BGH,
Beschl. v. 14.4.2010 - StB 5/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
________________
StB 5/10
vom
14. April 2010
BGHR: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
__________________________
StGB § 129 Abs. 1, § 129 a Abs. 1, § 129 b
Abs. 1 Satz 1 und 2
Haben sich Mitglieder einer ausländischen kriminellen oder
terroristischen Vereinigung im Inland zu einer organisatorischen
Struktur zusammengeschlossen, deren Zwecke oder Tätigkeit der
Zielsetzung der ausländischen Vereinigung entsprechen, so
können sie sich nur dann tateinheitlich auch wegen
Mitgliedschaft in einer inländischen kriminellen Vereinigung
strafbar machen, wenn ihre inländische Organisation einen
eigenständigen, von der ausländischen Vereinigung
unabhängigen Gesamtwillen bildet.
BGH, Beschl. vom 14. April 2010 - StB 5/10 - Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs
- 2 -
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen
Vereinigung
hier: Haftbeschwerde des Beschuldigten
- 3 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 14. April
2010 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2009
aufgehoben und durch den nachfolgenden Haftbefehl ersetzt:
Der Beschuldigte ist in Untersuchungshaft zu nehmen.
Er ist dringend verdächtig, sich jedenfalls in der Zeit
zwischen Juli 2008 und Januar 2009 den srilankischen "Liberation Tigers
of Tamil Eelam" (LTTE) angeschlossen und deren auf die Begehung von
Mord oder Totschlag gerichtete Tätigkeit durch seine Mitarbeit
im Büro des von ihnen eingerichteten "Tamil Coordination
Committee" (TCC) in O. gefördert zu haben, indem er in deren
Angelegenheiten Telefonanrufe entgegengenommen, ihm mitgeteilte
Informationen an die zuständigen Personen weitergeleitet und
begehrte Auskünfte erteilt hat;
strafbar als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen
Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union durch eine in der Bundesrepublik
Deutschland ausgeübte Tätigkeit (§ 129 b
Abs. 1 Satz 2, § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
- 4 -
2. Dieser Haftbefehl wird aufgehoben werden, wenn das Bundesministerium
der Justiz nicht binnen einer Woche nach Zugang dieses Beschlusses
gegenüber dem Bundesgerichtshof - 3. Strafsenat - die
Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt (§ 130 StPO,
§ 129 b Abs. 1 Satz 3, § 77 e StGB).
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
4. Der Antrag des Beschuldigten, die Vollziehung des Haftbefehls des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2009
auszusetzen, ist damit gegenstandslos.
Gründe:
I.
Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs am 16. Dezember 2009 angeordnet, den Beschuldigten
in Untersuchungshaft zu nehmen. Er hat den Beschuldigten für
dringend verdächtig gehalten, sich jedenfalls ab Sommer 2008
als "Führungskader" des "Tamil Coordination Committee" (TCC)
in O. mit mindestens sechs weiteren Personen zu dem Zweck
zusammengeschlossen zu haben, von Deutschland aus den "Liberation
Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) in Sri Lanka Vermögens- und
Sachwerte zur Verfügung zu stellen und die entsprechenden
Gelder von tamilischen Immigranten in Deutschland mit teilweise
erpresserischen Mitteln einfordern zu lassen (Mitgliedschaft in einer
kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1
StGB).
1
- 5 -
Nach der Festnahme des Beschuldigten am 3. März 2010 hat der
Ermittlungsrichter mit Beschluss vom selben Tage den Haftbefehl
aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt. Seitdem befindet sich der
Beschuldigte in Untersuchungshaft. Mit seiner gegen die Entscheidungen
des Ermittlungsrichters gerichteten Beschwerde begehrt er die Aufhebung
des Haftbefehls. Der Ermittlungsrichter hat der Beschwerde nicht
abgeholfen; der Generalbundesanwalt tritt ihr entgegen.
2
II.
Auf die zulässige Beschwerde des Beschuldigten ist der
Haftbefehl des Ermittlungsrichters aufzuheben und durch den aus der
Beschlussformel ersichtlichen Haftbefehl zu ersetzen.
3
1. Die gegenwärtigen Erkenntnisse ergeben nicht mit der
erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte als
Mitglied einer inländischen kriminellen Vereinigung nach
§ 129 Abs. 1 StGB angeschlossen hat. Der Beschuldigte ist
indes dringend verdächtig, sich durch seine Mitarbeit im
"Tamil Coordination Committee" (TCC) in O. an einer terroristischen
Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union - den srilankischen "Liberation Tigers of
Tamil Eelam" (LTTE) - durch eine in der Bundesrepublik Deutschland
ausgeübte Tätigkeit als Mitglied beteiligt zu haben
(§ 129 b Abs. 1 Satz 2, § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
4
a) Nach den vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich im Sinne eines
dringenden Tatverdachts folgender Sachverhalt:
5
- 6 -
aa) Allgemeinkundig entstanden die LTTE im Jahre 1976 durch den
Zusammenschluss verschiedener tamilischer Bewegungen in Sri Lanka,
deren gemeinsames Ziel die Loslösung des mehrheitlich von
Tamilen besiedelten Nord- und Ostteils der Insel vom singhalesisch
geprägten Reststaat war. Hierarchisch auf die Person ihres
Führers Vellupillai Prabhakaran und dessen Ideologie
ausgerichtet, verfolgten sie ihr Ziel eines selbständigen
"Tamil Eelam" in erster Linie durch bewaffneten Kampf, der sich nicht
nur gegen die srilankischen Regierungstruppen, sondern auch gegen
rivalisierende Gruppierungen richtete. Bis 1986 gelang es ihnen, neben
der Halbinsel Jaffna weite Teile der Nord- und der Ostprovinzen des
Landes unter ihre Kontrolle zu bringen, wo sie nach und nach eigene
staatsähnliche Strukturen schufen. Ab 2002 wurden dort ein
zentrales "politisches Büro" mit Sitz in Kilinochchi sowie
"Ministerien" für Justiz, Polizei, Finanzen und Verteidigung
errichtet. Der zudem erhobene Alleinvertretungsanspruch für
alle Tamilen weltweit führte in der Zuständigkeit
eines "Außenministeriums" zur Entwicklung von
Organisationsstrukturen auch über Sri Lanka hinaus. Der
Finanzierung der LTTE dienten die in den besetzten Gebieten erhobenen
"Steuern" und die "Spendengeldsammlungen" unter den Auslandstamilen.
6
Militärisch verfügten die LTTE über
Infanterieeinheiten ("Tigers") sowie über eine Anzahl zu
Kampfzwecken umgerüsteter Schnellboote ("Sea Tigers") und
Flugzeuge ("Air Tigers"). Daneben unterhielten sie eine Spezialeinheit
("Black Tigers"), deren Aufgabe neben militärischen
Kommandoaktionen auch Anschläge auf zivile Ziele waren. Ihren
auf insgesamt mehr als 200 geschätzten Selbstmordattentaten
fielen unter anderem am 21. Mai 1991 bei Madras der indische
Premierminister Rajiv Ghandi und am 1. Mai 1993 in Colombo der
sri-lankische Staatspräsident Ranasinghe Premadasa zum Opfer.
7
- 7 -
Im Guerillakampf mit ihrem abtrünnigen Kommandeur Muralitharan
("Karuna") verloren die LTTE ab 2004 zunächst die
Ostprovinzen. Verstärkte Offensiven der Armee ab 2007
drängten sie weiter zurück, bis es im
Frühjahr 2009 zu ihrer militärischen Zerschlagung
kam. Ihr Führer Vellupillai Prabhakaran wurde am 18. Mai 2009
von srilankischen Regierungstruppen getötet.
8
bb) Die Strukturen des TCC erhellen sich in erster Linie aus den
Angaben ihm unterstellter Gebietsverantwortlicher in mehreren
Gesprächen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz
Baden-Württemberg zwischen März 2006 und Januar 2007.
Danach galt das TCC als die "LTTE in Deutschland" und dessen Leiter Sr.
alias V. als der "Chef der LTTE für Deutschland".
Zuständig war das TCC insbesondere für die politische
Öffentlichkeitsarbeit und für die Geldsammlungen
unter den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Tamilen. Seine
Vorgaben und Befehle erhielt es unmittelbar aus der Zentrale der LTTE
in Kilinochchi. Bei seiner Arbeit stützte sich das TCC auf ein
bundesweites, hierarchisch aufgebautes Netz aus Gebiets-, Stadt- und
Raumverantwortlichen. Diese waren - wie die mindestens sechs weiteren
im Büro des TCC in O. tätigen Personen - an die
Weisungen des V. gebunden und ihm gegenüber
rechenschaftspflichtig. Gleichermaßen hat der im O. er
Büro für Pressearbeit und Behördenkontakte
zuständige W. das TCC in einer Zeugenaussage beim
Polizeipräsidium D. am 8. Mai 2007 als "politische Abteilung
der LTTE für Deutschland" bezeichnet.
9
Bestätigt werden diese Angaben durch Erkenntnisse des
Bundesamts für Verfassungsschutz aus der Überwachung
des Post- und Telefonverkehrs des TCC im Rahmen von G 10 -
Maßnahmen. Ein Telefongespräch belegt, dass die
Funktionäre der LTTE in Sri Lanka Immigranten in Deutschland
bei Fragen an
10
- 8 -
das TCC verweisen (Sachakte Bd. II Reiter Erkenntnisse BfV Bl. 97).
Tamilen in Deutschland, die sich schriftlich an das TCC wandten,
bezeichneten dieses regelmäßig als "LTTE
Deutschland" und dessen Leiter V. als "Verwalter" oder
"Verantwortlichen" der "LTTE Deutschland" (Bl. 177, 183, 191, 198, 205,
209, 217, 235, 262). Andere Telefongespräche
bestätigen die umfassenden Direktionsbefugnisse V. s innerhalb
des TCC (Bl. 124, 126, 214 ff., 217).
cc) Der Beschuldigte hat sich, wie seine eigenen
Äußerungen gegenüber Dritten belegen,
gegenüber den LTTE zur Mitarbeit bereiterklärt, um
die Freilassung seiner in Sri Lanka zwangsrekrutierten Schwester zu
erreichen. Er wurde von den LTTE deshalb - ohne nennenswerte Bezahlung
- dem Büro der TCC in O. zugewiesen, um dort zu "lernen";
danach sollte er nach Sri Lanka zurückkehren und sich dort
anstelle der Schwester einer kämpfenden Einheit
anschließen (Sachakte Bd. II Reiter Erkenntnisse BfV Bl. 113
- 116). Unter der Aliaspersonalie M. diente er als telefonischer
Ansprechpartner nach außen, nahm Informationen für
das Büro entgegen und erteilte Auskünfte allgemeiner
Art, etwa zu Besprechungsterminen oder zum Undiyal-Banking, dem vom TCC
organisierten privaten Geldtransfer hier wohnhafter Tamilen in die
Heimat (Bl. 97, 132, 140, 147, 148).
11
Die Identität des M. mit dem Beschuldigten ergibt sich aus
zwei Telefongesprächen, die vom Festnetzanschluss der TCC aus
geführt wurden. Am 30. Juli 2008 rief ein R. seinen Vater an;
der Angerufene führt den Namen S. (Bl. 108). Am 20. August
2008 sprach M. mit einer Verwandten, die ihn R. nannte; sie gab das
Gespräch an eine andere Person weiter, die ihn als R.
begrüßte (Bl. 115).
12
- 9 -
b) Danach ist das dem Beschuldigten vorgeworfene Tatgeschehen rechtlich
wie folgt zu bewerten:
13
aa) Die LTTE waren - jedenfalls bis zu ihrer mutmaßlichen
Zerschlagung durch die srilankischen Regierungstruppen im
Frühjahr 2009 - eine Vereinigung, deren Zwecke und deren
Tätigkeit (auch) darauf gerichtet waren, Mord oder Totschlag
zu begehen (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Sie bestand im Ausland
außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union
(§ 129 b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB), denn der Schwerpunkt ihrer
organisatorischen Strukturen und ihr eigentliches Aktionsfeld befanden
sich in Sri Lanka. Allein der Umstand, dass die Strukturen und
Aktivitäten einer Vereinigung teilweise in die Bundesrepublik
Deutschland hereinreichen - hier: Einrichtung eines "Büros"
als Kontaktstelle für Unterstützer und zur
Vermittlung der Ziele in der Öffentlichkeit; Aufbau eines
Netzes zur Erschließung von Finanzierungsquellen - macht sie
noch nicht zu einer Vereinigung (auch) im Inland.
14
bb) Das TCC war keine selbständige Teilorganisation der LTTE
in Deutschland; entgegen der Auffassung des Ermittlungsrichters und des
Generalbundesanwalts bildeten dessen Mitglieder deshalb keine - neben
die LTTE tretende - Vereinigung gemäß § 129
StGB.
15
(1) Eine Vereinigung im Sinne der Vorschriften der §§
129 ff. StGB ist ein auf eine gewisse Dauer angelegter freiwilliger
organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei
Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit
gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen,
dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen
(st. Rspr.; zuletzt BGHSt 54, 69 = NJW 2009, 3448 Rdn. 116 m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des TCC nicht mit der
erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegt. Denn die bisherigen
Erkenntnisse er-
16
- 10 -
geben nicht, dass sich innerhalb der TCC eine eigenständige,
von der ausländischen Vereinigung abgrenzbare Willensbildung
vollzog.
Die Beziehungen der im TCC tätigen Personen untereinander
erschöpften sich vielmehr in der gemeinsamen Mitgliedschaft in
der LTTE. Das TCC war nicht nur eingegliedert in deren Hierarchie,
sondern nach den Angaben des Beschuldigten oblag es allein der
Entscheidung der LTTE, ob Personen in einer Einrichtung wie dem TCC
oder in einer kämpfenden Einheit eingesetzt wurden. Auch nach
außen hin trat das TCC auf als Repräsentanz der LTTE
in Deutschland. Sein Leiter V. war zwar weisungsberechtigt
gegenüber den anderen Mitarbeitern im TCC sowie den
nachgeordneten Gebiets-, Stadt- und Raumverantwortlichen, unterstand
aber selbst unmittelbar dem politischen Büro in Kilinochchi
und war abhängig von dessen Weisungen. Gerade im Hinblick auf
die Spendensammlungen verfügte das TCC nicht über
Freiräume, aus denen sich die Gesamtorganisation
zurückgezogen hätte. Die LTTE hatte die Beitreibung
von Spenden in Deutschland nicht etwa aus ihrem Organisationsbereich
ausgegliedert. Vielmehr gab es in Sri Lanka Zuständige
für die "Auslandsfinanzen" (Sachakte Bd. II Reiter
Erkenntnisse BfV Bl. 22). Die eigene Nähe der LTTE zu den
"Spendensammlungen" wird aber vor allem dadurch belegt, dass sie
angebliche Zahlungspflichten in Deutschland lebender Tamilen
ausschließlich mittels Verschleppung oder Zwangsrekrutierung
von Familienangehörigen in Sri Lanka durchzusetzen trachtete
(Bl. 11, 25, 93). Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand kam dem TCC
damit lediglich die Funktion zu, die Entscheidungsprozesse der
ausländischen Kernorganisation bei gleichzeitiger Unterordnung
unter deren Willensbildung im Inland umzusetzen und zu vollstrecken.
Angesichts dieser Umstände sind dringende Anhaltspunkte
für einen eigenständigen, von der
ausländischen Vereinigung unabhängigen
Willensbildungsprozess der TCC nicht ersichtlich.
17
- 11 -
(2) Eine eigene Willensbildung ist jedoch für eine
Strafbarkeit nach § 129 StGB auch dann nicht entbehrlich, wenn
sich im Inland organisatorische Strukturen zur Unterstützung
der Ziele einer ausländischen Vereinigung gebildet haben. Zwar
ist der Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen von einer
Anwendbarkeit der §§ 129, 129 a StGB ausgegangen,
wenn die ausländische Vereinigung zumindest in Form einer
Teilorganisation auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
existierte und diese ihrerseits die Voraussetzungen der
§§ 129, 129 a StGB erfüllte, wobei in diesen
Fallkonstellationen nicht verlangt wurde, dass sich die organisierte
Willensbildung innerhalb der inländischen Teilorganisation
vollzog. Es genügte vielmehr, dass deren Mitglieder in die
Willensbildung der ausländischen oder internationalen
Organisation integriert waren und sich den auf dieser Ebene getroffenen
Entschlüssen gegebenenfalls unter Zurückstellung
ihrer individuellen Meinungen unterwarfen (vgl. BGH NJW 1966, 310, 312;
BGH, Beschl. vom 12. Oktober 2001 - AK 14/01; Krauß in LK 12.
Aufl. § 129 Rdn. 36; Schmidt NStZ-RR 2002, 161).
18
An dieser Auffassung kann aber mit Blick auf die Einführung
des § 129 b StGB durch das 34. StrÄndG vom 22. August
2002 nicht mehr festgehalten werden. Die hierdurch veränderte
Rechtslage lässt vielmehr die Verfolgung eines Mitglieds oder
Unterstützers einer ausländischen Vereinigung (auch)
unter dem Gesichtspunkt der Mitgliedschaft in oder
Unterstützung einer inländischen Teilorganisation
nach §§ 129, 129 a StGB nur noch dann zu, wenn die
inländische Teilorganisation unabhängig von der
ausländischen Gesamtorganisation auch einen eigenen
Willensbildungsprozess vollzieht, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
19
- 12 -
§ 129 b StGB erfasst - soweit hier von Belang - nunmehr jede
Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung
durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit. Auf das
Vorhandensein von Organisationsstrukturen der Vereinigung im Inland
kommt es dabei nicht an. Es ist gerade die für § 129
b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB typische Fallgestaltung, dass das Handeln
des Täters im Inland bestimmt wird durch seine Einbindung in
die ausländische Organisation und seine Unterwerfung unter die
auf deren Ebene getroffenen Entscheidungen. Dabei macht es keinen
Unterschied, ob es bei isoliertem Handeln eines Einzelnen verbleibt
oder ob die Vorgaben der Gesamtorganisation ein Zusammenwirken des
Täters mit anderen Beteiligten im Inland bedingen, denn allein
aus einer gemeinschaftlichen Beteiligungshandlung im Inland
lässt sich das Bestehen einer gesonderten Vereinigung im Sinne
der §§ 129, 129 a StGB nicht ableiten.
20
Bilden die im Inland handelnden Mitglieder einer ausländischen
Vereinigung keinen eigenständigen Gesamtwillen, so weist die
Tat auch keinen Unrechtsgehalt auf, der über den bereits von
§ 129 b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB erfassten hinausginge.
Strafgrund der §§ 129 ff. StGB ist die
erhöhte kriminelle Intensität, die in der
Gründung oder Fortführung einer festgefügten
Organisation ihren Ausdruck findet, die kraft der ihr innewohnenden
Eigendynamik eine erhöhte Gefährlichkeit für
wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGHSt
31, 202, 207). Diese für größere
Personenzusammenschlüsse typische Eigendynamik hat ihre
spezifische Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem
einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und
bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung
zurückzudrängen (BGH NJW 1992, 1518). Ohne eine
organisierte und auf Dauer angelegte Bildung eines Gesamtwillens, dem
sich die einzelnen Mitglieder unter Zurückstellung ihrer
individuellen Meinungen unterwerfen, kann sich eine solche Eigendynamik
indes nicht
21
- 13 -
entfalten (vgl. Miebach/Schäfer in MünchKomm-StGB
§ 129 Rdn. 4). Mangelt es der inländischen
Gruppierung also an einer eigenständigen organisierten
Willensbildung, so kann sie die bereits von der Gesamtorganisation
ausgehende (abstrakte) Gefährdung der Allgemeinheit nicht noch
weiter intensivieren.
Des weiteren knüpft § 129 b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB
die Verfolgung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer
terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union auch dann an eine Ermächtigung des
Bundesministeriums der Justiz und damit an eine besondere
Prozessvoraussetzung (Krauß aaO Rdn. 31), wenn die Tat durch
eine im Inland ausgeübte Tätigkeit begangen wird. Das
Ermächtigungserfordernis dient der Wahrung der
außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland; so
können gegen eine "undifferenzierte" Strafverfolgung dann
durchgreifende Bedenken bestehen, wenn ein Prozess der
Verständigung zwischen den Beteiligten an einem bewaffneten
Konflikt im Ausland eingeleitet wurde (BTDrucks. 14/8893 S. 8). Es
entspricht damit einer gesetzgeberischen Grundentscheidung, die
Verfolgung einer Tat im Sinne des § 129 b Abs. 1 Satz 2 1.
Alt. StGB von der Prüfung abhängig zu machen, ob
solche Belange im Einzelfall berührt sein können.
Diese würde umgangen, nähme man unter Verzicht auf
das Merkmal der eigenständigen Willensbildung gleichzeitig
eine inländische Vereinigung an.
22
cc) Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich den LTTE
als Mitglied angeschlossen zu haben.
23
(1) Der Beteiligung an einer ausländischen Vereinigung als
Mitglied steht - anders als der Generalbundesanwalt nunmehr in der
Erwiderung auf die Beschwerde meint - nicht entgegen, dass sich der
Täter ausschließlich im Inland
24
- 14 -
und damit außerhalb des unmittelbaren
Betätigungsgebiets der Kernorganisation aufgehalten hat; in
einem solchen Falle bedürfen nur die tatbestandlichen
Voraussetzungen der Mitgliedschaft besonderer Prüfung (BGHSt
54, 69 = NJW 2009, 3448 Rdn. 128). Die mitgliedschaftliche Beteiligung
setzt allgemein voraus, dass der Täter sich, getragen von
beiderseitigem übereinstimmendem Willen und angelegt auf eine
gewisse Dauer, in die Organisation eingliedert, sich ihrem Willen
unterordnet und eine aktive Tätigkeit zur Förderung
ihrer Ziele entfaltet (BGH aaO Rdn. 123). Nach den oben dargelegten
Erkenntnissen sind diese Voraussetzungen gegeben, denn der Beschuldigte
hat sich willentlich in die nach Deutschland hineinreichende Hierarchie
der LTTE eingegliedert und dort die ihm von der Organisation
zugedachten Funktionen übernommen.
(2) Zwar hat sich der Beschuldigte zur Mitarbeit bei den LTTE nur
deshalb bereiterklärt, weil er die Entlassung seiner in Sri
Lanka zwangsrekrutierten Schwester erreichen wollte. Es spricht aber
nichts für eine solche Zwangslage des Beschuldigten, dass er
sich ohne willentliche Übereinstimmung mit der Organisation
lediglich dem autoritären Verlangen ihrer Verantwortlichen
unterworfen hätte. Der Mitgliedschaft steht auch nicht
entgegen, dass die Tätigkeit des Beschuldigten von
untergeordneter Art blieb, denn er hat dennoch den Zusammenhalt der
Organisation gestärkt und zur Verwirklichung ihrer Ziele
beigetragen. Gleichwohl ist festzuhalten, dass beide Umstände
die Tat in milderem Licht erscheinen lassen und die Straferwartung
deutlich einschränken.
25
2. Es besteht der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO. Nach den
Umständen ist zu besorgen, dass ohne die Festnahme des
Beschuldigten die Verfolgung der Tat gefährdet wäre.
Trotz der eingeschränkten Straferwartung bleibt eine nicht
unerhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte, auf freien
Fuß gesetzt, dem weiteren Strafverfahren durch Ausreise
entziehen wird.
26
- 15 -
Er ist srilankischer Staatsangehöriger, hat in Sri Lanka
familiäre Bindungen und ist nur für einen von
vornherein begrenzten Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland
eingereist. Weniger einschneidende Maßnahmen können
den Zweck der Untersuchungshaft nicht erreichen (§ 116 Abs. 1
StPO). Der Beschuldigte ist nach den vorliegenden Erkenntnissen
eingebunden in die nach Deutschland hereinreichenden Strukturen der
LTTE und verfügt so über ein Netzwerk von
Unterstützern, das ihm auch entgegen möglichen
Auflagen und Weisungen ein Untertauchen wesentlich erleichtert.
3. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist noch
verhältnismäßig. Erteilt das
Bundesministerium der Justiz die erforderliche Ermächtigung
zur Strafverfolgung (nachfolgend 4.), wird das Verfahren indes, auch
wegen der eingeschränkten Straferwartung, alsbald zum
Abschluss zu bringen sein. Weitere Ermittlungsansätze, die zur
Vertiefung des Tatvorwurfs gegen den Beschuldigten führen
könnten, sind gegenwärtig nicht ersichtlich. Der
Senat geht deshalb davon aus, dass die Anklage noch vor der
Haftprüfung nach § 121 Abs. 1 StPO erhoben werden
kann.
27
4. Der Anordnung der Untersuchungshaft steht nicht entgegen, dass das
Bundesministerium der Justiz am 28. Oktober 2009 erklärt hat,
die nach § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche
Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht zu erteilen. Ein
endgültiges Verfahrenshindernis ist damit nicht eingetreten,
denn nach dem Wortlaut der Erklärung hat das Bundesministerium
der Justiz auf eine Ermächtigung nicht verzichtet. Es ist
lediglich davon ausgegangen, eine Strafverfolgung werde auch ohne
Ermächtigung möglich sein.
28
- 16 -
Indes ist dem Bundesministerium der Justiz nunmehr
gemäß § 130 StPO eine
Erklärungsfrist zu setzen, denn der Haftbefehl lässt
sich nach den bisherigen Ermittlungen ausschließlich auf den
dringenden Verdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen
terroristischen Vereinigung stützen. Insbesondere haben sich
über das Organisationsdelikt hinaus keine Hinweise auf
konkrete dem Beschuldigten zuzurechnende Ausführungstaten
ergeben.
29
Sost-Scheible Pfister Mayer |