 -
a) Wie dargelegt, waren in den sechs Fällen der vollendeten
Lieferung des Graphits in den Iran (s. o. II. 1. a) die Taten nach den
Umständen geeignet, die auswärtigen Beziehungen der
Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden. Damit ist
für diese Taten auch das der materiellrechtlichen Regelung in
§ 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG entsprechende
Kriterium des § 120 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a GVG
erfüllt.
31
Dieser Umstand allein reicht nach der gesetzlichen Regelung allerdings
nicht aus, um die Zuständigkeit der genannten
Strafverfolgungsorgane des Bundes zu begründen. § 120
Abs. 2 Nr. 4 GVG setzt zusätzlich voraus, dass dem Fall eine
besondere Bedeutung zukommt (vgl. Hannich in KK 6. Aufl. § 120
GVG Rdn. 4 d). Diese hat der Generalbundesanwalt in den genannten sechs
Fällen im Ergebnis mit Recht bejaht.
32
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats fällt
die Strafverfolgung der in § 120 Abs. 2 GVG
aufgeführten Delikte entsprechend dem in der Norm deutlich zum
Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers sowie mit Blick auf den
verfassungsrechtlichen Maßstab des Art. 96 Abs. 5 GG (vgl.
BGHR GVG § 120 Abs. 2 besondere Bedeutung 1)
grundsätzlich in die Kompetenz der Bundesländer; dies
gilt sogar dann, wenn sich die Tat gegen die Bundesrepublik als
Gesamtstaat richtet. Die Zuständigkeit des Bundes und damit
die Evokationsbefugnis des Generalbundesanwalts werden nur
begründet, wenn dem Fall darüber hinaus eine
besondere Bedeutung zukommt. Dies ist erst dann der Fall, wenn es sich
unter Beachtung des Ausmaßes der Rechtsgutsverletzung um ein
staatsgefährdendes Delikt von erheblichem Gewicht handelt, das
seine besondere Bedeutung dadurch gewinnt, dass es die
Schutzgüter des Gesamtstaates in einer derart spezifischen
Weise angreift, dass ein Einschreiten des Generalbundesanwalts und eine
Aburteilung durch ein Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht
geboten ist. An die Bejahung der besonderen Bedeutung sind
33
- 19 -
strenge Anforderungen zu stellen, weil durch die
Übernahmeerklärung nicht nur der gesetzliche Richter
(Art. 101 GG) bestimmt, sondern auch in die verfassungsrechtliche
Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern eingegriffen
wird (vgl. etwa BGHSt 46, 238, 253 f.; BGHR GVG § 120 Abs. 2
Besondere Bedeutung 1, 4; BGH NStZ 2008, 146, 147).
In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung wird in der
Literatur (vgl. Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl. § 120 Rdn. 6;
Hannich in KK 6. Aufl. § 120 GVG Rdn. 3; Franke in
Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 120 GVG Rdn. 6;
Frister in SK-StPO 50. Lfg. § 120 GVG Rdn. 10; Welp NStZ 2002,
1, 7 sowie 609, 610) zu Recht darauf hingewiesen, das
Tatbestandsmerkmal der besonderen Bedeutung solle vermeiden, dass die
in der Verfassung angeordnete Regelzuständigkeit der
Landesjustiz durch einen ausufernden Gebrauch des Evokationsrechts in
eine solche des Bundes umgekehrt wird (vgl. Frister in SK-StPO aaO). Es
habe die Funktion eines Korrektivs, mit dem verhindert werden solle,
dass sich die Regelzuständigkeit der Landesjustiz in eine
Regelzuständigkeit des Bundes umkehre (vgl. Franke in
Löwe/Rosenberg aaO). In § 120 Abs. 2 GVG normiere das
Gesetz die besondere Bedeutung des Falles als zusätzliche
Qualität der Katalogtaten. Die Bundeskompetenz beziehe sich
nicht lediglich auf besonders schwerwiegende Delikte, sondern auf
solche Taten, die die Bundesinteressen besonders nachhaltig
berühren. Auch die Quantifizierung, die mit der besonderen
Bedeutung des Falles verlangt sei, könne sich daher nur auf
diesen Schutzzweck beziehen. Das Ausmaß der individuellen
Rechtsverletzung und der Grad der Schuld seien daher für diese
Frage nur insofern von Bedeutung, als sie das Gewicht des Angriffs auf
das jeweils betroffene Rechtsgut des Gesamtstaates mitbestimmten (vgl.
Welp NStZ 2002, jeweils aaO).
34
- 20 -
Hieraus folgt, dass eine Katalogtat des § 120 Abs. 2 GVG
selbst dann, wenn sie nach Schwere oder Umfang erhebliches Unrecht
verwirklicht und daher staatliche Sicherheitsinteressen in besonderer
Weise beeinträchtigt hat, nicht allein aus diesem Grund das
Evokationsrecht des Generalbundesanwalts zu begründen vermag
(vgl. BGHR GVG § 120 Abs. 2 besondere Bedeutung 1; Rebmann
NStZ 1986, 289, 293). Es besteht kein Anlass, von diesen für
alle Alternativen des § 120 Abs. 2 GVG geltenden
Grundsätzen gerade in den Fällen des § 120
Abs. 2 Nr. 4 GVG abzuweichen. Auch die Bekämpfung der
Wirtschaftskriminalität ist in erster Linie Aufgabe der
Länder; die Zuständigkeit der Bundesgerichtsbarkeit
ausübenden Organe ist daher nur bei einem spezifischen,
ausreichend gewichtigen Angriff auf gesamtstaatliche Interessen gegeben.
35
Aus diesen Gründen kann der vereinzelt in der Literatur
vertretenen Ansicht nicht gefolgt werden, es sei davon auszugehen, dass
der Generalbundesanwalt die Strafverfolgung jedenfalls in den
Fällen des § 34 Abs. 6 AWG grundsätzlich zu
übernehmen habe, weil diese sowohl die Erheblichkeit als auch
die besondere Bedeutung nach der gesetzlichen Bewertung gleichsam in
sich trügen, ohne dass es eines weiteren
Begründungsaufwandes bedürfe (vgl. Diemer aaO
§ 34 Rdn. 46). Gegen diese Auffassung spricht auch, dass etwa
bei - in der Praxis häufig vorkommender -
gewerbsmäßiger Begehung einer ansonsten nach
§ 34 Abs. 1, 2 oder 4 AWG strafbaren Tat (§ 34 Abs. 6
Nr. 2 AWG) die Zuständigkeit der Bundesjustiz
begründet wäre, ohne dass es auf die sonstigen
Umstände des Falles noch maßgebend ankäme.
Dies würde dem dargelegten Regel-/Ausnahmeverhältnis
in eklatanter Weise widersprechen. Es ist kein Anzeichen dafür
ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der durch das 2. Gesetz zur
Modernisierung der Justiz vom 22.12.2006 (BGBl I 3416) neu geschaffenen
Regelung des § 120 Abs. 2 Nr. 4 GVG eine derart weitgehende
Umverteilung der Zuständigkeit von den Ländern auf
den Bund beabsichtigte. Nach den Ge-
36
- 21 -
setzesmaterialien soll dem Generalbundesanwalt vielmehr die
Möglichkeit eröffnet werden, auch für
Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz seine
Ermittlungszuständigkeit zu begründen, um zu
gewährleisten, dass die sicherheitspolitische Dimension dieser
Straftaten erhellt wird; hierdurch könne ein wesentlicher
Beitrag zur effektiven Gestaltung der Ermittlungen und damit zur
Bekämpfung einer für die äußere
Sicherheit und das Ansehen Deutschlands in der Staatengemeinschaft
besonders nachteiligen Kriminalität geleistet werden. Der
Gesetzgeber hat jedoch ausdrücklich auf die notwendige
Staatsschutzqualität der betreffenden Straftaten -
unabhängig von einem geheimdienstlichen Hintergrund -
hingewiesen. Im Übrigen soll es bei der originären
Zuständigkeit der Landesjustiz für Straftaten nach
dem Außenwirtschaftsgesetz bleiben (vgl. BTDrucks. 16/3038 S.
27).
Demnach erfordert die Beurteilung der besonderen Bedeutung des Falles
auch im Rahmen des § 120 Abs. 2 Nr. 4 GVG eine
Gesamtwürdigung der Umstände und Auswirkungen der Tat
unter besonderer Berücksichtigung des Gewichts ihres Angriffs
auf den Gesamtstaat. Allein die Schwere der Tat und das
Ausmaß der von ihr hervorgerufenen Beeinträchtigung
der geschützten Rechtsgüter vermag für sich
die besondere Bedeutung nicht zu begründen; allerdings
können die konkrete Tat- und Schuldschwere den Grad der
Gefährdung bundesstaatlicher Belange durchaus mitbestimmen
(vgl. Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl. § 120 Rdn. 6). Von Bedeutung
kann auch sein, ob aufgrund der Erheblichkeit des Delikts eine
Verfolgung mit besonderer Sachkunde geboten und angesichts des
Auslandsbezuges ein spezieller Ermittlungsaufwand erforderlich
erscheint. Bei der Beurteilung der besonderen Bedeutung ist zudem zu
erwägen, inwieweit die konkrete Tat den Gesamtstaat etwa durch
eine Schädigung des Ansehens Deutschlands in der
Staatengemeinschaft zu beeinträchtigen vermag (vgl. BTDrucks.
16/3038 S. 31).
37
- 22 -
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Bejahung der
besonderen Bedeutung des Falles durch den Generalbundesanwalt im
Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Angeschuldigte hat in insgesamt
sechs Taten über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder
hochwertiges Graphit in den Iran geliefert. Aufgrund der Verbindungen
nach England und in die Türkei bestand ein vielschichtiger
Auslandsbezug, der einen speziellen Ermittlungsaufwand erforderlich
machte. Nach den konkreten Umständen - Lieferung in den Iran,
potentielle Bedrohung von Israel - kann eine von den Taten ausgehende
Schädigung des Ansehens Deutschlands in der
Staatengemeinschaft nicht ausgeschlossen werden. Die Umstände
und Auswirkungen der Taten stellen somit - jedenfalls bei einer
Gesamtschau - einen derart gewichtigen Angriff auf die Interessen des
Gesamtstaates dar, dass die Begründung der
Bundesgerichtsbarkeit noch als vertretbar anzusehen ist.
38
b) Die Zuständigkeit der Strafverfolgungsorgane des Bundes
erfasst auch diejenigen drei Taten (s. o. II. 1. b und c), bei denen
die Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 Nr. 4 GVG nicht
vorliegen, weil sie nicht geeignet sind, die auswärtigen
Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu
beeinträchtigen. Eine derartige Erstreckung erfordert vor dem
Hintergrund der grundgesetzlichen Zuständigkeitsregelung zwar
grundsätzlich, dass die betreffenden Straftaten mit zumindest
einem die Bundeszuständigkeit begründenden
Staatsschutzdelikt materiell- oder verfahrensrechtlich eine Tat bilden
(vgl. BGHR GVG § 120 Zuständigkeit 1).
Darüber hinaus besteht das Evokationsrecht des
Generalbundesanwalts jedoch ausnahmsweise auch dann, wenn ein derart
enger persönlicher und deliktsspezifischsachlicher
Zusammenhang besteht, dass eine getrennte Verfolgung und Aburteilung
auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für
die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern als in hohem
Maße sachwidrig erscheint.
39
- 23 -
Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Die drei genannten Taten
waren Teil einer insgesamt einheitlichen Serie dem Angeschuldigten zur
Last gelegter, gleichgerichteter, gewerbsmäßig
begangener Verstöße gegen das
Außenwirtschaftsgesetz. Als solche waren sie dem Grunde nach
geeignet, unter den Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 Nr. 4 GVG
die Bundeszuständigkeit zu begründen. Sie
unterscheiden sich, soweit in diesem Zusammenhang von Relevanz, in
tatsächlicher Hinsicht von den in Rede stehenden
Staatsschutzdelikten im Wesentlichen nur dadurch, dass das Graphit
nicht in den Iran gelangte. Die sie betreffenden Beweismittel sind -
jedenfalls teilweise - mit denjenigen der Taten identisch, bei denen
eine Gefährdungseignung i. S. v. § 120 Abs. 2 Nr. 4
Buchst. a GVG noch bejaht werden kann. Unter diesen Umständen
widerspräche eine getrennte Verfolgung und Aburteilung in ganz
besonderem Maße dem Gebot einer effizienten Strafverfolgung.
40
6. Bei dem Angeschuldigten besteht aus den in den Haftbefehlen vom 20.
Juni sowie 21. November 2008 und dem Beschluss des Ermittlungsrichters
des Bundesgerichthofs vom 11. Juli 2008 zutreffend
aufgeführten Gründen der Haftgrund der Fluchtgefahr
(§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Senat verweist insoweit auch
auf seine Ausführungen in dem Beschluss vom 8. September 2008.
Die zu erwartende Strafe begründet einen erheblichen
Fluchtanreiz. Der Angeschuldigte besitzt die
Staatsangehörigkeit der Seychellen und verfügt dort
über ein beträchtliches Grund- und sonstiges
Vermögen. Dies und die weiteren, in den genannten
Entscheidungen aufgeführten Umstände machen es
wahrscheinlich, dass der Angeschuldigte sich, in Freiheit belassen, dem
Verfahren entziehen wird. Weniger einschneidende Maßnahmen i.
S. d. § 116 StPO kommen nicht in Betracht.
41
7. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der
Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121
Abs. 1 StPO) liegen vor. Die be-
42
- 24 -
sondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben
ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der
Untersuchungshaft. Nach der Festnahme des Angeschuldigten waren
zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive
Ermittlungsmaßnahmen wie etwa die Auswertung eines
großen Teils der Datenverarbeitung der C. GmbH und
Maßnahmen der internationalen Rechtshilfe
durchzuführen. Entgegen der Auffassung der Verteidigung gebot
der Beschleunigungsgrundsatz es nicht, vorab eine Teilanklage
bezüglich der Taten II. 1. b und c zu erheben. Die von der
Verteidigung insoweit angeführten Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts und verschiedener Oberlandesgerichte
betreffen durchweg andere, mit dem vorliegenden Verfahren nicht
vergleichbare Sachverhalte. Die weiteren Ermittlungsmaßnahmen
betrafen hier insbesondere nicht nur Randbereiche; sie waren auch nicht
lediglich geeignet, die bisherigen Ermittlungsergebnisse abzurunden.
Sie bezogen sich vielmehr auf die gewerbsmäßig
durchgeführten Lieferungen von Graphit in den Iran und damit
auf Straftaten von erheblichem Gewicht, die für das Verfahren
zentrale Bedeutung haben. Mit der zwischenzeitlichen Erhebung der
Anklage bezüglich aller ermittelten Straftaten des
Angeschuldigten ist das Verfahren insgesamt mit der in Haftsachen
gebotenen Beschleunigung geführt worden.
- 25 -
8. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den
Angeschuldigten erhobenen Tatvorwürfen, die teilweise mit
einer Strafdrohung von Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bedroht
sind, nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1
Satz 1 StPO).
43
Becker Miebach Schäfer |