BGH,
Beschl. v. 15.8.2001 - 3 StR 231/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 231/01
vom
15. August 2001
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 15. August 2001 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 13. November 2000 aufgehoben, jedoch bleiben die
Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts
zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in
Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Mit verfahrens-
und sachlichrechtlichen Beanstandungen wendet er sich gegen seine
Verurteilung. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
Die Verurteilung wegen versuchten Mordes hat keinen Bestand. Das Urteil
enthält keine ausreichenden Feststellungen zur Frage eines
möglichen strafbefreienden Rücktritts.
I.
Nach den Feststellungen hatte sich der Angeklagte hinter seinem Auto im
Hof versteckt. Er war entschlossen, sich an dem späteren
Tatopfer, dem Zeugen B. , wegen einer von ihm erlittenen Niederlage bei
einer Auseinandersetzung, seit der er mit dem Zeugen kein Wort mehr
gewechselt hatte, zu rächen und ihn zu erschießen.
Als B. über die Kelleraußentreppe den Hof betrat,
kam der Angeklagte hinter seinem Pkw hervor und feuerte aus einer
Entfernung von maximal vier Metern aus einer Pistole mindestens zwei,
wahrscheinlich aber drei, vier oder auch fünf Schüsse
auf den völlig überraschten B. ab, wobei er
vornehmlich auf den Kopf zielte, um ihn zu töten. Der
Angeklagte, der nach dem letzten abgegebenen Schuß davon
überzeugt war, den im Gesicht bereits stark blutenden B.
tödlich getroffen zu haben, sagte deshalb zu diesem auf
russisch: "so, jetzt haben wir gesprochen".
Zur Überraschung des Angeklagten brach B. infolge der
Schüsse jedoch nicht zusammen, sondern bewegte sich statt
dessen auf den Angeklagten zu. Dieser ergriff daraufhin die Flucht und
lief vor B. her durch die Toreinfahrt in Richtung der angrenzenden
Straße. B. verfolgte den Angeklagten bis zum Ende des
Hofdurchgangs, ohne ihn jedoch zu erreichen. Dort angekommen, lehnte
der sich gegen die Mauer. In diesem Moment verspürte er einen
kräftigen Schlag gegen die Brust und einen stechenden Schmerz.
Ihm wurde schwindlig und er rutschte langsam an der Mauer nach unten,
bis er auf seiner rechten Körperseite
blutüberströmt am Boden lag. Der Angeklagte war nach
der Tat durch den Toreingang davongelaufen und hatte die Tatwaffe in
einen Vorgarten geworfen. Möglicherweise war er aber auch
schon nach wenigen Metern wieder zum Hofdurchgang
zurückgekehrt, hatte B. dort noch einen Schlag mit der Waffe
versetzt, diese anschließend in den Vorgarten geworfen und
war dann an seinem nunmehr hilflos und blutüberströmt
am Boden liegenden Opfer vorbei in seine Wohnung
zurückgekehrt. In der später aufgefundenen Waffe
steckten noch eine leere Hülse und eine nicht abgeschossene
Patrone.
Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt mit
folgender Erwägung ausgeschlossen (UA S. 45, 46):
Nach der Abgabe des letzten Schusses sei der Versuch des Angeklagten,
B. zu töten, nach seinen Vorstellungen beendet gewesen. Er
habe gewußt, daß das
blutüberströmt vor ihm stehende Opfer mindestens
durch einen Schuß im Gesicht getroffen sein mußte.
Er ging fest davon aus, daß weitere Schüsse nicht
mehr erforderlich wären, weil er den Zeugen tödlich
getroffen hatte. Diese Überzeugung habe er mit den Worten "so,
jetzt haben wir gesprochen" kommentiert.
Soweit der Angeklagte möglicherweise bei seiner Flucht zum
Toreingang zurückgekehrt und dem Schwerverletzten mit der
Waffe noch einen schmerzhaften Hieb gegen die Brust versetzt habe,
ändere dies nichts an seiner Vorstellung, daß B.
auch ohne diese erneute Mißhandlung an den vorangegangenen
Schußverletzungen sterben würde. Auch hält
das Schwurgericht es für ausgeschlossen, daß der
Angeklagte inzwischen seine Willensrichtung derart geändert
hatte, daß er eine weitere Tötungsaktion
bewußt unterließ und seinen erneuten Angriff
deshalb auf eine bloße Körperverletzung
beschränkte, weil er nunmehr plötzlich nicht mehr
wollte, daß sein verhaßter Hausmitbewohner stirbt
(UA S. 45 f.).
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung führt es (UA S.
50) aus, daß der Angeklagte nach seinen Vorstellungen mit der
letzten Schußabgabe alles Erforderliche getan habe, um B. zu
töten. Angesichts des offensichtlichen Kopfschusses sei er
davon ausgegangen, daß der Zeuge diese Verletzung nicht
überlebt.
II.
1. Die Rüge, der Antrag auf Rekonstruktion des Tatverlaufs,
hilfsweise auf Inaugenscheinnahme des Hauses und des Hinterhofs, sei
rechtsfehlerhaft abgelehnt worden, ist unbegründet. Der Senat
verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
2. Auf die Rüge, die Strafkammer habe es zu Unrecht
unterlassen, ein weiteres Sachverständigengutachten zur
Schuldfähigkeit bzw. zur verminderten Schuldfähigkeit
des Angeklagten einzuholen, kommt es nicht an, da der Senat den
Schuldspruch aufgehoben hat. Im übrigen verweist er auch
insoweit auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
3. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des
Schuldspruchs. Die Prüfung des Landgerichts, ob der Angeklagte
möglicherweise mit strafbefreiender Wirkung vom Mordversuch
zurückgetreten ist, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Der Tatrichter hat bei der Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten
Versuch auf die Vorstellung des Angeklagten bei der letzten
Schußabgabe abgestellt und festgestellt, daß der
Angeklagte zu diesem Zeitpunkt davon ausging, sein mindestens durch
einen Schuß ins Gesicht getroffene Opfer sei tödlich
getroffen und werde die Verletzungen nicht überleben.
Unberücksichtigt gelassen hat er bei der Prüfung des
Rücktrittshorizonts das sich unmittelbar
anschließende weitere Geschehen: Zur Überraschung
des Angeklagten brach der Zeuge nämlich nicht zusammen,
sondern bewegte sich auf ihn zu, schlug ihn dadurch in die Flucht und
verfolgte ihn noch bis zur Toreinfahrt. Welche Vorstellungen der
Angeklagte, der noch im Besitz der mit einer Patrone geladenen Waffe
war, zu diesem Zeitpunkt von der lebensgefährdenden Wirkung
und der Möglichkeit des Erfolgseintritts hatte,
erörtert der Tatrichter nicht. Dessen hätte es aber
bedurft. Denn die Feststellungen des Landgerichts, daß das
Opfer nach der letzten Ausführungshandlung noch in der Lage
war, den Angreifer in die Flucht zu schlagen und seine Verfolgung
über eine längere Strecke aufzunehmen, spricht eher
gegen den Eindruck eines tödlich Getroffenen und damit gegen
einen beendeten Versuch. Erkennt aber der Täter im
unmittelbaren Zusammenhang mit der letzten Ausführungshandlung
seine Vorstellung als irrig, so erlangt die an der wahrgenommenen
Wirklichkeit korrigierte Vorstellung für den
Rücktrittshorizont maßgebliche Bedeutung (BGHSt 36,
224). Deshalb bedürfen in einem solchen Fall die Vorstellungen
des Täters besonders eingehender Erörterung (vgl.
BGHR StGB § 24 I Satz 1 Versuch, unbeendeter 31, 33; BGH bei
Altvater NStZ 1999, 20; 2000, 24 m.w.Nachw.).
b) Die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts
durfte das Gericht nicht im Hinblick auf die Erwägung, der
Angeklagte sei möglicherweise zum Toreingang
zurückgekehrt und habe dem Zeugen noch einen schmerzhaften
Hieb mit der Waffe zugefügt, wobei sich nichts an seiner
Vorstellung, daß dieser auch ohne die neue
Mißhandlung an den vorangegangenen
Schußverletzungen sterben würde, geändert
hätte, knüpft an ein nur für
möglich gehaltenes, aber nicht festgestelltes, also nicht
bewiesenes (vgl. Engelhardt in KK-StPO 4. Aufl. § 261 Rdn. 56)
Geschehen an. Dies ist unzulässig, weil Umstände, die
zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden, feststehen
müssen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45.
Aufl. § 261 Rdn. 29 m.w.Nachw.). Aus nur möglichen,
im Zweifel gebliebenen Umständen darf nichts zu Lasten des
Angeklagten hergeleitet werden.
4. Die objektiven Feststellungen bleiben aufrechterhalten, sie sind von
dem Rechtsfehler nicht berührt. Ergänzende
Feststellungen sind möglich und zulässig.
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