BGH,
Beschl. v. 18.5.2010 - 5 StR 51/10
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StPO §§ 110a, 136, 161, 163
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Verwertungsverbot für verdecktes Verhör eines
inhaftierten Beschuldigten durch einen als Besucher getarnten nicht
offen ermittelnden Polizeibeamten unter Zwangseinwirkung.
BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 5 StR 51/10
Landgericht Berlin -
5 StR 51/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 18. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Versuchs der Beteiligung am Mord
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Mai 2010
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 13. Februar 2009 gemäß § 349
Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen der Annahme des Erbietens
zur Begehung eines Mordes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren
verurteilt. Die Revision des Angeklagten greift mit der erhobenen
Verfahrensrüge durch.
1. Das Schwurgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und
Wertungen getroffen:
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a) Der 1950 geborene verheiratete Angeklagte verließ 1988 die
DDR und ging in Westberlin eine Beziehung zu einer anderen Frau ein.
Nachdem seine Ehefrau mit den Kindern über die Deutsche
Botschaft in Prag zu dem Angeklagten ausgereist war, versuchten die
Eheleute einen Neuanfang ihrer Beziehung, die sich wirtschaftlich
erfolgreich gestaltete. Sie erwarben ein von ihnen betriebenes
Männerwohnheim. Über die Jahre entwickelte sich
zwischen den Eheleuten eine tiefe gegenseitige Abneigung. Der Angeklagte
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konnte sich zu einer Trennung auch deshalb nicht
entschließen, weil er fürchtete, bei einer Scheidung
finanziell übervorteilt zu werden und alles an seine Ehefrau
zu verlieren.
b) Aus Hass gegenüber seiner Ehefrau bot der Angeklagte in den
Jahren 1998 bis 2005 mehreren Personen Geld, um sie dazu zu bewegen,
seine Frau zu töten. Dieserhalb wurde der Angeklagte am 1.
März 2006 vom Landgericht Berlin wegen versuchter Anstiftung
zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
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c) Zu Beginn der Verbüßung dieser Strafe in der
Langstrafenstation der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel traf der
Angeklagte auf den zuletzt wegen Anstiftung zum Mord und anderer
Verbrechen im Jahr 1993 zu lebenslanger Freiheitsstrafe unter
Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilten S. . Dieser
berühmte sich wahrheitswidrig seiner Jahre als
Fremdenlegionär, seiner Mitgliedschaft in der Rockerbande
„Bandidos“ und seines aus Tatbeute gespeisten
Reichtums. Der Angeklagte glaubte S. und ließ sich
beeindrucken. Er berichtete ihm offen von seiner Tat und seinen
Vermögensverhältnissen. S. war am Kauf des Wohnheims
des Angeklagten interessiert und einigte sich mit diesem auf einen
Preis von 450.000 €. „S. unterbreitete dem
Angeklagten in dem Zeitraum von Anfang März 2007 bis zum 20.
März 2007 das Angebot, durch ‚seine Leute’
außerhalb der Haftanstalt die Tötung von Frau R. W.
durch einen fingierten Autounfall durchführen zu lassen, wenn
ihm der Angeklagte dafür 150.000 € von dem
vereinbarten Kaufpreis für das Wohnheim erlasse. Der
Angeklagte nahm den Vorschlag ernst und ging darauf ein. Er ging davon
aus, dass S. die Tat begehen würde. Er benannte S. das
Kennzeichen des von seiner Frau gefahrenen Autos, wobei er sich nicht
sicher war, ob es B-EN oder B-ET war“ (UA S. 11 f.). Auf
Wunsch des Angeklagten überwies dessen Bruder am 20.
März 2007 2.500 € auf das Konto der Ehefrau des
Gefangenen S. .
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d) Am gleichen Tag meldete S. dem für ihn zuständigen
Gruppenleiter der JVA, er hätte angeblich einen anderen
Gefangenen geschlagen, weil dieser ihn um die Vermittlung eines
Auftragsmordes gebeten hätte. Am 22. März 2007
erklärte sich S. zur Zusammenarbeit mit der Polizei bereit; er
benannte den Angeklagten als den Auftraggeber des Mordes.
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Am Tag vor einer Verlegung des Angeklagten in die JVA Charlottenburg
wurde S. am 17. April 2007 für einen gemeinsamen Hofgang mit
dem Angeklagten mit einem Aufzeichnungsgerät ausgestattet.
„In diesem Gespräch war S. bemüht, von dem
Angeklagten den erteilten Tötungsauftrag ausdrücklich
bestätigt zu bekommen. Der Angeklagte wunderte sich
darüber, weil die Absprache bereits getroffen worden war, und
reagierte misstrauisch, weil in dem früheren Strafverfahren
von der Polizei mehrere Gespräche aufgezeichnet worden waren,
die er mit dem in Aussicht genommenen Täter geführt
hatte. Er antwortete S. , dass man darüber nicht weiter zu
sprechen brauche, weil es ‚geklärt’ sei
und es dabei bliebe, wie sie es besprochen hätten“
(UA S. 13).
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e) Das Schwurgericht hat dem aufgezeichneten Gespräch die
Wertung entnommen, dass die Tötung der Ehefrau vereinbart war.
Ausgehend von der Einlassung des Angeklagten, S. habe ihm die
Tötung seiner Ehefrau angeboten, hat sich das Schwurgericht
beweiswürdigend von einer Annahme dieses Angebots durch den
Angeklagten überzeugt. Bekundungen des S. hat das
Schwurgericht seiner Beweiswürdigung nur zu Grunde gelegt,
soweit dessen Angaben durch andere Beweismittel bestätigt
worden sind. Den Beweis dafür, dass die Tötung
ernsthaft vereinbart worden war, hat die Schwurgerichtskammer auch in
der Zeugenaussage des POK H. über dessen verdecktes
Verhör des Angeklagten am 24. Mai 2007 in der JVA
Charlottenburg gefunden (UA S. 22, 28 bis 30).
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2. Deren Verwertung hat die Verteidigung in der Hauptverhandlung
widersprochen. Die Nichtverwertbarkeit des Inhalts der Zeugenvernehmung
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macht die Revision mit ihrer Verfahrensrüge geltend und
trägt im Wesentlichen folgende Umstände vor:
Gegen den Angeklagten als Beschuldigten erging am 29. März
2007 auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Beschluss des Amtsgerichts
Tiergarten in Berlin gemäß § 100f Abs. 2
StPO zur Aufzeichnung des gesprochenen Wortes zwischen dem Zeugen S.
und dem Angeklagten. Die ermittelnden Polizeibeamten bewerteten das
umfangreiche Gespräch am 27. April 2007 dahingehend, dass der
Beschuldigte eine eindeutige Aussage vermeide. Sie schlugen als weitere
Ermittlungshandlungen die Durchsuchung der Zelle des S. und die
Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs
für den Anschluss des Bruders des Angeklagten vor. Diese von
der Staatsanwaltschaft aufgegriffenen Maßnahmen blieben ohne
Erfolg. Für das polizeiliche Vorgehen wurde darüber
hinaus Folgendes festgelegt: „Zur Verbesserung der bisherigen
Beweislage ist von hier aus vorgesehen, dass ein nicht offen
ermittelnder Polizeibeamter den Beschuldigten in der JVA Charlottenburg
besucht (Besucherraum) und diesem unter der Vorgabe einer Legende zwei
Bilder (eines mit der Ehefrau des Beschuldigten in ihrem Pkw sitzend
und eines mit einer Frau vergleichbaren Alters, in
bauähnlichem Pkw sitzend) vorlegt, um von diesem zu erfahren,
welche der beiden Frauen die zu tötende sei“ (RB S.
62). Zwei Kriminalbeamte versicherten sich am 22. Mai 2007 der
Unterstützung und der Verschwiegenheit der
maßgeblichen Beamten der JVA Charlottenburg.
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Kurz vor 15.00 Uhr des übernächsten Tages teilte ein
JVA-Sozialarbeiter dem Angeklagten mit, dass dieser um 15.00 Uhr einen
Besucher habe, der dringende Gründe für den Besuch
geltend gemacht hätte. Im Besucherraum der JVA wartete bereits
POK H. , „der zuvor in die Ermittlungen nicht eingebunden
war, aber aufgrund seiner langen Haare und Tätowierungen dem
äußeren Erscheinungsbild nach glaubhaft als Rocker
auftreten konnte“ (UA S. 14). Gegen 15.00 Uhr traf der
Angeklagte auf den ihm nicht bekannten POK H. . Dieser
„stellte sich als ‚Micha’ vor und
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erklärte, dass S. ihn schicke, weil es da offenbar ein Problem
mit der Frau des [Angeklagten] W. gebe“ (UA S. 14). Der
Angeklagte erklärte, er würde mit ihm nicht
über dieses Thema reden. „Der Beamte gab vor, dass
es wegen der Autokennzeichen Probleme mit der Identifizierung der
Ehefrau gebe, und legte dem Angeklagten die beiden Fotos vor. Der
Angeklagte ging darauf nicht ein und gab wahrheitswidrig vor, auf den
Fotos nichts erkennen zu können, weil er seine Brille nicht
dabei habe. Er fügte hinzu, er habe S. doch gesagt, es sei ein
grünes Auto. Auf Nachfrage weigerte er sich, seine Brille zu
holen. H. erklärte, dass vor den Häusern der beiden
abgebildeten Frauen seine Männer stünden, und fragte,
ob der Angeklagte seine Frau anhand körperlicher Merkmale
beschreiben könne, beispielsweise die Haarlänge. Der
Angeklagte zeigte daraufhin mit seiner Hand in Schulterhöhe.
H. erklärte, dass ‚notfalls’ auch beide
Frauen ‚weggemacht’ werden könnten. Der
Angeklagte reagierte aufgebracht und sagte, dass das Ganze
‚abgebrochen’ würde, wenn Unschuldige
‚reingezogen’ würden.
Schließlich fragte ihn H. , ob es denn richtig sei, dass sie
seine Frau wegmachen sollten. Darauf nickte der Angeklagte“
(UA S. 15).
Der Angeklagte berief sich während seiner unmittelbar
anschließenden förmlichen Beschuldigtenvernehmung
auf sein Schweigerecht.
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3. Bei der vom Schwurgericht verwerteten Zeugenaussage des POK H.
handelt es sich um den Inhalt eines verdeckten Verhörs eines
Beschuldigten durch einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten (vgl.
Nack in KK StPO 6. Aufl. § 110a Rdn. 6 und § 110c
Rdn. 18 ff.) mit dem Ziel, eine selbstbelastende
Äußerung des noch nicht förmlich
vernommenen Beschuldigten herbeizuführen. Diese
Ermittlungsmaßnahme war in ihrer konkreten Ausgestaltung
rechtswidrig. Das Schwurgericht hat die von dem Zeugen POK H.
bekundeten selbstbelastenden Äußerungen des
Angeklagten zu Unrecht verwertet.
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a) Die Rechtswidrigkeit folgt noch nicht aus den Umständen zur
Verschaffung der Gelegenheit zur Durchführung des verdeckten
Verhörs.
14
Auch wenn der Ermittlungsbeamte über kein Zugangsrecht zu dem
Angeklagten verfügte (vgl. Schwind in
Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG 5. Aufl. § 24
Rdn. 3; Joester/Wagner in Feest, StVollzG 5. Aufl. § 24 Rdn.
2; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl. § 24
Rdn. 3), stellte der von den Vollzugsbeamten verschwiegene Umstand,
dass kein Privatmann, sondern ein (nicht offen ermittelnder)
Polizeibeamter Besucher sei, im Rahmen einer kriminalistischen List
noch keinen relevanten Eingriff in Rechte des Angeklagten dar (vgl.
BGHSt 53, 294, 308 Tz. 46). In das Grundrecht der Unverletzlichkeit der
Wohnung des Angeklagten wurde nicht eingegriffen; der Besucherraum der
JVA unterfällt nicht dem Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG
(BGHSt 44, 138; 53, 294, 300 Tz. 17). Auch die geschützte
Privatsphäre des Angeklagten (vgl. BGHSt 50, 234, 240) wurde
noch nicht tangiert.
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b) Ein Rechtsverstoß und ein daraus folgendes
Verwertungsverbot ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass eine
Belehrung des Angeklagten als Beschuldigter gemäß
§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO unterblieben ist (BGHSt 42, 139, 145
ff. - GS). Diese Vorschrift ist nur auf „offene“
Vernehmungen anwendbar und will (lediglich) sicherstellen, dass der
Beschuldigte vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht
bewahrt wird, zu der er möglicherweise eben durch die
Konfrontation mit dem amtlichen Auskunftsverlangen veranlasst werden
könnte. Deshalb scheidet auch eine entsprechende Anwendung und
die Annahme einer Umgehung der Vorschrift aus.
c) Inwieweit das verdeckte Verhör schon im Ansatz ohne
Rechtsgrundlage erfolgte und ob allein hieraus ein
Beweisverwertungsverbot erwüchse, bedarf keiner
abschließenden Entscheidung.
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aa) Es ist allerdings zweifelhaft, ob als Rechtsgrundlage die
Generalklausel aus § 161 Abs. 1, § 163 Abs. 1 Satz 2
StPO (vgl. dazu BT-Drucks. 14/1484 S. 17, 23 f.; Wohlers in SK-StPO 57.
Lfg. § 163 Rdn. 1) ausreichte, die eine
Ermächtigungsgrundlage für Ermittlungshandlungen -
auch mit „weniger intensiven“ Grundrechtseingriffen
- bietet (vgl. BGHSt 51, 211, 218 Tz. 21; BVerfG - Kammer - NJW 2009,
1405, 1407; Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 161 Rdn.
1; vgl. für nicht offen ermittelnde Polizeibeamten als
Scheinaufkäufer im Rahmen eines illegalen Rauschgiftankaufs
BGHSt 41, 64, 66; BGHR StPO § 110a Ermittler 4; BGHR StPO
§ 110b Abs. 2 Wohnung 1). Ein verdecktes Verhör mit
dem Ziel, eine selbstbelastende Äußerung eines noch
nicht förmlich vernommenen Beschuldigten
herbeizuführen, erscheint als Ermittlungshandlung von nicht
unerheblicher Eingriffsintensität. Sie wird auch nicht zu den
eigentlichen Aufgaben eines nicht offen ermittelnden Polizeibeamten
gerechnet (vgl. Nack in KK 6. Aufl. § 110a Rdn. 6).
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bb) Das verdeckte Verhör durch POK H. wurde nicht etwa zur
Gefahrenabwehr eingesetzt und hatte zudem kaum gefahrabwehrende
Funktion, da tatsächlich gar keine Gefahr für das
Leben der Ehefrau des Angeklagten mangels - von vornherein fehlender -
Tatbereitschaft zu dem von dem Mitgefangenen S. initiierten
vorgetäuschten Tatplan bestanden hatte. Das Vorgehen war
allein auf Ermittlung gegen den Angeklagten als bestimmten
Beschuldigten gerichtet.
d) Auch unter der Voraussetzung fehlender Rechtsgrundlage wäre
indes zweifelhaft, ob das verdeckte Verhör verwertbar gewesen
wäre (vgl. BGH NStZ 1997, 294, 295; allgemein BGHSt 51, 285,
295 f. Tz. 29 m.w.N.). Da selbst einem Verdeckten Ermittler ein
verdecktes Verhör, wie es hier von POK H. vorgenommen und vom
Schwurgericht verwertet worden ist, nicht gestattet gewesen
wäre, liegt der Fall hier jedenfalls eindeutig anders.
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Das Vorgehen verstieß nämlich gegen das Recht des
Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs.
3 GG, Art. 6 Abs. 1 MRK) unter besonderer Berücksichtigung des
Grundsatzes, dass niemand verpflichtet ist, zu seiner eigenen
Überführung beizutragen, insbesondere sich selbst zu
belasten (nemo tenetur se ipsum accusare). Dabei schließt
sich der Senat - wie bereits der Sache nach der 4. Strafsenat in StV
2009, 225 - den Darlegungen des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs
in BGHSt 52, 11, 17 Tz. 20 zur Genese, Verankerung und Bedeutung dieses
Grundsatzes an (vgl. auch BGHSt 53, 294, 309 Tz. 49). Da der Beamte
sogar eindeutig die Kompetenzen überschritten hat, die einem
Verdeckten Ermittler zugestanden hätten, stünden
einem noch nicht formal als unzulässig bewerteten
entsprechenden Vorgehen als nicht offen ermittelnder Polizeibeamter
identische durchgreifende Bedenken - erst recht - entgegen (vgl. Roxin
StV 1998, 43, 44; Meyer-Goßner aaO § 110a Rdn. 4;
BT-Drucks 14/1484 S. 24).
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aa) Die Aushorchung des Angeklagten unter Ausnutzung der besonderen
Situation seiner Inhaftierung begründet von vornherein
Bedenken gegen die Zulässigkeit der heimlichen
Ermittlungsmaßnahme. Nicht weniger als in anderen von der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beanstandeten Fällen
heimlicher Informationsgewinnung unter Ausnutzung begleitender
belastender Haftsituationen (vgl. BGHSt 34, 362; 44, 129; 52, 11; 53,
294) liegen auch hier Umstände vor, die zur Bewertung des
Vorgehens als unfaire Vernachlässigung der zu achtenden
Selbstbelastungsfreiheit führt.
Im Einklang mit der Auffassung des Großen Senats für
Strafsachen (BGHSt 42, 139, 152; vgl. auch BGHSt 49, 56, 58) und in
Übereinstimmung mit der die Selbstbelastungsfreiheit auf Art.
6 Abs. 1 MRK stützenden Rechtsprechung des EGMR (StV 2003,
257; NJW 2008, 3549; 2010, 213) sieht der Senat durch die Anwendung von
Zwang den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten als
verletzt an. Zwar sind Verdeckte Ermittler berechtigt, unter Nutzung
einer Legende selbstbelastende Äußerungen eines
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Beschuldigten entgegenzunehmen und an die Ermittlungsbehörden
weiterzuleiten. Sie sind aber nicht befugt, in diesem Rahmen den
Beschuldigten zu selbstbelastenden Äußerungen zu
drängen (BGHSt 52, 11, 15 Tz. 14; vgl. auch BGH StV 2009, 225,
226).
bb) Dem Angeklagten wurde ein Bild seiner Ehefrau beim Einsteigen in
deren Pkw und ein Bild, eine ähnliche Frau in gleicher
Position an einem ähnlichen Pkw zeigend, vorgelegt, um ihn
eine Auswahl der zu tötenden Frau mittels der durch die beiden
Bilder aufgebauten Alternative vornehmen zu lassen. Aufgrund des
nachfolgenden Hinweises, falls der Angeklagte diese Auswahl nicht
treffen wolle, würden „notfalls“ beide
Frauen, vor deren Häusern zur Tötung bereite
Täter stünden, getötet, ist der Angeklagte
in einen Aussagezwang hinsichtlich der Benennung der zu
tötenden Frau versetzt worden. Dies ist mittels eines als
Nötigung mit einem empfindlichen Übel im Sinne des
§ 240 Abs. 1 StGB zu qualifizierenden Eingriffs in die
Freiheit der Willensentschließung und
Willensbetätigung geschehen.
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Solches setzt voraus, dass der Täter dem Opfer ein bestimmtes
Verhalten aufzwingt, ihn also gegen seinen Willen dazu veranlasst
(Fischer, StGB 57. Aufl. § 240 Rdn. 4). Der Angeklagte war
entgegenstehenden Willens; er hatte in dem Gespräch sofort
erklärt, über das Thema nicht sprechen zu wollen,
nach Ausflüchten gesucht und sich in seinen
Äußerungen nicht festgelegt. Der Hinweis, eine
unbeteiligte Dritte könnte zu Tode kommen, stellte eine
Drohung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB (vgl. BGHR StGB
§ 240 Abs. 1 Übel 1; Fischer aaO Rdn. 37)
gegenüber dem Angeklagten mit einem empfindlichen
Übel dar (vgl. BGH NStZ 1987, 222, 223). Auf dessen
Verwirklichung für den Fall des Bedingungseintritts, der
Nichtäußerung, schrieb POK H. sich den
erforderlichen Einfluss zu (vgl. BGHSt 16, 386, 387; Fischer aaO
§ 240 Rdn. 31). Es liegt auf der Hand, dass - bei
fortgesetzter Weigerung der Identifizierung des
„Tatopfers“ - eine dem Angeklagten bevorstehende
Verantwortlichkeit für ein zweites, nicht gewolltes
Tötungsverbrechen diesem als ein gewichtiger Nachteil
erscheinen musste.
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cc) Ein gewisses Indiz für eigene polizeiinterne Bedenken
gegen das hier zu beanstandende Vorgehen liegt im Übrigen im
Unterlassen des Einholens einer richterlichen Anordnung der
beweissichernden akustischen Überwachung des
Besuchsgesprächs nach § 100f StPO. Es ist schwer
nachvollziehbar, dass eine solche - im Gegensatz zu dem
Gespräch des gleichsam selbsternannten „agent
provocateur“ S. mit dem Angeklagten auf dem
Gefangenenhofgang, dessen Verwertung der Beschwerdeführer
nicht widersprochen hat - nicht erfolgt ist. Entsprechend kam es auch
vorhersehbar zum Dissens über den Inhalt des nicht
aufgezeichneten verdeckten Verhörs (vgl. UA S. 29 f.).
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e) Die Beeinträchtigungen der Rechte des Angeklagten gebieten
die Annahme eines Beweisverwertungsverbots.
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In Fällen von Aussagezwang wird in den Kernbereich der
grundrechtlich und konventionsrechtlich geschützten
Selbstbelastungsfreiheit eines Beschuldigten ohne Rechtsgrundlage
eingegriffen (vgl. BGHSt 52, 11, 17 f. Tz. 20 und 22 m.w.N.; EGMR StV
2003, 257, 259). Der gravierende Rechtsverstoß kann nicht
anders als durch Nichtverwertung des hierdurch gewonnenen Beweismittels
geheilt werden (vgl. auch BGHSt 51, 285, 291 Tz. 23; 52, 11, 23 f. Tz.
36; 53, 294, 304 ff. Tz. 32 ff., Amelung in FS für Claus Roxin
[2001] S. 1259, 1262, 1265 ff.).
Der hier vorliegende Zwang zur Abgabe selbstbelastender
Äußerungen im Rahmen eines verdeckten
Verhörs wiegt nicht leichter als das Entlocken solcher
Äußerungen unter Ausnutzung einer Vertrauensstellung
nach angekündigter Inanspruchnahme des Schweigerechts (vgl.
BGHSt 52, 11, 18 f. Tz. 26; 21 Tz. 33; 23 Tz. 36; BGH StV 2009, 225,
226) oder die Verlegung eines Aushorchers in die Zelle eines
Untersuchungsgefangenen (BGHSt 34, 362). Sie übertrifft sogar
die Eingriffsintensität im Vergleich mit zielgerichtet
für erwartete Selbstbelastungen geschaffene - von der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit einem Beweisverwertungsverbot
be-
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legte - andere Ermittlungssituationen (BGHSt 53, 294, 304 ff.; vgl.
auch BGHSt 40, 66, 72).
4. Nachdem das Schwurgericht seine Beweisführung tragend auf
die Bekundungen des nicht offen ermittelnden Polizeibeamten
gestützt hat, kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem
Verfahrensfehler nicht ausschließen. Die Sache bedarf neuer
Aufklärung und Bewertung. Ein Durchentscheiden auf Freispruch
- entsprechend dem Antrag der Verteidigung - scheidet aus. Eine die
Verurteilung tragende Beweiswürdigung auch ohne die Aussage
des Zeugen POK H. erscheint unter den gegebenen
Begleitumständen ungeachtet der begründeten massiven
Vorbehalte gegen den Zeugen S. nicht von vornherein ausgeschlossen.
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Das neu berufene Tatgericht wird die Frage, ob der Angeklagte
nachweislich eine zur Erfüllung des § 30 Abs. 2 StGB
ausreichende hinreichend konkrete Annahme eines ihm
vorgetäuschten Morderbietens durch S. erklärt hat,
auf der Grundlage des verbleibenden Beweisstoffs zu klären
haben. Dabei wird es maßgeblich auch zu bedenken haben,
inwiefern der Angeklagte unter den Begleitumständen
gemeinsamer Haft an ein realisierbares Geschäft mit S.
über die entgeltliche Übernahme des Wohnheims
- 13 -
geglaubt haben kann, und wird in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung
der vom Angeklagten veranlassten Zahlung an S. zu würdigen
haben.
Basdorf Raum Brause
Schneider Bellay |