BGH,
Beschl. v. 18.8.2009 - 4 StR 280/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 280/09
vom
18. August 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Mordes u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 18. August
2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Dessau-Roßlau vom 18. Februar 2009 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Jugendkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen versuchten Mordes in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
verurteilt, den Angeklagten F. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren
und zehn Monaten und den Angeklagten H. unter Einbeziehung der Strafen
aus zwei weiteren Urteilen zu einer Einheitsjugendstrafe von sieben
Jahren und zwei Monaten. Gegen ihre Verurteilung wenden sich die
Angeklagten jeweils mit der Sachrüge, der Angeklagte F.
beanstandet darüber hinaus das Verfahren.
1
I.
Die vom Angeklagten F. erhobenen Verfahrensrügen
genügen aus den zutreffenden Gründen der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht den Anforderungen des
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind daher unzulässig.
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Zu der Rüge, der Angeklagte sei in seinem Anspruch auf ein
faires Verfahren und in seinem Recht auf effektive Verteidigung
verletzt worden (§ 338 Nr. 8 StPO i.V.m. Art. 6 Abs. 1, Abs. 3
c EMRK), da ihm nicht der gewünschte Verteidiger als
Pflichtverteidiger beigeordnet worden sei, bemerkt der Senat
ergänzend:
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Es erscheint nicht unbedenklich, dass die Jugendkammer ihre
Entscheidung, dem Angeklagten nicht den von ihm gewünschten
Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beizuordnen, auf dessen Belastung
mit Terminswahrnehmungen aus anderweitig übernommenen
Mandatsverpflichtungen gestützt hat, ohne zuvor die
Verfügbarkeit für die im vorliegenden Verfahren in
Aussicht genommenen Hauptverhandlungstermine mit ihm geklärt
zu haben. Im Übrigen kann das von § 142 Abs. 1 Satz 1
StPO geschützte Kosteninteresse nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei erheblichen
Tatvorwürfen im Rahmen der gebotenen Abwägung aller
Umstände hinter dem Interesse des Beschuldigten auf
Verteidigung durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens
zurücktreten (vgl. dazu BGHSt 43, 153, 155 f.; zur
Maßgeblichkeit der Entfernung zwischen Gerichtsort und dem
Sitz des Rechtsanwalts; vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl.
§ 142 Rdn. 12 m.w.N.).
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II.
Hingegen haben die Rechtsmittel der Angeklagten jeweils mit der
Sachrüge Erfolg.
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1. Das Landgericht hat festgestellt, dass sich die miteinander
befreundeten Angeklagten in der Tatnacht zum Haus des
Geschädigten begaben, nachdem sie sich zuvor beide mit Messern
mit einer Klingenlänge von etwa 25 cm
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ausgerüstet hatten. Sie verfolgten ohne erkennbaren Grund den
Plan, den Geschädigten heimlich und ohne Aufsehen zu
töten. Nachdem der Geschädigte die beiden Angeklagten
in seine Wohnung eingelassen hatte, bereitete er im Wohnzimmer eine
Wasserpfeife vor, um Cannabis zu rauchen. Während er mit dem
Anzünden der Wasserpfeife beschäftigt und deswegen
abgelenkt war, stand der Angeklagte H. vom Sofa auf und stach in
sekundenschneller Abfolge mit seinem dem Geschädigten bis
dahin verborgen gebliebenen Messer in dessen linke Wange und gleich
darauf in die linke Oberkörperseite, wobei er die Arg- und
Wehrlosigkeit des Geschädigten in diesem Moment des
Abgelenktseins bewusst ausnutzte und, ebenso wie der Angeklagte F. ,
dabei den Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf
nahm. Dem Geschädigten, der durch den Stich in den
Oberkörper lebensgefährlich verletzt war, gelang es,
mit der Wasserpfeife um sich zu schlagen sowie gegen den Angeklagten H.
zu treten, wobei er die Angeklagten anschrie, sie sollten verschwinden.
Mit den Worten "Mach, er muss sterben!" oder "Mach! jetzt muss er
sterben!" gab H. dem Mitangeklagten F. , der nun ebenfalls sein Messer
gezogen hatte, zu verstehen, dass nunmehr dieser an der Reihe sei, den
Tatplan fortzuführen. Der Angeklagte F. machte daraufhin eine
Geste, indem er den Angeklagten H. an die Schulter fasste, um ihm zu
verstehen zu geben, dass er mitkommen solle. Beide Angeklagten
verließen die Wohnung, nachdem sie erkannt hatten, dass ihr
Plan, den Geschädigten heimlich und ohne Aufsehen zu erregen
umzubringen, infolge der Gegenwehr und des Schreiens des
Geschädigten gescheitert war.
Das Landgericht hat bezüglich beider Angeklagter einen
strafbefreienden Rücktritt vom versuchten
Tötungsdelikt gemäß § 24 Abs. 2
StGB verneint, da der Versuch fehlgeschlagen sei. Der schwer verletzte
Geschädigte habe sich entgegen den Erwartungen der Angeklagten
gewehrt und um sich geschlagen;
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außerdem habe er die Angeklagten angeschrieen, so dass die
Gefahr bestanden habe, dass andere Hausbewohner auf das Geschehen
aufmerksam würden. Der Plan, den Geschädigten
heimlich und ohne Aufsehen zu erregen umzubringen, sei, was die
Angeklagten sodann erkannt hätten, gescheitert.
2. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen die Annahme
eines fehlgeschlagenen Versuchs nicht. In seiner Antragsschrift hat der
Generalbundesanwalt dazu u.a. Folgendes ausgeführt:
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"Ein Versuch ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
fehlgeschlagen, wenn der Erfolgseintritt objektiv nicht mehr
möglich ist und der Täter dies erkennt oder aber wenn
der Täter den Erfolgseintritt irrig nicht mehr für
möglich hält. Ein Fall des fehlgeschlagenen Versuchs
liegt hingegen nicht vor, sofern der Täter nach
anfänglichem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs sogleich
zu der Annahme gelangt, er könne ohne zeitliche Zäsur
mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die
Tat noch vollenden (vgl. BGHSt 39, 221, 228; BGHR StGB § 24
Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 22; Versuch, fehlgeschlagener 8; Fischer,
StGB, 56. Aufl., § 24 Rn. 11).
Ausgehend hiervon begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken,
dass das Landgericht einen fehlgeschlagenen Versuch deshalb annahm,
weil "der Plan" der Angeklagten "gescheitert" war, den Zeugen S.
heimlich umzubringen, ohne in irgendeiner Form Aufsehen zu erregen, und
"dieser Plan mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden
Mitteln nicht mehr realisiert werden" konnte (UA S. 26 f.). Denn
hiernach hat das Landgericht die Frage des Fehlschlagens des
Tötungsversuchs nach Tatplankriterien zu beantworten gesucht
und einen fehlgeschlagenen Versuch bereits deshalb angenommen, weil die
Angeklagten davon ausgingen, die Tat nicht in der ursprünglich
geplanten Weise vollenden zu können. Nach Maßgabe
des Rücktrittshorizonts hätte sich das Landgericht
dagegen zur Abklärung des Fehlschlags des Tö-
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tungsversuchs damit auseinandersetzen müssen, ob die
Angeklagten nach Vollzug der Tathandlung annahmen, den Tod des Opfers
ohne zeitliche Zäsur überhaupt nicht mehr
herbeiführen zu können. Dass es den Angeklagten in
diesem Sinne nicht möglich gewesen wäre, dem bereits
schwer verletzten Opfer noch weitere tödliche Stiche
beizubringen, oder dass die Angeklagten dies irrtümlich
annahmen, liegt nach den Feststellungen jedenfalls nicht nahe.
Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang auch darauf abstellte,
dass aufgrund der Gegenwehr des Zeugen S. und seiner Schreie die Gefahr
bestanden habe, dass andere Personen auf das Geschehen aufmerksam
würden, ergibt sich auch hieraus kein Fehlschlag des Versuchs.
Vielmehr ist ein gesteigertes Entdeckungsrisiko allein für die
Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts von Bedeutung (Senat,
Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; Fischer, aaO.).
Das Landgericht hätte sich daher mit der Frage eines
strafbefreienden Rücktritts vom unbeendeten Versuch
auseinandersetzen müssen, der auch im Falle des § 24
Abs. 2 StGB in Betracht kommt, wenn die Täter einvernehmlich
nicht mehr weiterhandeln, obwohl sie dies könnten (Senat,
Beschluss vom 26. Juni 2007 - 4 StR 136/07; Fischer, aaO., §
24 Rn. 41).
Dem tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend:
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Dass die Täter nach Durchführung der Tathandlung
annahmen, alles Erforderliche getan zu haben, ist auch deshalb nicht
nahe liegend, hätte aber in jedem Fall besonderer
Begründung bedurft, weil sie nach den Feststellungen die
Schwere der Verletzungen bei dem mit einem T-Shirt und einer Jacke
bekleideten Geschädigten nicht wahrnahmen. Auch der
Rettungsassistent P. , der mit dem herbeigerufenen Krankenwagen erst
später in der Wohnung des Geschädigten erschien,
konnte zunächst mit Ausnahme einer Schnittverletzung
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an der Wange keine weiteren äußeren Verletzungen
beim Geschädigten erkennen.
Die von der Jugendkammer getroffenen Feststellungen lassen daher einen
freiwilligen Rücktritt beider Angeklagter als möglich
erscheinen. Dies wird der neue Tatrichter im Einzelnen
aufklären und dabei auch prüfen müssen, ob
die Angeklagten wegen der Schreie und der Gegenwehr des Tatopfers
annahmen, die Tat werde alsbald entdeckt werden, und deshalb wegen
eines beträchtlich gesteigerten Entdeckungsrisikos nicht mehr
freiwillig von der Tat Abstand nahmen. Dagegen spricht insbesondere,
worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, dass der
Angeklagte H. den Angeklagten F. trotz der Gegenwehr noch dazu
aufforderte, nun seinerseits auf das Opfer einzustechen. Dies legt die
Annahme nahe, dass er eine Vollendung der Tat trotz Abweichung vom
ursprünglichen Tatplan noch nicht für unvertretbar
riskant erachtete, zumal der Geschädigte im Hausflur erst um
Hilfe schrie, als sich beide Angeklagten vom Tatort bereits entfernt
hatten.
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Tepperwien Maatz Schmitt
Franke Mutzbauer |