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BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2003 - 1 StR 300/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 15.10.2003 - 1 StR 300/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 300/03
vom
15.10.2003
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zur vorsätzlichen Körperverletzung
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15.10.2003 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 18. Februar 2003 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur vorsätzlichen
Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 rurteilt.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg; eines Eingehens auf die
Verfahrensrügen bedarf es daher nicht. Hinsichtlich der Prozeßvoraussetzungen
wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts verwiesen.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Chefarzt
der neurochirurgischen Abteilung der O. Klinik in R .
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- früher das Krankenhaus E. . Wegen eines Bandscheibenvorfalls
begab sich die Nebenklägerin Kr. im August 1996 zur operativen
Behandlung in die dem Angeklagten unterstellte Abteilung. Durch eine zuvor
erfolgte Kernspintomographie waren bei ihr ein schwerer Bandscheibenvorfall
im Bandscheibenfach L 4/L 5 der Lendenwirbelsäule und ein leichter
Bandscheibenvorfall im darunterliegenden Bandscheibenfach L 5/S 1 festgestellt
worden. Der schwere Bandscheibenvorfall sollte operativ behandelt werden.
Die zweite Oberärztin Frau Dr. K. führte mit einem jungen Assistenzarzt
die Operation durch. Von ihr unbemerkt operierte sie in der darunterliegenden
Etage L 5/S 1 und entfernte den kleinen Bandscheibenvorfall. Am nächsten
Tag traten bei der Patientin Lähmungserscheinungen der unteren Extremitäten
auf, die auf eine Beeinträchtigung von Nervenfasern hinwiesen. Ursache der
Nervenbeeinträchtigung konnte ein Frührezidiv sein - dabei handelt es sich um
einen erneuten Vorfall im selben Fach - oder das Fortbestehen des ursprünglichen
Vorfalls nach Verwechslung der Etage. Röntgendiagnostische Untersuchungen
und eine Computertomographie durch den Radiologen Dr. B.
ergaben eindeutig die Verwechslung der Etage. Dies wurde von ihm und der
Oberärztin ohne Zweifel erkannt und auch in der Krankenakte dokumentiert.
Dr. K. informierte den Angeklagten als ihren Chefarzt und fragte ihn,
schockiert über ihren Kunstfehler, um Rat. Er riet ihr zu folgender Vorgehensweise,
die auch ausgeführt wurde: Sie solle der Patientin den Fehler verschweigen
und ihr die Notwendigkeit einer nochmaligen Operation im tatsächlich
nicht operierten Fach L 4/L 5 mit einem Frührezidiv erklären. Dann solle sie
bei der zweiten Operation den schweren Bandscheibenvorfall entfernen und
außerdem den rechten Wirbelhalbbogen am darunterliegenden Lendenwirbel
5. Im zweiten Operationsbericht solle sie angeben, sie habe ein Frührezidiv,
vorbenannten Wirbelhalbbogen und bei dieser Gelegenheit auch den kleinen
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Bandscheibenvorfall entfernt. Entsprechend wahrheitswidrig aufgeklärt, erteilte
die Patientin ihre Einwilligung zur zweiten Operation. Von dem Umstand, daß
schon vor der Operation die Entfernung des rechten Wirbelhalbbogens L 5/S 1
beschlossen war, erfuhr sie nichts. Daß diese Entfernung medizinisch indiziert
war, hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten mangels möglicher anderweitiger
Feststellungen angenommen.
Im Rahmen der Strafzumessung stellt die Kammer fest, daß die Nebenklägerin
in Kenntnis des wahren Sachverhalts in die medizinisch zwingend indizierte
zweite Operation eingewilligt hätte und die Operation im Ergebnis sowohl
ihrem Willen als auch ihrem Interesse entsprach (UA S. 20). Weiterhin
stellt die Kammer fest, die Patientin hätte - wäre sie über den Sachverhalt zutreffend
unterrichtet worden - möglicherweise auch einer zweiten Operation
durch Frau Dr. K. aufgrund der Notwendigkeit und Dringlichkeit zugestimmt.
Möglicherweise hätte sie aber auch bei Kenntnis des von Frau Dr. K. am
Vortag begangenen schweren Fehlers darauf bestanden, von einem anderen
Arzt operiert zu werden. Von einer mutmaßlichen Einwilligung der Patientin
seien jedoch weder der Angeklagte noch die Oberärztin Dr. K. ausgegangen
(UA S. 7).
II.
Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch wegen Anstiftung zu
einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Körperverletzung nicht (§§ 223,
26 StGB).
1. Zutreffend geht das Landgericht im rechtlichen Ansatz davon aus, daß
ärztliche Heileingriffe nur durch eine von Willensmängeln nicht beeinflußte
Einwilligung des Patienten gemäß § 228 StGB gerechtfertigt sind (BGHSt 16,
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309). Es hat daher rechtsfehlerfrei angenommen, daß die durch Täuschung
herbeigeführte Einwilligung - über die Ursache der notwendig gewordenen
zweiten Operation - unwirksam war, d.h. keine rechtfertigende Wirkung entfalten
konnte.
2. Soweit die Kammer sich mit einer "mutmaßlichen Einwilligung" befaßt,
ist offenkundig eine hypothetische Einwilligung gemeint. Um einen ärztlichen
Eingriff, der dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, der nicht befragt
werden kann, geht es hier erkennbar nicht (vgl. zum Begriff BGHSt 35,
246).
3. Hinsichtlich einer hypothetischen Einwilligung sind die Urteilsfeststellungen
im objektiven Bereich lückenhaft. Das Landgericht hätte sich nicht mit
der Feststellung begnügen dürfen, der Angeklagte und Dr. K. seien von einer
"mutmaßlichen" - richtigerweise hypothetischen - Einwilligung der Patientin in
die konkret durchgeführte Operation durch die Oberärztin bei wahrheitsgemäßer
Aufklärung nicht ausgegangen. Damit ist lediglich für die subjektive Tatseite
belegt, daß der Angeklagte zu einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Tat
anstiften wollte.
Die Rechtswidrigkeit entfällt aber, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer
Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte.
Der nachgewiesene Aufklärungsmangel kann nur dann zur Strafbarkeit wegen
Körperverletzung und wegen der Akzessorietät auch nur dann zur Strafbarkeit
der Anstiftung zu dieser Tat führen, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung die
Einwilligung unterblieben wäre (BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 2; Eser in
Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 223 Rdn. 40; BGH NStZ 1996, 34 - Urt.
vom 29. Juni 1995 - 4 StR 760/94 -; im Zivilrecht BGH NJW 1984, 1397; BGH
NJW 1991, 2344). Dies ist dem Arzt nachzuweisen. Verbleiben Zweifel, so ist
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nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" zugunsten des Arztes davon auszugehen,
daß die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erfolgt wäre
(BGH NStZ 1996, 34; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 3. Aufl. 2003,
Rdn. 132).
Die Kausalität des Aufklärungsmangels hat das Landgericht offengelassen.
Bei der Kausalitätsprüfung ist auf das konkrete Entscheidungsergebnis
des jeweiligen Patienten abzuheben. Es kommt nicht darauf an, daß er sich
ohnehin hätte operieren lassen müssen oder daß ein vernünftiger Patient eingewilligt
hätte (BGH NJW 1984, 1397; Eser aaO). Das Landgericht hätte nicht
offenlassen dürfen, ob die Nebenklägerin in Kenntnis des wahren Sachverhalts
möglicherweise auch in eine Operation durch Frau Dr. K. eingewilligt, möglicherweise
aber auch darauf bestanden hätte, von einem anderen Arzt operiert
zu werden. Es hätte auch nicht offenlassen dürfen, ob die Nebenklägerin der
zuvor beschlossenen Entfernung des Wirbelhalbbogens zugestimmt hätte,
selbst wenn diese Entfernung medizinisch indiziert gewesen sein sollte. Daß
die zweite Operation im Ergebnis ihrem Willen und Interesse entspricht, reicht
nicht aus. Eine "in dubio" Entscheidung durch das Revisionsgericht kommt
nicht in Betracht, weil weitere Feststellungen zur hypothetischen Einwilligung
möglich erscheinen.
III.
Für die neue Hauptverhandlung sieht der Senat Anlaß zu folgendem
Hinweis:
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Bei einer Befragung der Geschädigten zur hypothetischen Einwilligung
ist deren Äußerung und Begründung einer Würdigung zu unterziehen. Diese
muß erkennen lassen, daß die Entscheidung der Patientin zum damaligen
Zeitpunkt aus ihrer Sicht bei Aufdeckung des wahren Sachverhalts eine nachvollziehbare
und mögliche Schlußfolgerung ist (BGH NStZ 1996, 34).
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