BGH,
Beschl. v. 13.7.2000 - 4 StR 271/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 271/00
vom
13. Juli 2000
in der Strafsache gegen
wegen Untreue u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. Juli
2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Ulm vom 5. April 2000 in den Aussprüchen über die die
Verurteilung wegen Untreue (Fälle II 1 bis 3 der
Urteilsgründe) betreffenden Einzelstrafen und die Gesamtstrafe
mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im
übrigen wegen Untreue in drei Fällen und
(vorsätzlichen) gefährlichen Eingriffs in den
Straßenverkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren
und sechs Monaten verurteilt; ferner hat es Maßregeln nach
§§ 69, 69a StGB angeordnet und einen gegen den
Angeklagten ergangenen Bußgeldbescheid der Stadt Ulm
gemäß § 86 Abs. 1 OWiG aufgehoben. Gegen
dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der
er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts
rügt. Die Revisionsbegründung läßt
ungeachtet des vorletzten Satzes auf RB 21 nicht zweifelsfrei erkennen,
ob die Revision auf den Strafausspruch beschränkt sein soll.
Das vom Senat deshalb als unbeschränkt behandelte Rechtsmittel
(vgl. Kuckein in KK/StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 3 m.N.) hat zum
Strafausspruch teilweise Erfolg. Im übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die
Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift
vom 26. Juni 2000, denen gegenüber auch die weiteren
Ausführungen im Schriftsatz des Verteidigers vom 29. Juni 2000
nicht durchgreifen. Der mit den auf die Verletzung der
§§ 244 Abs. 2 und 261 StPO gestützten
Verfahrensrügen geltend gemachte Widerspruch zwischen den -
was die Revision nicht mitteilt: auf Anregung der Verteidigung (SA Bl.
IV, Bl. 847) - verlesenen polizeilichen Aussagen des Zeugen W. und
deren Behandlung im Urteil besteht nicht. Anders verhielte es sich,
wenn der Zeuge gesehen hätte, daß der Angeklagte
nicht angeschnallt war, bevor es zu dem Unfall kam. Daß das
Landgericht aus den Aussagen nicht den von der Revision
gewünschten Schluß gezogen hat, deckt einen
Rechtsfehler nicht auf, zumal es seine Überzeugung,
daß der Angeklagte im Unfallzeitpunkt angeschnallt war, auf
weitere objektive Umstände gestützt hat. Im
übrigen hat das Landgericht die "Selbstmordversion" des
Angeklagten mit einer Vielzahl anderer Gründe widerlegt, die
auch von der Revision nicht angegriffen werden.
2. Dagegen können die in den Fällen II 1 bis 3 der
Urteilsgründe jeweils wegen Untreue verhängten
Einzelfreiheitsstrafen nicht bestehenbleiben.
a) Das Landgericht hat in diesen Fällen jeweils das
Regelbeispiel eines besonders schweren Falles des § 266 Abs. 2
i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB als erfüllt
angesehen und die Einzelstrafen (acht Monate, zehn Monate und ein Jahr
drei Monate) dem gemäß §§ 21, 49
Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 1
StGB entnommen. Dies weist für sich genommen keinen
Rechtsfehler auf. Insbesondere teilt der Senat nicht die auf Stimmen in
der Literatur gestützte Auffassung der Revision, die durch das
6. StRG eingeführte Verweisung in § 266 Abs. 2 StGB
auf § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB laufe letztlich auf eine
Verletzung des Doppelverwertungsverbots hinaus, weil die Stellung als
Amtsträger in der Regel überhaupt erst die in
§ 266 Abs. 1 StGB vorausgesetzte Täterqualifikation
(kraft "behördlichen Auftrags") begründe (so
Schünemann in LK-StGB 11. Aufl. § 266 Rdn. 176; krit.
auch Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 266 Rdn. 31;
Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 266 Rdn. 22).
Für eine korrigierende Auslegung, die im Ergebnis die das
Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB betreffende
Verweisung in § 266 Abs. 2 StGB leerlaufen ließe,
sieht der Senat keinen Anlaß. Dahingestellt bleiben kann, ob
die Verletzung der die Täterschaft wegen Untreue
begründenden Vermögensfürsorgepflicht kraft
"behördlichen Auftrags" in der Regel oder gar stets den
Mißbrauch der Befugnisse oder der Stellung "als
Amtsträger" (§ 11 Nr. 2 StGB) als tauglichem
Täter voraussetzt. Jedenfalls bleibt es - wie § 28
StGB ausweist - dem Gesetzgeber unter Beachtung des
Willkürverbots unbenommen, im Rahmen seines
Gestaltungsspielraums besondere persönliche Merkmale sowohl
zur Strafbegründung als auch zur Strafschärfung
heranzuziehen. Deshalb hätte die "Amtsträger-Untreue"
gegenüber dem "Jedermann-Delikt" des § 266 Abs. 1
StGB auch als selbständiger qualifizierter Tatbestand
ausgestaltet werden können. Daß der Gesetzgeber
statt dessen den Weg über die Regelbeispielstechnik
für besonders schwere Fälle gewählt hat,
macht die gesetzliche Regelung weder widersprüchlich noch aus
sonstigen Gründen unbeachtlich.
b) Zur Aufhebung der in den Fällen II 1 bis 3 wegen Untreue
verhängten Einzelstrafen führt indes, daß
das Landgericht § 46 a StGB nicht berücksichtigt hat.
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte "aufgrund eines
Erbverzichtsvertrags ... von seinen Eltern Geld erhalten, was ihn in
die Lage versetzte, bis auf einen Restbetrag von rund 7.000 DM den zum
Nachteil des Landes Baden-Württemberg entstandenen Schaden
wiedergutzumachen" (UA 11). Dies hat das Landgericht dem Angeklagten
auch ausdrücklich strafmildernd zugute gehalten (UA 20). Auf
die Vorschrift des § 46 a StGB ist es dagegen nicht
eingegangen, obwohl hierzu Anlaß bestand. Nach der hier
allein in Betracht zu ziehenden Nr. 2 der Vorschrift bildet die
Schadenswiedergutmachung, die vom Täter "erhebliche
persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht"
erfordert und zu einer Entschädigung des Opfers "ganz oder zum
überwiegenden Teil" geführt hat, einen fakultativen
"vertypten" Strafmilderungsgrund. Zwar genügt dafür
die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen allein
nicht. Vielmehr müssen die Bestrebungen Ausdruck der
Übernahme von Verantwortung sein (st.Rspr.; BGHR StGB
§ 46 a Wiedergutmachung 1, 5, jew.m.w.N.). Daß diese
Voraussetzungen von dem Angeklagten erfüllt sind, liegt
angesichts der von ihm zur Schadenswiedergutmachung geleisteten Zahlung
in Höhe von ca. 100.000 DM und des hierfür von ihm
erklärten Erbverzichts nahe. Daß das Opfer im
vorliegenden Fall eine juristische Person, nämlich das Land
Baden-Württemberg, war, steht der Anwendung des § 46
a StGB nicht entgegen (BGHR aaO Wiedergutmachung 4).
Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruhen die
Einzelstrafaussprüche in den Fällen II 1 bis 3 auch;
denn der Senat kann nicht ausschließen, daß das
Landgericht bei Beachtung des § 46 a StGB auf niedrigere
Einzelstrafen erkannt hätte.
c) Die dem Strafrahmen für minderschwere Fälle des
gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach
§ 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 2. Halbsatz i.V.m. § 315
Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a und b StGB im Fall II 4 der
Urteilsgründe entnommene Einzelstrafe von einem Jahr und
sieben Monaten Freiheitsstrafe weist für sich keinen
Rechtsfehler auf; sie wird auch von der Aufhebung der übrigen
Einzelstrafen nicht berührt und bleibt deshalb bestehen.
d) Die Aufhebung der wegen Untreue verhängten Einzelstrafen
zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich
darauf hin, daß das Vorliegen "vertypter"
Strafmilderungsgründe bei der Strafrahmenwahl Anlaß
geben kann, jedenfalls im Zusammenwirken mit den allgemeinen
Strafmilderungsgründen (wenn diese hierfür allein
nicht ausreichen) trotz Vorliegens eines Regelbeispiels einen besonders
schweren Fall zu verneinen und die Strafe dem Regelstrafrahmen zu
entnehmen (std. Rspr.; BGHR BtMG § 29 Abs. 3 Strafrahmenwahl 1
ff.; Tröndle/Fischer aaO § 46 Rdn. 43 b m.N.).
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Solin-Stojanovic Ernemann |