BGH,
Beschl. v. 18.5.2000 - 4 StR 127/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 127/00
vom
18. Mai 2000
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 18. Mai 2000
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Dortmund vom 18. November 1999 mit den Feststellungen aufgehoben,
soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer
räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe
aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuld- und
Strafausspruch richtet. Es führt jedoch zur Aufhebung des
Maßregelausspruchs, weil die Voraussetzungen des §
63 StGB für die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus nicht ausreichend dargetan sind.
Nach den Feststellungen beging der Angeklagte, der nach seinen Angaben
"von Kindheit an an Alkohol gewöhnt" war und bei Abstinenz an
Entzugserscheinungen litt, die Tat unter Alkoholeinfluß
(Blutalkoholkonzentration: höchstens " etwas über 3
o/oo"). Das sachverständig beratene Landgericht hat das
Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und
angenommen, bei dem Angeklagten habe "aufgrund der Alkoholisierung im
Zusammenwirken mit den Auswirkungen der intellektuellen Minderbegabung
und des hirnorganischen Psychosyndroms" eine erhebliche Verminderung
der Steuerungsfähigkeit vorgelegen (UA 17). Nach dem Gutachten
des Sachverständigen, dem das Landgericht auch insoweit
gefolgt ist, neigt der Angeklagte "besonders unter dem
Einfluß von Alkohol oder auch anderen Drogen zu
Impulskontrollstörungen und aggressiven Durchbrüchen"
(UA 17). Um die Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen,
muß die Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte
Schuldfähigkeit aber auf einer nicht nur
vorübergehenden, sondern länger andauernden und damit
einen "Zustand" bildenden Störung im Sinne der
§§ 20, 21 StGB beruhen (vgl. BGHSt 34, 22, 27; 44,
338, 339). Ein solcher Zustand liegt jedoch nach den bisherigen
Feststellungen nicht vor. "Die psychischen Beeinträchtigungen
des Angeklagten, nämlich die Schwachbegabung, das
hirnorganische Psychosyndrom und die ... insbesondere unter
Alkoholeinfluß hervortretende
Persönlichkeitsstörung" (UA 19) haben für
sich genommen noch nicht die Verminderung der
Steuerungsfähigkeit bewirkt; vielmehr ist sie letztlich erst
durch die aktuelle Alkoholintoxikation, eine nur
vorübergehende Störung, herbeigeführt worden.
Zwar kommt in solchen Fällen die Unterbringung nach §
63 StGB ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Täter in
krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an einer
krankhaften Alkoholsucht leidet (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 313 f.; BGHR
StGB § 63 Zustand 17, 19) oder aufgrund eines psychischen
Defekts alkoholsüchtig ist, der, ohne pathologisch zu sein, in
seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im
Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (st. Rspr. vgl.
BGHSt 44, 338, 339 m.N.). Nach den bisherigen Feststellungen liegt aber
auch ein solcher Ausnahmefall nicht vor:
Aus ihnen ergibt sich nicht, daß bei dem Angeklagten eine
Alkoholabhängigkeit vorliegt und daß sie auf einem
von der Sucht selbst unterscheidbaren eigenständigen
psychischen Defekt im Sinne der §§ 20, 21 StGB beruht
(vgl. BGHSt 44, 338, 340/341; BGHR StGB § 63 Zustand 4, 7,
jeweils m.w.N.). Das Landgericht hat es vielmehr offengelassen, ob bei
dem Angeklagten eine Alkoholabhängigkeit und damit ein Hang im
Sinne des § 64 StGB vorliegt, und die Voraussetzungen einer
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mit der
Erwägung verneint, jedenfalls verspreche eine Therapie nach
dem Gutachten des Sachverständigen wegen der "psychischen
Disposition" des Angeklagten keine Aussicht auf Erfolg (UA 19/20). Wenn
bei dem Angeklagten, was nach seinen Angaben zu seinem Alkoholkonsum
und im Hinblick auf die früheren Verurteilungen
zugrundeliegenden Taten allerdings naheliegt, eine
Alkoholabhängigkeit vorläge, könnte diese
die Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus zwar
auch dann rechtfertigen, wenn der Fortbestand der Alkoholsucht auf
einer Persönlichkeitsstörung beruhte, die sich zwar
als schwere andere seelische Abartigkeit darstellt, für sich
allein aber die Schuldfähigkeit weder ausgeschlossen noch
erheblich vermindert hat (BGHSt 44, 338, 341 ff.). Daß die
psychischen Beeinträchtigungen des Angeklagten einen solchen
Schweregrad erreichen, daß sie als andere schwere seelische
Abartigkeit zu werten sind (vgl. zu den Vorraussetzungen BGHSt 37, 397,
401; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 31 und Zustand 24,
26), hat das Landgericht aber ebenfalls nicht dargelegt (vgl. ferner
BGH NJW 1999, 3423).
Der neue Tatrichter wird, sofern der Angeklagte alkoholsüchtig
ist, zunächst die Anordnung der den Angeklagten weniger
beschwerenden Maßnahme nach § 64 StGB (vgl. BGH StV
1998, 72 m.N.) zu prüfen haben. Diese setzt zwar die
hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges voraus (BVerfGE
91, 1 = NStZ 1994, 578). Für die Annahme der
Aussichtslosigkeit im Hinblick auf die problematische "psychische
Disposition" des Angeklagten bedarf es aber der Prüfung und
Darlegung, daß auch mit therapeutischen Mitteln eine positive
Beeinflussung des Angeklagten nicht zu erreichen wäre (BGHR
§ 64 StGB Abs. 1 Erfolgsaussicht 7; BGH, Beschluß
vom 18. Januar 2000 - 4 StR 583/99).
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