BGH,
Beschl. v. 20.6.2001 - 2 StR 221/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 221/01
vom
20. Juni 2001
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführes
und des Generalbundesanwalts am 20. Juni 2001 gemäß
§ 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hanau vom 18. Dezember 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere - allgemeine
-
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht - als Schwurgerichtskammer - hat den Angeklagten wegen
gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit
Freiheitsberaubung zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine hiergegen eingelegte,
auf
die nicht ausgeführte Verfahrensrüge und die
allgemeine Sachrüge gestützte
Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des
Urteils.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts sperrte der Angeklagte die
Nebenklägerin W., seine damalige Lebensgefährtin, die
sich von ihm trennen
wollte, am Tattag, dem 25. September 2000, gegen 9.20 Uhr in der
gemeinsamen
Wohnung ein, nachdem die Nebenklägerin ihn beschimpft und mit
der
Faust auf den Kopf geschlagen hatte. Er fesselte zunächst die
Hände von Frau
W. mit Klebeband. Beide unterhielten sich über ihre Beziehung;
der Angeklagte
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äußerte, daß sie "beide an diesem Tag
nicht mehr lebend die Wohnung verlassen
würden" (UA S. 9). Auf Bitten der Nebenklägerin
löste er die Fesseln zunächst
wieder; später fesselte er sie erneut an Händen und
Füßen und steckte
ihr vorübergehend ein Taschentuch als Knebel "vorne in den
vorderen Mundbereich"
(UA S.10); nach einiger Zeit entfernte er den Knebel wieder. Im Laufe
des Vormittags schlug der Angeklagte einmal "zumindest in
Verletzungsabsicht"
auf die Halsschlagader der Nebenklägerin; einmal
drückte er ihr den
Hals zu, so daß sie keine Luft bekam; einmal preßte
er ihr ein Kissen auf den
Kopf. Gegen 14.00 Uhr "verabschiedete" sich der Angeklagte telefonisch
von
dem Vater der Nebenklägerin. Danach beruhigte er sich,
löste die Fesseln und
schloß später auch die Tür auf. Der
Angeklagte hatte einige Monate zuvor auf
Drängen von Frau W. sein Haus verkauft und ihr den
größten Teil des Erlöses
zur Begleichung ihrer Schulden und zur Anschaffung eines Kraftfahrzeugs
zur
Verfügung gestellt. Er erklärte der
Nebenklägerin daher nun, er werde sie nur
aus der Wohnung lassen, wenn sie ihm einen Betrag von 4.300 DM
aushändige.
Dies tat die Nebenklägerin; beide unterzeichneten daraufhin
eine Vereinbarung
über die Beendigung der Beziehung. Gegen 21.50 Uhr
verließ die Nebenklägerin
die Wohnung; ihre Tochter verständigte kurz darauf die Polizei.
Nach den Feststellungen wies der Angeklagte "zur Tatzeit" eine
Blutalkoholkonzentration
von 1,7 ‰ auf; das Landgericht hat hierauf sowie auf die
Feststellung einer "Alkoholkrankheit", "hirnorganischer
Beeinträchtigungen",
eines "Eifersuchtssturms" sowie einer "affektiven Aufladung" (UA S. 18)
die
Anwendung von § 21 StGB gestützt; die
Urteilsgründe lassen offen, ob die Einsichts-
oder die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich
vermindert waren.
Schuldunfähigkeit hat das Landgericht ausgeschlossen.
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2. Die Annahme von (eingeschränkter) Schuldfähigkeit
des Angeklagten
begegnet durchgreifenden Bedenken. Nach den Feststellungen des
Landgerichts
hatte der Angeklagte am Vorabend der Tat ab 20.00 Uhr etwa 3 1/2
Flaschen
Sekt à 0,75 l sowie 0,35 l "Schnaps" (mit nicht mitgeteiltem
Alkoholgehalt)
getrunken. Am Tattag trank er zwischen 16.00 Uhr und 17.00 Uhr zwei
Flaschen Sekt à 0,75 l. Eine am 26. September 2000 um 3.18
Uhr entnommene
Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,57 ‰.
Zur Begründung
der Feststellung einer Tatzeit-Blutalkoholkonzentration von 1,7
‰ führt das
Urteil aus, die Kammer habe sich dem Sachverständigen
angeschlossen, der
von dem Wert von 0,57 ‰ ausgegangen sei; weiter ist
ausgeführt: "Unter Zugrundelegung
eines mittleren Abbauwertes von 0,16 ‰ pro Stunde ist danach
zu folgern, daß bei der etwa 14-stündigen Tat der
Angeklagte 2,9 ‰ über die
Trinkdauer hinweg abgebaut hat. Da der Angeklagte zwei Flaschen Sekt am
Nachmittag nachgetrunken hat und diese einen Alkoholgehalt von zusammen
140 g haben, war zu seinen Gunsten von einem Resorptionsdefizit von 30 %
auszugehen. Der Angeklagte wog zur Tatzeit 80 kg bei einer
Größe von
1,75 m."
Die vom Landgericht hier vorgenommene Rückrechnung legt zu
Unrecht
einen "mittleren Abbauwert" von 0,16 ‰ zugrunde; die
Berechnung ist auch in
sich nicht zutreffend und läßt offen, für
welchen Zeitpunkt innerhalb des etwa
12-stündigen Tatzeitraums der Wert festgestellt ist. Das
konnte schon im Hinblick
darauf nicht offen bleiben, daß auch eine zeitliche
Einordnung der einzelnen
Körperverletzungshandlungen - zwischen 9.20 Uhr und 14.00 Uhr
- unterblieben
ist. Aus den genannten Ausführungen ergibt sich
überdies nicht hinreichend
deutlich, ob das Landgericht ausgehend von dem Wert von 0,57
‰ eine
Rückrechnung auf den Zeitpunkt des Tatbeginns vornehmen und
von diesem
Wert den Nachtrunk in Abzug bringen wollte, ob eine Berechnung nach den
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festgestellten Trinkmengen des Vortags erfolgen oder ob eine dritte
Berechnungsmethode
gewählt werden sollte. In den beiden erstgenannten
Fällen ergäben
sich bei zutreffender Berechnung für einzelne Tatzeiten
jeweils Blutalkoholkonzentrationen,
die weit über der vom Landgericht festgestellten
Blutalkoholkonzentration
lägen. Ob sich der Tatrichter des Widerspruchs zwischen
möglichen Berechnungsergebnissen anhand der festgestellten
Trinkmengen
und den möglichen Rückrechnungsergebnissen auf der
Grundlage der festgestellten
Blutalkoholkonzentration und des Nachtrunks überhaupt
bewußt war,
ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Da angesichts der
langen Rückrechnungszeiträume
den ermittelten rechnerischen Werten nur eine eingeschränkte
Indizwirkung zukommen kann, wird eine mit sachverständiger
Hilfe vorzunehmende
Beurteilung des Leistungsverhaltens des Angeklagten zu den verschiedenen
Tatzeitpunkten wesentliche Bedeutung gewinnen.
Im Hinblick auf die - ihrerseits unklaren - Ausführungen des
Landgerichts
zum Vorliegen hirnorganischer Beeinträchtigungen und eines
"Eifersuchtssturms"
mit "affektiver Aufladung" kann der Senat - auch wenn dies nicht
naheliegt - nicht mit Sicherheit ausschließen, daß
rechtsfehlerfreie Feststellungen
zur Annahme von Steuerungsunfähigkeit des Angeklagten
geführt hätten.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
a) Das Landgericht hat die Verhängung der hohen
Freiheitsstrafe von
vier Jahren gegen den 57 Jahre alten, nicht einschlägig
vorbestraften und
chronisch erkrankten Angeklagten unter anderem auf die
Erwägung gestützt,
zu Lasten des Angeklagten sei "die Intensität der
Körperverletzungen" heranzuziehen
(UA 21). Das ist bedenklich, weil zwar dem § 223 Abs. 1 StGB
unterfallende
Mißhandlungen, nicht aber, wie das Landgericht mehrfach
hervorhebt,
"erhebliche" oder "schwerwiegende Verletzungen" (UA S. 16, 17, 20)
festge-
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stellt sind. Sollte der neue Tatrichter wiederum zur Verurteilung
gelangen, wird
er bei der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten auch zu
berücksichtigen
haben, daß dieser auf Drängen der
Nebenklägerin wenige Monate vor der
Tat sein Haus verkauft und Frau W. den Großteil des
Erlöses von 25.000 DM
zur Verfügung gestellt hatte, daß er sich mehrfach
vergeblich darum bemüht
hatte, die Nebenklägerin zu Gesprächen über
ihre Absicht zu bewegen, die
Beziehung zu beenden, und daß die Nebenklägerin ihn
vor der Tat beschimpft
und geschlagen hatte.
b) Sollte der neue Tatrichter erneut zur Feststellung einer
Alkoholkrankheit
des Angeklagten mit hirnorganischen Beeinträchtigungen
gelangen, so
wird die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB zu
prüfen sein.
Bode Otten Rothfuß
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