BGH,
Beschl. v. 18.7.2006 - StB 14/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
StB 14/06
vom
18.7.2006
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am
18.07.2006 gemäß § 304 Abs. 5 StPO
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 2006
aufgehoben.
Gegen den Beschuldigten wird die Untersuchungshaft angeordnet.
Der Beschuldigte ist dringend verdächtig,
ab Ende 2005
in Deutschland
versucht zu haben, die tatsächliche Gewalt über
Kriegwaffen von einem anderen zu erwerben,
strafbar als Verbrechen gemäß § 22 a Abs. 1
Nr. 2 KWKG i. V. m. Teil B, Abschnitt V Ziffer 34 der
Kriegswaffenliste, §§ 22, 23 StGB.
2. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
3. Der Beschuldigte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Der Beschuldigte wurde am 23. Februar 2006 vorläufig
festgenommen und befindet sich seit dem 24. Februar 2006 aufgrund des
Haftbefehls des Er-
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mittlungsrichters des Bundesgerichtshofs von diesem Tag in
Untersuchungshaft. Dieser Haftbefehl ist auf den dringenden Verdacht
der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1
Nr. 1 StGB) sowie des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in
Tateinheit mit Vergewaltigung (§§ 176 a Abs. 2,
§ 177 StGB) gestützt. Die Haftbeschwerde des
Beschuldigten, der der Ermittlungsrichter nicht abgeholfen hat,
führt zum Erlass eines geänderten Haftbefehls durch
den Senat; im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
1. Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis kann im Sinne eines
dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen ausgegangen werden:
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Der Iran betreibt den Einkauf von militärischen
Ausrüstungsgegenständen, darunter
Steuerungskomponenten für Flugkörper, Geräte
zur Herstellung von Raketenteilen, Ersatzteile für das
Kampfflugzeug F-14 "Tomcat", Gewehrläufe, Funkgeräte
verschiedener Bauarten und Nachtsichtgeräte. Der Beschuldigte
war spätestens seit Mitte 2004 daran beteiligt, im Auftrag von
Tarngesellschaften des iranischen Geheimdienstes VEVAK für den
Iran konspirativ solche Rüstungsgüter zu beschaffen.
Er trat dabei für ein Unternehmen mit der Bezeichnung "N. "
bzw. "S. " auf. Der Beschuldigte agierte im Rahmen des
Beschaffungsprogramms als Instrukteur des Mitbeschuldigten G. und
übermittelte diesem die iranischen
Beschaffungswünsche. Dabei wirkte er jedenfalls an den
Bemühungen um die Beschaffung von
Schweißgeräten für die Herstellung von
Raketenteilen und von 20 militärischen Funkgeräten
der Marke R. & S. mit. Ferner erteilte er Ende 2005 dem
Mitbeschuldigten G. den Auftrag für die Beschaffung von 15
verschiedenen Waffenläufen unterschiedlichen Kalibers in
Stückzahlen von 1.000 bis 40.000, von denen mehrere als
Kriegswaffen dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterliegen.
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Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus der Einlassung des
Beschuldigten, seinem Reiseverhalten, einer Vielzahl
abgehörter Telefongespräche, einer durch die weiteren
Ermittlungen verifizierten Erkenntnismitteilung des
Bundesnachrichtendienstes, sichergestellten Unterlagen sowie aus
Angaben von Mitbeschuldigten. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf
den Haftbefehl des Ermittlungsrichters vom 24. Februar 2006 Bezug
genommen.
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2. a) Danach ist der Beschuldigte bezüglich der auf die
Beschaffung von Gewehrläufen gerichteten Bemühungen
des versuchten Erwerbs der tatsächlichen Gewalt über
Kriegswaffen (§ 22 a Abs. 1 Nr. 2 KWKG i. V. m. Teil B,
Abschnitt V Ziffer 34 der Kriegswaffenliste, §§ 22,
23 StGB) dringend verdächtig.
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b) Ein dringender Verdacht für eine strafbare Handlung nach
dem Außenwirtschaftsgesetz ist hingegen nicht gegeben. Die
auf eine Lieferung von Schweißgeräten für
die Herstellung von Raketenteilen sowie von militärischen
Funkgeräten gerichteten Bemühungen könnten
nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der verbotenen Ausfuhr
(§ 34 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3, Abs. 5 AWG, § 70 Abs. 5
a Nr. 3 AWV, Art. 4 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1334/2000 -
Schweißgeräte - bzw. § 34 Abs. 1 Nr. 1,
Abs. 5 AWG i. V. m. Teil I Abschnitt A Nr. 0011 der Ausfuhrliste -
Funkgeräte) strafbar sein. Das Stadium des strafbaren Versuchs
der Ausfuhr haben die Bemühungen des Beschuldigten um
Beschaffung der genannten Gegenstände indes nicht erreicht.
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c) Ebenfalls besteht kein dringender, die Untersuchungshaft
rechtfertigender Tatverdacht dafür, dass der Beschuldigte im
Sinne von § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine geheimdienstliche
Agententätigkeit ausgeübt hat.
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Wie der Senat in einer - nach Erlass des angefochtenen Haftbefehls
ergangenen - Entscheidung dargelegt hat, sind in Fällen, die
nicht dem Kernbereich des § 99 StGB, also der klassischen
Agententätigkeit angehören, alle
maßgeblichen Umstände der jeweiligen
Sachverhaltsgestaltung in eine Gesamtwürdigung des Verhaltens
des Betroffenen einzustellen und es ist in wertender, am Normzweck
ausgerichteter Betrachtung zu entscheiden, ob das vorgeworfene
Geschehen dem Tatbestand des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu
subsumieren ist (BGH, Beschl. vom 9.05.2006 - StB 4/06). Zu den dabei
zu beachtenden Auslegungskriterien gehört auch, ob die
Tätigkeit maßgeblich der Gewinnung von Informationen
dient, die auch bei der Lieferung von Gegenständen im Sinne
des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB den eigentlichen Zweck von
Ausforschungsbemühungen bildet, oder ob sie vorrangig darin
begründet ist, dass die für den Täter schon
aus anderen Gründen als der Gewinnung von Informationen
verbotene Lieferung von Gegenständen getarnt werden muss (BGH
aaO unter Hinweis auf Lampe/Hegmann in MünchKomm § 99
Rdn. 14). Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen ist nur
Letzteres gegeben. Danach war die Tätigkeit des Beschuldigten,
der in eine Vielzahl von militärischen Beschaffungsprojekten
seines Heimatlandes eingebunden war, darauf gerichtet, Waren,
insbesondere Rüstungsgüter, für den Iran zu
beschaffen. Dabei ging es - wie sich aus den teilweise hohen
Stückzahlen ergibt - um die Beschaffung der
Gegenstände, nicht aber um die Gewinnung von den diesen
innewohnenden Informationen. Dass das Verhalten des Beschuldigten auf
gleichartige Tatwiederholung gerichtet war und er dabei konspirativ
vorgegangen ist, führt hier für sich allein noch
nicht zur Annahme einer geheimdienstlichen Tätigkeit.
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Dafür, dass die Bemühungen des Beschuldigten auch auf
die Mitteilung von den Rüstungsgütern innewohnenden
Informationen ("Know How") gerichtet waren, und dieser sich deswegen
der geheimdienstlichen Agententätigkeit
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schuldig gemacht hat, besteht lediglich ein Anfangsverdacht. Der
Haftbefehl kann deshalb nicht auf diesen Tatvorwurf gestützt
werden. Dies ändert indes nichts an der Zuständigkeit
des Generalbundesanwalts, weitere Ermittlungen zur Aufklärung
auch dieses Tatvorwurfs anzustellen.
d) Auf das dem Beschuldigten vorgeworfene Sexualdelikt - bei dem
angesichts der bislang allein zur Überführung zur
Verfügung stehenden Erkenntnisse aus der
Telefonüberwachung überdies Zweifel an einem
dringenden Tatverdacht bestehen würden - kann die
Untersuchungshaft ebenfalls nicht gestützt werden. Insoweit
gilt Folgendes:
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Die sachliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts (§
120 GVG) und damit die Verfolgungszuständigkeit des
Generalbundesanwalts (§ 142 a Abs. 1 GVG) würde sich
auf die dem Beschuldigten vorgeworfene Straftat nach
§§ 176 a, 177 StGB nur dann erstrecken, wenn diese
tateinheitlich mit einem Staatsschutzdelikt zusammentreffen oder
zwischen ihnen ein Sachzusammenhang bestehen würde (vgl.
Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 120 GVG
Rdn. 4). Dieser setzt voraus, dass das Staatsschutzdelikt und das
andere Delikt dieselbe Tat im verfahrensrechtlichen Sinne (§
264 StPO) bilden. Ein Zusammenhang geringeren Grades, etwa allein in
Form des persönlichen Zusammenhangs im Sinne von § 3
StPO, reicht nicht aus, um die sachliche Zuständigkeit des
Oberlandesgerichts zu begründen. Für diese einengende
Auslegung des Zusammenhangsbegriffs spricht, dass in den
Fällen des § 120 GVG die Oberlandesgerichte als
Gerichte der Länder Gerichtsbarkeit des Bundes
ausüben (vgl. Art. 96 Abs. 5 Nr. 5 GG). Es geht deshalb nicht
allein um die Abgrenzung sachlicher Zuständigkeit, sondern um
die Kompetenzverteilung zwischen Bundes- und Landesjustiz (vgl. BGHSt
46, 238, 244). Zur Verfolgung und Aburteilung von Straftaten, die nicht
in einem solchen Zusammenhang zu
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Staatsschutzdelikten stehen, sind nach der bundesstaatlichen Ordnung
des Grundgesetzes weiterhin die Staatsanwaltschaften und Gerichte der
Länder zuständig.
Ein die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts
begründender Zusammenhang ist beim derzeit aus dem
SA-Sonderheft "Erkenntnisse über weitere Straftaten
(Sexualdelikte)" ersichtlichen Ermittlungsstand nicht erkennbar. Die
Reise des Beschuldigten nach Moldawien kann allein dem Zweck gedient
haben, sexuelle Kontakte zu jungen Frauen aufzunehmen. Der Gastgeber
des Beschuldigten in Moldawien, der in der Stellungnahme des
Generalbundesanwalts als Zuhälter bezeichnet wird und nach
Ermittlungen in Israel u. a. wegen Förderung der Prostitution
bestraft worden ist, ist zwar ein Vetter des Mitbeschuldigten G. ,
steht aber mit den Bemühungen des Beschuldigten um die
Beschaffung von Rüstungsgütern nicht in Zusammenhang.
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3. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr.
2 StPO). Der Beschuldigte hat auch für diejenige Tat,
für die der Senat einen dringenden Tatverdacht bejaht (den
versuchten Erwerb von Kriegswaffen), im Falle seiner Verurteilung mit
einer Freiheitsstrafe zu rechnen, die jedenfalls unter den vorliegenden
Umständen einen starken Fluchtanreiz bildet. Den Fluchtanreiz
mindernde soziale Bindungen des Beschuldigten in Deutschland sind nicht
vorhanden. Dieser ist iranischer Staatsbürger und hat im Iran
seinen Lebensmittelpunkt. Es besteht unter Berücksichtigung
der konspirativen Arbeitsweise des Beschuldigten auch der Haftgrund der
Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO).
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Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der
Untersuchungshaft (§ 116 StGB) sind nicht geeignet, den Zweck
der Untersuchungshaft zu erreichen.
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Derzeit - der Beschuldigte befindet sich seit fünf Monaten in
Haft - steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch noch nicht
außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der
für den Beschuldigten zu erwartenden Strafe (§ 120
Abs. 1 Satz 1 StPO).
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4. Die Beschwerde, mit der der Beschuldigte die Aufhebung des
Haftbefehls erstrebt, hat keinen solchen Erfolg, dass es unbillig
wäre, den Beschuldigten mit den gesamten Kosten des
Beschwerdeverfahrens zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
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Tolksdorf Pfister von Lienen |