BGH,
Beschl. v. 19.6.2002 - 4 StR 141/02
4 StR 141/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
19. Juni 2002
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Juni
2002 gemäß §§ 44 Satz 1, 46 Abs.
1, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung der
Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts Dessau vom 29. November 2001 Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gewährt.
2. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zu tragen.
3. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil in
den Aussprüchen über die Gesamtstrafen und die
Aufrechterhaltung der Einziehung mit den Feststellungen aufgehoben.
4. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
5. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verstößen
gegen das Betäubungsmittelgesetz unter Einbeziehung der
Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichtes Köthen vom 17.
Januar 2000, Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe und
Aufrechterhaltung der Einziehungsanordnung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt.
Ferner hat es ihn wegen Diebstahls unter Einbeziehung der Strafe aus
dem Urteil des Amtsgerichtes Bernburg vom 4. April 2000 zu einer
weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt sowie gegen
ihn wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine
Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Hiergegen wendet
sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung
materiellen Rechts rügt.
1. Dem Angeklagten ist nach Versäumung der
Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren, da ihn, wie sein Verteidiger glaubhaft
vorgetragen hat, an der Versäumung der Frist kein (Mit-)
Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO).
2. In der Sache führt das Rechtsmittel des Angeklagten zur
Aufhebung der beiden Gesamtstrafenaussprüche. Im
übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
a) Die vom Landgericht gebildete (erste) Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren und vier Monaten kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil
sich das angefochtene Urteil nicht dazu verhält, ob - wie es
§ 55 Abs. 1 Satz 1 StGB voraussetzt - zum Zeitpunkt seines
Erlasses die im Urteil des Amtsgerichtes Köthen vom 17. Januar
2000 erkannte Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren
zugrundeliegende Einzelstrafen das Landgericht nach § 55 Abs.
1 StGB einbezogen hat, noch nicht vollstreckt war (zum entsprechenden
Darlegungserfordernis vgl. BGH NStE Nr. 10 zu § 55 StGB;
Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 55 Rdn. 6). Eine
revisionsrechtliche Überprüfung ist daher dem Senat
insoweit nicht möglich. Zwar enthalten die
Urteilsgründe (UA 9) den Hinweis, daß durch
Beschluß des Amtsgerichtes Köthen vom 7.
März 2001 im vorliegenden Verfahren die Untersuchungshaft zur
Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe und der Freiheitsstrafe von
ebenfalls acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichtes Bernburg vom 4.
April 2000 unterbrochen worden ist. Entgegen der Auffassung des
Generalbundesanwalts rechtfertigt dies aber - insbesondere im Hinblick
auf die Regelung in § 454 b Abs. 2 StPO - nicht schon den
sicheren Schluß, daß damit die Gesamtstrafe aus dem
Urteil des Amtsgerichtes Köthen zum Zeitpunkt des Erlasses des
landgerichtlichen Urteils am 29. November 2001 bereits
vollständig vollstreckt und damit nicht mehr
einbeziehungsfähig war.
b) Auch die (zweite) Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten kann nicht
bestehen bleiben.
War die Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichtes Köthen
vom 17. Januar 2000 zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung
noch nicht erledigt, so hätte auch die Strafe aus dem Urteil
des Amtsgerichtes Bernburg vom 4. April 2000 (Tatzeit: Januar 1999) in
die erste Gesamtstrafe einbezogen werden müssen, mit der
Folge, daß die zweite Gesamtstrafe fehlerhaft wäre
und statt ihrer infolge der Zäsurwirkung des Urteils des
Amtsgerichtes Köthen vom 17. Januar 2000 (vgl. hierzu
Tröndle/Fischer aaO § 55 Rdn. 9) aus den
Einzelstrafen für die Taten vom 8. März 2000
(Diebstahl, Tat 8 des Urteils) und vom 20. Juli 2000 (Fahren ohne
Fahrerlaubnis, Tat 9 des Urteils) eine Gesamtstrafe hätte
gebildet werden müssen.
Aber auch unter der Voraussetzung, daß die Gesamtstrafe aus
dem Urteil des Amtsgerichtes Köthen vom 17. Januar 2000 zum
Zeitpunkt des Urteilserlasses bereits vollständig
verbüßt war, erweist sich die Gesamtstrafenbildung
als rechtsfehlerhaft. In diesem Fall hätte, da eine durch
Vollstreckung der verhängten Strafe erledigte Vorverurteilung
keine Zäsurwirkung mehr zu entfalten vermag (vgl. BGHSt 32,
190, 193; Tröndle/Fischer aaO § 55 Rdn. 13) aus den
Einzelstrafen für die Taten 1 bis 7 des Urteils (Tatzeiten:
Ende 1997 bis Juli 1998) und aus der Einzelstrafe für die Tat
8 des Urteils (Tatzeit: 8. März 2000) unter Einbeziehung der
Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichtes Bernburg vom 4. April 2000 eine
Gesamtstrafe gebildet werden müssen. Die verbleibende
Einzelstrafe für die Tat 9 des Urteils (Tatzeit: 20. Juli
2000) würde - wie bisher - als solche bestehen bleiben.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß der
Angeklagte durch die fehlerhafte Gesamtstrafenbildung beschwert ist.
Die Sache bedarf daher insoweit der erneuten Verhandlung und
Entscheidung.
Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanovic Ernemann |