BGH,
Beschl. v. 16.7.2002 - 4 StR 179/02
4 StR 179/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
16. Juli 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Juli
2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Dortmund vom 6. November 2001 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer
Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit seiner Revision
rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das
Rechtsmittel hat auf die Sachrüge in dem aus der
Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im
übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
Zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs führt in erster
Linie, daß die Ablehnung der Maßregelanordnung nach
§ 64 StGB durch das Landgericht der rechtlichen
Überprüfung nicht standhält.
Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen
Strafkammer betreibt der deutlich minderbegabte Angeklagte im Rahmen
seiner dissozialen Persönlichkeit aus Langeweile bereits
langjährig einen exzessiven Alkoholmißbrauch. Im
Tatzeitpunkt betrug seine Blutalkoholkonzentration 1,92 %. Auch
früher war er bei Begehung erheblicher Straftaten, u.a. bei
Begehung eines Sexualdelikts, mit ähnlich hohen oder
höheren Blutalkoholkonzentrationen aufgefallen. Das Vorliegen
der Voraussetzungen einer erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB hat die
Strafkammer vorliegend nicht festzustellen vermocht (UA 24/47 ff.).
Zur Begründung der Ablehnung einer Maßregelanordnung
nach § 64 StGB führt das Landgericht lediglich aus,
die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt komme, ebenso wie die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, mangels Vorliegens
der gesetzlichen Voraussetzungen nicht in Betracht. Angesichts der
getroffenen Feststellungen ist das Revisionsgericht anhand dieser
formelhaften Begründung nicht in der Lage
nachzuprüfen, ob die Strafkammer zu Recht von einer
Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB abgesehen hat.
Dies versteht sich hier nicht von selbst.
Die Begründung läßt bereits besorgen,
daß die Strafkammer davon ausgegangen ist, die Annahme eines
Hanges oder eines Rausches im Sinne des § 64 StGB setze eine
erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens im Sinne des
§ 21 StGB voraus. Dies ist indes nicht der Fall. Denn anders
als bei § 63 StGB kommt es für die Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt nicht darauf an, daß zumindest
verminderte Schuldfähigkeit des Täters
gemäß § 21 StGB feststeht (vgl. BGHR StGB
§ 64 Abs. 1 Hang 2; BGH NStZ-RR 2001, 12). Ebensowenig ist
für die Feststellung eines Hanges erforderlich, daß
eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende
Abhängigkeit vorliegt. Es genügt vielmehr eine
eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch
Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel
zu sich zu nehmen. Diese Neigung muß noch nicht den Grad
einer physischen Abhängigkeit erreicht haben (vgl. BGHR StGB
§ 64 Abs. 1 Hang 5). Nach den Feststellungen liegt beim
Angeklagten ein Hang in diesem Sinne auf der Hand. Ebenso liegt es
nahe, daß zwischen dem Hang des Angeklagten zum
Alkoholmißbrauch und seiner Tat der erforderliche
symptomatische Zusammenhang bestanden hat. Ein solcher ist
nämlich auch dann zu bejahen, wenn der Hang zum
Alkoholmißbrauch neben anderen Umständen mit dazu
beigetragen hat, daß der Angeklagte eine erhebliche
rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem
Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist. Dieser
Zusammenhang kann daher grundsätzlich nicht allein deshalb
verneint werden, weil außer dem Alkoholmißbrauch
noch weitere Persönlichkeitsmängel, beim Angeklagten
dessen dissoziale Persönlichkeitsstruktur, eine Disposition
für die Begehung von Straftaten begründen (vgl. BGHR
StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1, 2).
Unter diesen Umständen hätte es einer
näheren Erörterung der Ablehnung der Anordnung der
Maßregel bedurft. Daß eine konkrete Erfolgsaussicht
dieser Maßregel (vgl. BVerfGE 91, 1 ff.) nicht besteht, ist
den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Der Erörterungsmangel nötigt hier zur Aufhebung des
gesamten Strafausspruchs. Es kann nicht ausgeschlossen werden,
daß das Landgericht im Falle der Anordnung der
Maßregel auf eine mildere Strafe erkannt hätte. Der
neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 21 StGB erneut zu prüfen,
insbesondere unter dem Gesichtspunkt, ob die Minderbegabung, die
dissoziale Persönlichkeitsstruktur und die Alkoholisierung des
Angeklagten in ihrem Zusammenwirken zu einer Beeinträchtigung
der Schuldfähigkeit des Angeklagten geführt haben
(vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 5). Sofern der neue
Tatrichter zur positiven Feststellung eines dauerhaften Zustandes im
Sinne des § 21 StGB gelangt, würde auch die Frage der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erörtern
sein.
Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die
Nachholung einer Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2
StPO; BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die
Nichtanwendung der §§ 63, 64 StGB durch das
Tatgericht auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl.
BGHSt 38, 362).
Maatz Athing Solin-Stojanovic Ernemann Sost-Scheible
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