BGH,
Beschl. v. 14.5.2002 - 5 StR 138/02
5 StR 138/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 14. Mai 2002
in der Strafsache gegen
wegen versuchter sexueller Nötigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 14. Mai 2002
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hamburg vom 9. November 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter sexueller
Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu drei
Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und hat seine
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des
Angeklagten dringt mit der Sachrüge durch. Die Annahme
uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten bei
Begehung der Tat hält sachlich-rechtlicher Prüfung
nicht stand; dies zieht hier die Aufhebung des gesamten Urteils nach
sich.
1. Wegen einer Serie von acht zwischen August 1987 und April 1989
jeweils im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit
begangener Taten (teils versuchter) sexueller Nötigungen bzw.
Vergewaltigungen wurde der Angeklagte im Februar 1990 zu zwei Jahren
und drei Monaten Jugendstrafe verurteilt. Nachdem er Ende Oktober 1990
vorzeitig auf Bewährung entlassen worden war, begann er
bereits im März 1991 eine bis August 1991 andauernde Serie von
fünf erneut im Zustand erheblich verminderter
Steuerungsfähigkeit begangener Vergewaltigungen. Deshalb wurde
er im Mai 1992 unter Einbeziehung der vorgenannten Bestrafung zu einer
einheitlichen Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt, und seine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde angeordnet. 11
Nachdem der Vollzug der Unterbringung Anfang des Jahres 2000
während einer Lehre des Angeklagten erheblich gelockert worden
war, beging dieser im Juli 2000 während des fortdauernden
Vollzugs der Unterbringung die jetzt zu beurteilende Tat: Er
überfiel in den Morgenstunden auf dem Weg zu seiner Lehrstelle
in einer Grünanlage von hinten eine Frau, drückte der
Geschädigten die Luft ab, zog sie ins Gebüsch,
brachte sie zu Boden, würgte sie und versuchte, sie mit
Schlägen vom Schreien abzuhalten, bevor er nach einem
stärkeren Hilfeschrei von ihr abließ und
flüchtete.
2. Das Landgericht hat sich bei diesem Tathergang rechtsfehlerfrei -
unter maßgeblicher Berücksichtigung der
entsprechenden Vorgehensweise des Angeklagten bei seinen
früheren Tatserien - von dessen Ziel überzeugt,
gewaltsam sexuelle Handlungen an seinem Opfer vorzunehmen. Auch
bestehen angesichts der Feststellungen zu den Schreien des Opfers und
den zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten an dem nicht
völlig unbelebten Tatort (UA S. 29) gegen den
Ausschluß eines freiwilligen Rücktritts vom
unbeendeten Versuch der sexuellen Nötigung letztlich keine
durchgreifenden Bedenken (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl.
§ 24 Rdn. 23 m.w.N.), wenngleich es insoweit an
grundsätzlich erforderlichen näheren rechtlichen
Ausführungen des Landgerichts fehlt.
3. Nicht nachvollziehbar bleibt indes der Ausschluß erheblich
verminderter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung
der Tat.
Sachverständig beraten hat das Landgericht festgestellt,
daß beim Angeklagten ungeachtet einiger Therapiefortschritte
während der Unterbringung nach wie vor eine "schwere
kombinierte Persönlichkeitsstörung mit
narzißtischen, dissozialen und emotional-instabilen Anteilen
sowie einer Störung der sexuellen Präferenz im Sinne
eines sexuellen Sadismus", mithin eine schwere andere seelische
Abartigkeit (UA S. 33) vorlag. Der spezifische enge motivatorische
Zusammenhang dieser schweren psychischen Störung des
Angeklagten mit der festgestellten Tat indiziert, wie auch die Revision
zutreffend ausführt, eine erhebliche Verminderung seiner dabei
vorhandenen Steuerungsfähigkeit (vgl. nur
Tröndle/Fischer aaO § 21 Rdn. 4 m.w.N.). Die im
Einklang mit dem psychiatrischen Sachverständigen von der
Strafkammer gegen die Annahme einer Erheblichkeit der zustandsbedingten
Herabsetzung des Steuerungsvermögens angeführten
Erwägungen sind demgegenüber fast durchweg
zweifelhaft und können insgesamt nicht als tragfähig
anerkannt werden. Der Umstand, daß es während der
andauernden Kontrolle in der Unterbringungssituation lediglich zu einer
Einzeltat gekommen ist, mag das Bestehen nach wie vor vorhandener
Selbstkontrollmöglichkeiten des Angeklagten belegen; hierdurch
läßt sich indes nicht widerlegen, daß
diese ungeachtet noch recht massiver Außenkontrolle und trotz
nachdrücklichster Warnungen durch den fortdauernden
Maßregelvollzug bei ihm anlagebedingt instabil sind. Nichts
anderes gilt für den bewußten - wenngleich rechtlich
als unfreiwillig bewerteten - Abbruch der Tat, wie er auch bei
Einzelfällen der ersten Tatserie des Angeklagten erfolgt war.
Die auch sonst gereizte und aggressive Stimmung des Angeklagten im
Tatzeitpunkt mag die Überwindung der gebotenen Eigenkontrolle
trotz aller Außeneinwirkungen erklären, ein Beleg
gegen eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit
ist auch hierin nicht zu finden. Schließlich sind auch aus
dem planvollen und gezielten Tatverhalten des Angeklagten keine
hinreichenden Anzeichen für eine nicht unerhebliche
Beeinträchtigung seines Hemmungsvermögens bei
Tatplanung und -begehung zu ersehen (vgl. auch BGH, Beschl. vom 7.
März 2002 - 3 StR 335/01 zur minderen Bedeutung des
Leistungsverhaltens für die Beurteilung der
Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit durch schwere
seelische Abartigkeit). Allein aus dem eher unauffälligen
Nachtatverhalten läßt sich solches auch kaum
herleiten.
4. Der Senat sieht sich veranlaßt, das Urteil insgesamt
aufzuheben.
Infolge lückenhafter Prüfung enthält es auch
Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten. So hat das Landgericht es
unterlassen, das Vorliegen einer gefährlichen
Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB) zu
prüfen, die nach den Feststellungen durch eine Begehungsweise
mittels eines hinterlistigen Überfalls in Betracht zu ziehen
ist, insbesondere aber angesichts der massiven Einwirkungen auf die
Luftzufuhr der Geschädigten wegen einer Tatbegehung mittels
einer das Leben gefährdenden Behandlung auf der Hand liegt.
Nach den rechtsfehlerfrei angestellten Überlegungen zu den
Parallelen mit den Vortaten des Angeklagten wäre ferner eine
weitergehende Feststellung der Tatziele des Angeklagten in Betracht zu
ziehen gewesen, die seine Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung
(§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) hätte rechtfertigen
können. Für eine Durchentscheidung zum Nachteil des
Angeklagten fehlt es jedenfalls insoweit an ausreichenden
Feststellungen.
Die Rechtsfehler beschweren den Angeklagten zwar nicht. Wenn die
lückenhafte Beurteilung aber bei erneuter umfassender
Beurteilung vermieden wird, könnte dies auch bei Annahme der
Voraussetzungen des § 21 StGB dazu führen,
daß die Schuld des Angeklagten im Ergebnis nicht geringer als
bislang zu bewerten sein wird.
Eine durch bisherige Feststellungen nicht eingeschränkte,
umfassende eigene Sachprüfung durch den neuen Tatrichter ist
daher vorzugswürdig (vgl. auch BGH, Urt. vom 23. Januar 2002 -
5 StR 391/01). Der neue Tatrichter wird danach zu Schuldspruch und
Maßregelanordnung umfassend ohne Bindung an das angefochtene
Urteil, zur Strafe unter Bedacht auf § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO
neu zu befinden haben. Auch unter Berücksichtigung der
schützenswerten Belange der Nebenklägerin erscheint
eine solche Verfahrensweise bei der gegebenen Beweislage, bei der eine
sie besonders belastende zeugenschaftliche Vernehmung zu vermeiden sein
wird, noch vertretbar.
5. Angesichts des Verlaufs der bisherigen Therapie erscheint es
geboten, daß der neue Tatrichter nunmehr einen weder
während der Therapie im Maßregelvollzug noch auch
nur im Vollstreckungsverfahren mit dem Angeklagten befaßten
Sachverständigen zu dessen Schuldfähigkeit vernimmt.
Sofern dieser zu gleichen Befunden wie der bisherige
Sachverständige gelangt, läge bei gleichen oder gar
schwereren Feststellungen zur Tat die gesicherte Annahme der
Voraussetzungen des § 21 StGB auf der Hand, welche - neben
einer kaum milderen Bestrafung - die erneute Anordnung einer
Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gemäß
§ 63 StGB nach sich ziehen dürfte.
Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung sind bei einer Strafhöhe wie bisher, wenn
nicht bereits nach § 66 Abs. 1 StGB (vgl. dazu
Tröndle/Fischer aaO § 66 Rdn. 4), jedenfalls nach
§ 66 Abs. 2 StGB erfüllt. Es käme daher
nicht auf die vom Bundesgerichtshof, soweit ersichtlich, noch nicht
entschiedene Rechtsfrage zu den formellen Voraussetzungen der vom
Landgericht herangezogenen Norm des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB
an, ob bereits eine frühere Verurteilung wegen mehrerer der
genannten Straftaten zu drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe, somit ohne
weiteres die gegen den Angeklagten zuletzt verhängte
einheitliche Jugendstrafe, ausreichte (so Stree in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 66 Rdn.
61) oder ob eine entsprechend hohe Einzelfreiheitsstrafe zu verlangen
wäre (so Hanack in LK 11. Aufl. Nachtrag zu § 66 Rdn.
8); für den letztgenannten Fall fehlte es an der gebotenen
tatrichterlichen Prüfung, ob für eine der durch die
einheitliche Jugendstrafe sanktionierten einschlägigen Taten
allein drei Jahre Jugendstrafe verhängt worden wären.
Neben einer erneuten Unterbringung nach § 63 StGB
käme indes eine Unterbringung nach § 66 StGB
gemäß § 72 Abs. 1 StGB angesichts
identischer Ursachen von psychischer Störung und Hang nicht in
Betracht (vgl. BGH, Urt. vom 19. Februar 2002 - 1 StR 546/01 und vom
20. Februar 2002 - 2 StR 486/01). Der gebotene Schutz der Allgemeinheit
vor dem gefährlichen Angeklagten wäre dann allein im
Vollzug der Unterbringung nach § 63 StGB zu
gewährleisten (BGH aaO).
Harms Häger Basdorf
Brause Schaal
|