BGH,
Beschl. v. 2.4.2008 - 5 StR 129/07
5 StR 129/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
2.4.2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Betruges
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2.4.2008
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 1. Juni 2006 gemäß § 349 Abs. 4
StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Betruges zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung dieser
Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete
Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
I.
Bei dem Urteil haben Richter mitgewirkt, die das gegen sie gerichtete
Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit zu Unrecht als
unzulässig verworfen haben (§ 338 Nr. 3 StPO).
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1. Dies geht auf folgendes Prozessgeschehen zurück:
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a) Am 63. Verhandlungstag (1. September 2005) hat die Strafkammer einen
Beweisantrag, der die Kalkulation eines Wärmelieferungspreises
zum Gegenstand hatte, abgelehnt. Daraufhin hat ein vormals
Mitangeklagter die Mitglieder der Strafkammer als befangen abgelehnt,
weil ihr Verständnis der
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Kalkulation rechnerisch unhaltbar sei. Dies komme sowohl in der
Beschlussablehnung als auch in einer weiteren Erklärung des
Vorsitzenden zum Ausdruck. Die Kammer habe sich in einem entscheidenden
Punkt zu Lasten der Angeklagten festgelegt und lasse eine entlastende
Aufklärung nicht mehr zu.
Der Beschwerdeführer hat ebenfalls ein Ablehnungsgesuch im
Hinblick auf den Beweisablehnungsbeschluss gestellt, sich inhaltlich
jedoch nur auf das Ablehnungsgesuch des Mitangeklagten bezogen. Die
Strafkammer hat am 22. September 2005 den Befangenheitsantrag des
Beschwerdeführers als unzulässig nach § 26a
Abs. 1 Nr. 2 StPO verworfen, weil das Gesuch weder eine
Begründung enthalte noch ein Mittel zur Glaubhaftmachung
angebe; die Bezugnahme auf das andere Ablehnungsgesuch genüge
nicht.
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b) Das Ablehnungsgesuch des Mitangeklagten hat die Kammer ebenfalls am
22. September 2005 - nach „vorsorglicher“ Abgabe
dienstlicher Erklärungen, in denen die Kammermitglieder die
Vorläufigkeit der Beweiswürdigung betonten - als
unzulässig nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO verworfen:
Der Mitangeklagte habe das Befangenheitsgesuch als Druckmittel allein
dazu benutzt, um seine von der Auffassung der Kammer abweichende
Beweiswürdigung durchzusetzen, und damit offensichtlich einen
verfahrensfremden Zweck verfolgt.
Hierauf hat der Beschwerdeführer erneut ein Ablehnungsgesuch
mit der Begründung gestellt, die Kammer habe sich in dem den
Mitangeklagten betreffenden Verwerfungsbeschluss sachlich mit dem
Befangenheitsgesuch auseinandergesetzt und dem Mitangeklagten den
gesetzlichen Richter entzogen, was auch bei ihm die Besorgnis der
Befangenheit begründe; darüber hinaus bestehe die
Kammer nach wie vor auf dem ersichtlich falschen Verständnis
der Kalkulation. Dieses Ablehnungsgesuch hat die Kammer nach
Unterbrechung der Hauptverhandlung am 10. Oktober 2005 nach §
26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als offensichtlich verfahrensfremde Zwecke
verfolgend verworfen. Auch dieses Ablehnungsgesuch habe nur das Ziel
verfolgt, „die
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Kammer von ihrer bisherigen Beweiswürdigung, insbesondere von
deren Auffassung zu dem Inhalt der Kalkulationstabellen …
abzubringen und insoweit die Ansichten der Angeklagten zu
übernehmen“.
2. Der absolute Revisionsgrund gemäß § 338
Nr. 3 StPO liegt vor.
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a) Die Rüge, die auch den auf das zweite Befangenheitsgesuch
ergangenen Beschluss angreift, ist entgegen der Auffassung des
Generalbundesanwalts zulässig erhoben. Sie enthält
alle Tatsachen, die das Revisionsgericht benötigt, um
insbesondere die mit dem Ablehnungsgesuch vom 22. September 2005
zusammenhängende Verfahrensweise nach § 26a StPO zu
überprüfen.
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b) Zumindest das zweite Ablehnungsgesuch vom 22. September 2005 ist
durch den Beschluss vom 10. Oktober 2005 zu Unrecht als
unzulässig verworfen worden. Die Strafkammer durfte die
Verwerfung dieses Antrags nicht als offensichtlich verfahrensfremde
Zwecke verfolgend auf § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO
stützen. Darauf, ob die
„Formalentscheidung“ vom 22. September 2005 auf das
erste Ablehnungsgesuch vom 1. September 2005 allenfalls
„schlicht fehlerhaft“ gewesen ist, was
revisionsgerichtlich die Überprüfung des Sachverhalts
nach Beschwerdegrundsätzen auch in der Sache erlaubt
hätte (vgl. BGH NStZ 2007, 161, 162 f.), kommt es daher nicht
mehr an.
aa) Die Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise,
dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn
gestellten Befangenheitsantrag entscheidet. Voraussetzung für
diese Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der
Entscheidung ohne die Mitwirkung des abgelehnten Richters ist, dass
keine Entscheidung in der Sache getroffen wird, vielmehr die
Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte Formalentscheidung
oder die Verhinderung eines offensichtlichen Missbrauchs des
Ablehnungsrechts beschränkt bleibt (BVerfGK 5, 269, 281 f.;
BGH NStZ 2008, 46, 47). Die Anwendung des § 26a StPO darf
nicht dazu führen,
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dass der ablehnende Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit
„Richter in eigener Sache“ wird. Jedenfalls bei
einer willkürlichen oder die Verfassungsgarantie des Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG erheblich missachtenden Überschreitung des
durch § 26a StPO abgesteckten Rahmens begründet
bereits dies den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO
(BGHSt 50, 216, 219; BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit
15). Allenfalls in solchen Fällen, in denen sich die
Verwerfung als nicht offensichtlich unhaltbar erweist und es sich
mithin um einen „einfachen Rechtsverstoß“
handelt, ist dem Revisionsgericht die Überprüfung
nach Beschwerdegrundsätzen und der mögliche Austausch
des Verwerfungsgrundes erlaubt.
bb) Den dargestellten Vorgaben wird der Verwerfungsbeschluss vom 10.
Oktober 2005 nicht gerecht. Nach § 26a Abs. 2 Satz 2 StPO
bedarf es der Angabe der Umstände, die den Verwerfungsgrund -
hier die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke - ergeben. Danach ist
nicht offensichtlich, dass der Beschwerdeführer einen
verfahrensfremden Zweck verfolgte. Es ging ihm um die sachliche
Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Strafkammer mit der Behandlung
des Ablehnungsgesuchs des Mitangeklagten vom 22. September 2005 als
unzulässig die eigentlich gebotene
Überprüfung durch die Vertreterkammer (§ 27
StPO) willkürlich umgangen und dadurch den Angeklagten den
gesetzlichen Richter entzogen hat. Die Behauptung war nicht
völlig haltlos. Das zweite Ablehnungsgesuch des
Beschwerdeführers hatte damit die Art und Weise des
richterlichen Vorgehens (das „Wie“ der Mitwirkung)
im Hinblick auf das Ablehnungsgesuch des Mitangeklagten zum Gegenstand.
Sein Vorbringen bedingte eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den
Gründen der Vorentscheidung, welche die abgelehnten Richter,
ohne zwangsläufig in eigener Sache zu entscheiden, nicht
leisten konnten (vgl. BVerfG - Kammer - NStZ-RR 2007, 275, 277 f.). Die
Kammer war offenbar der Ansicht, auch das zweite Ablehnungsgesuch habe
allein den unzulässigen Versuch unternommen, einen Streit
über das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme zum Gegenstand
des Ablehnungsverfahrens zu machen (vgl. dazu BGHSt 50, 216, 221).
Damit hat das Landgericht das Gesuch
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unzulässig verkürzt und den Anwendungsbereich des
§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO in einer Weise überspannt,
die den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr
genügt.
II.
Zur Begründetheit der Sachrüge merkt der Senat an:
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Die Urteilsfeststellungen belegen nach dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe, dass der Angeklagte durch unwahren Sachvortrag,
nämlich dass die Betreiber der Vermietergesellschaften
(sogenannte Wohnanlagegesellschaften) nicht an den Gewinnen aus den
Fernwärmelieferungsverträgen beteiligt werden sollten
(vgl. insbesondere UA S. 26 f.), der Zivilklage der E. E. mbH (E. ) zum
Erfolg verhelfen wollte. Das Landgericht hat sich insbesondere anhand
interner Firmenunterlagen (vgl. UA S. 51 ff.) davon überzeugt,
dass zugunsten der Wohnanlagegesellschaften in den
Fernwärmelieferungsverträgen tatsächlich ein
Gewinn in Höhe von 0,38 DM pro Quadratmeter eingerechnet war.
Die dem zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts ist
für sich genommen nicht zu beanstanden. Auch dieser Gewinn
sollte - verdeckt - auf die Mieter umgelegt werden (vgl. insbesondere
UA S. 69 f.) und letztendlich von der E. als
„kick-back“ an die Wohnanlagegesellschaften
zurückfließen. Eine derartige Gewinnumlage zugunsten
des Vermieters ist mietrechtlich nicht zulässig (vgl. BGH NJW
2006, 2185, 2186). Sie ist insbesondere nicht als Umlage von
Modernisierungskosten von den Voraussetzungen der §§
559 ff. BGB gedeckt (vgl. BGH aaO). Insbesondere haben die Vermieter -
unbeschadet der Beschränkung der Mieterhöhung nach
§ 559 Abs. 1 BGB - eine Mieterhöhung nicht
gegenüber den Mietern erklärt (§ 559b BGB).
Nur aufgrund einer solchen rechtsgestaltenden
Mieterhöhungserklärung (vgl. dazu Weidenkaff in
Palandt, BGB 67. Aufl. § 559b Rdn. 4; Heintzmann in Soergel,
BGB 13. Aufl. § 559b Rdn. 1; Artz in Münchener
Kommentar zum BGB, 4. Aufl. § 559b Rdn. 2) wären
Modernisie-
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rungskosten auf die Mieter umlegbar. Daher durfte in den zwischen der
E. und den Wohnanlagegesellschaften geschlossenen
Fernwärmelieferungsverträgen kein Gewinnaufschlag
zugunsten der Vermietergesellschaften und zu Lasten der Mieter
vorgenommen werden (vgl. § 559b Abs. 3, § 559 Abs. 3
BGB).
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