BGH,
Beschl. v. 18.12.2001 - 1 StR 444/01
BtMG 1981 § 31 Nr. 1
Stellt der Tatrichter bei einem Betäubungsmitteldelikt einen
Aufklärungserfolg nach § 31 Nr. 1 BtMG fest, kann
eine nach § 49 Abs. 2 StGB mögliche Milderung des an
sich anzuwendenden Strafrahmens nicht allein mit der
Begründung versagt werden, die Menge des verstrickten
Rauschgifts sei zu hoch; maßgeblich ist auch das Gewicht des
Aufklärungserfolges.
BGH, Beschluß vom 18. Dezember 2001 - 1 StR 444/01 - LG
Mosbach
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 444/01
vom
18. Dezember 2001
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 18. Dezember 2001
beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mosbach vom 2. Juli 2001 im Strafausspruch mit den Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und einen
Betrag von 2.500 DM für verfallen erklärt. Hiergegen
wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die
Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat im
Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet
im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen fand die Angeklagte aufgrund eines Hinweises
ihres kurz zuvor wegen des Verdachts des Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln festgenommenen Lebensgefährten im
Keller ihrer Wohnung 200 g Heroin mit einem Heroinhydrochloridgehalt
von 43 %. Sie veräußerte das Heroin - teilweise auf
Kommission - an dessen frühere Kunden, damit diese das
Rauschgift mit Gewinn weiterverkaufen sollten. Sie wollte den
Erlös für ihren Lebensgefährten verwenden.
Aufgrund der freiwilligen Offenbarung ihres Wissens konnten
Betäubungsmittelstraftaten von vier anderen Beschuldigten
aufgedeckt werden.
Die Strafkammer hat die Strafe dem Regelstrafrahmen des § 29a
Abs. 1 BtMG entnommen, der von einem Jahr bis 15 Jahre Freiheitsstrafe
reicht. Das Vorliegen eines minder schweren Falles nach § 29a
Abs. 2 BtMG sowie eine mögliche Strafrahmenverschiebung nach
§ 31 Nr. 1 BtMG, § 49 Abs. 2 StGB hat die Kammer mit
folgender Begründung verneint:
"Es wurde neben dem vertypten Strafmilderungsgrund gesehen,
daß die Angeklagte nicht vorbestraft und geständig
war. Auch die besondere Strafempfindlichkeit der Angeklagten sowie der
Umstand, daß es sich um eine einmalige Gelegenheitstat
handelte, wurden bedacht. Für die Angeklagte sprach
schließlich, daß sie den Erlös aus den
Geschäften für ihren Lebensgefährten
verwenden wollte, wodurch die Angeklagte ihre Tatbeteiligung in die
Nähe der Beihilfe stellte. Andererseits mußte aber
berücksichtigt werden, daß das etwa 57-fache der
nicht geringen Menge Heroin [86 Gramm Heroinhydrochlorid] an den
Endverbraucher gelangte. Aus den gleichen Gründen schied auch
eine Herabsetzung des Mindestmaßes gemäß
§§ 31 BtMG, 49 Abs. 2 StGB aus."
2. Diese Begründung für die Ablehnung einer
Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG i.V.m. § 49
Abs. 2 StGB hält rechtlicher Überprüfung
nicht stand. Die Strafkammer hat sich bei den ihr nach § 31
BtMG offen stehenden Wahlmöglichkeiten für eine
Strafmilderung allein auf die festgestellte Rauschgiftmenge
gestützt.
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß die Strafkammer
keinen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG angenommen
hat. Bei dieser zunächst gebotenen Prüfung (st.
Rspr.; BGH, Beschl. vom 7. April 1999 - 2 StR 96/99) stellt die
festgestellte Aufklärungshilfe einen vertypten
Strafmilderungsgrund (BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 22) dar,
der in eine Gesamtabwägung aller strafzumessungserheblichen
Umstände einzubeziehen ist, wenn die allgemeinen
Milderungsgründe für die Annahme eines minder
schweren Falles auch ohne den vertypten Milderungsgrund nicht
ausreichen. Die Kammer ist aufgrund der Tatumstände zu dem
Ergebnis gelangt, daß der Beitrag der Angeklagten zum
unerlaubten Handeltreiben in der Nähe zur Beihilfe liegt.
Zugunsten der Angeklagten hat sie auch als Nachtatverhalten das
frühe umfassende Geständnis und die
Aufklärungshilfe berücksichtigt. Diesen
Gesamtumständen, die eher für das Vorliegen eines
minder schweren Falles sprechen, hat die Kammer als erschwerenden
Umstand gegenübergestellt, daß das etwa 57-fache des
Grenzwertes der nicht geringen Menge an den Endverbraucher gelangt ist.
Indem sie in den Urteilsgründen zum Ausdruck gebracht hat, sie
habe den vertypten Strafmilderungsgrund des § 31 BtMG
"gesehen", hat sie noch ausreichend zum Ausdruck gebracht,
daß der Erschwerungsgrund der erheblichen Rauschgiftmenge die
Milderungsgründe einschließlich der
Aufklärungshilfe überwiegt. Diese tatrichterliche
Würdigung ist revisionsrechtlich hinzunehmen.
b) Stellt der Tatrichter jedoch bei einem
Betäubungsmitteldelikt einen Aufklärungserfolg nach
§ 31 Nr. 1 BtMG fest, kann eine nach § 49 Abs. 2 StGB
mögliche Milderung des an sich anzuwendenden Strafrahmens
nicht allein mit der Begründung versagt werden, die Menge des
verstrickten Rauschgifts sei zu hoch; maßgeblich ist auch das
Gewicht des Aufklärungserfolges.
Kriminalpolitisches Ziel der Vorschrift des § 31 BtMG ist,
über die Aufklärungshilfe von in Rauschgiftdelikte
verstrickten Tätern und Beteiligten in den illegalen
Rauschgiftmarkt einzudringen und die Möglichkeiten der
strafrechtlichen Verfolgung begangener (Nr. 1) und der Verhinderung
geplanter (Nr. 2) Straftaten zu verbessern (BGHSt 31, 163, 167; 33, 80,
81; BGH StV 1998, 601; 1994, 543, 544; BTDrucks. 8/3551 S.47).
Insbesondere hatte der Gesetzgeber dabei schwerwiegende
Betäubungsmittelstraftaten im Auge. Er hat deshalb
für aufklärungsbereite
Betäubungsmittelstraftäter den Anreiz eines
schuldunabhängigen Strafmilderungsgrundes geschaffen.
In Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a
BtMG eröffnet § 31 Nr. 1 BtMG bei Anordnung der
Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 2 i.V.m. § 38
Abs. 2 StGB einen Strafrahmen von einem Monat (oder Geldstrafe) bis
fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe, der ungünstiger sein
kann als der des minder schweren Falles (drei Monate bis fünf
Jahre Freiheitsstrafe), weil die Obergrenze des Strafrahmens bestehen
bleibt, aber günstiger als der Regelstrafrahmen von einem Jahr
bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe, weil er, wegen der
Herabsetzung der Mindeststrafe, bei Taten von nicht allzu
großem Gewicht die Verhängung einer Strafe erlaubt,
die noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Gerade diese
Privilegierung der Aufklärungshilfe entspricht einem der Ziele
der Vorschrift des § 31 Nr. 1 BtMG, einem
Aufklärungsgehilfen die Möglichkeit zu geben, durch
eine Strafaussetzung zur Bewährung den Weg aus der
Rauschgiftszene zu schaffen und den bisherigen Kontakt zum Rauschgift
aufzugeben (Weber, Betäubungsmittelgesetz § 31 Rdn.
127; Körner, Betäubungsmittelgesetz 5. Aufl.
§ 31 Rdn. 80; jeweils m.w.N.).
Steht zur Überzeugung des Tatrichters fest, daß die
Darstellung eines Angeklagten über die Beteiligung anderer an
der Tat zutrifft, so kann er unabhängig von der
persönlichen Schuld eine Strafrahmenverschiebung vornehmen,
wenn die Aufklärungshilfe Gewicht hat. Gewichtig ist die
Aufklärungshilfe dann, wenn der Angeklagte einen wesentlichen
Beitrag zum Aufklärungserfolg geleistet hat, nämlich,
wenn ohne ihn die Tat nicht oder nicht vollständig
aufgeklärt und die Überführung von
Tatbeteiligten oder die Entdeckung von Organisations- und
Vertriebsstrukturen, Schmuggelwegen, Rauschgiftlabors und -depots nicht
oder nicht im gegebenen Umfang möglich gewesen wäre
(Weber aaO § 31 Rdn. 87). Dies gilt um so mehr, wenn
Hinterleute oder Lieferanten genannt werden. Dabei ist die Anwendung
des § 31 BtMG nicht etwa nur auf bestimmte - weiche - Drogen
oder auf Fälle geringer Mengen Rauschgift beschränkt.
So darf sich der Tatrichter der Anwendung des § 31 BtMG nicht
deshalb verschließen, weil die von der Rechtsprechung
gezogene Grenze einer nicht geringen Menge überschritten
worden ist (vgl. BGH StV 1998, 601 zur Anwendung des § 31 BtMG
auf einen bandenmäßig betriebenen Handel mit 140 kg
Haschisch nach § 30a Abs. 1 BtMG, "um auch nach
außen ein Zeichen zu setzen").
c) Die Begründung des Landgerichts für die Ablehnung
der Strafrahmenverschiebung ("aus den gleichen Gründen")
läßt erkennen, daß es diese
Maßstäbe nicht angewandt hat. Da nicht
auszuschließen ist, daß anderenfalls auf eine noch
aussetzungsfähige Strafe hätte erkannt werden
können, bedarf die Sache neuer Entscheidung. Die
Verfallsanordnung kann bestehen bleiben.
Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit
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