BGH,
Beschl. v. 20.9.2000 - 1 StR 369/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 369/00
vom
20. September 2000
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. September 2000
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bayreuth vom 12. April 2000 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im
übrigen - wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen
Vergewaltigung unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen aus einer
anderen Verurteilung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit
der Sachbeschwerde Erfolg.
I.
Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte und die Zeugin B.
lebten zusammen und führten eine Diskothek. Am frühen
Morgen des 29. November 1993 schlug der Angeklagte der Zeugin im Rahmen
eines Streits mehrmals mit der Hand ins Gesicht, packte sie mit beiden
Händen vorne am Hals und würgte sie massiv. Die
Zeugin geriet dadurch in Atemnot. Währenddessen
äußerte der erheblich alkoholisierte Angeklagte
mehrfach, daß er sie umbringen wolle. Die Zeugin trug u.a.
ein Hämatom am Auge sowie Würgemale am Hals davon
(Fall II 1 der Urteilsgründe).
Anfang des Jahres 1994 wollte der Angeklagte nach Beendigung des
Diskothekenbetriebes nächtens mit der Zeugin nach dem
Zubettgehen in der gemeinsamen Wohnung den Geschlechtsverkehr
ausüben. Die Zeugin war dazu nicht bereit, was sie dem
Angeklagten gegenüber auch äußerte. Dieser
versuchte, ihre Beine auseinanderzudrücken. Die Zeugin
preßte sie zusammen und drückte den Angeklagten mit
ihren Händen weg. Es gelang dem Angeklagten, die Beine der
Zeugin auseinanderzudrücken; er packte ihre Hände an
den Handgelenken, drückte sie aufs Bett und führte
den Geschlechtsverkehr aus, wobei die Zeugin das durch Bewegungen ihres
Unterkörpers zu verhindern suchte, was ihr nicht gelang (Fall
II 2 der Urteilsgründe).
In der Folgezeit wohnten beide weiterhin zusammen und betrieben die
Diskothek bis zum August 1997. Es kam auch weiterhin zum
einvernehmlichen oder von der Zeugin "zumindest .... hingenommenen
Geschlechtsverkehr". Die Zeugin erstattete erst im Dezember 1997
Anzeige, nachdem der Angeklagte eine Beziehung zu einer anderen Frau
eingegangen war und mit dieser eine andere Diskothek betrieb; sie warf
dem Angeklagten in erster Linie vor, er habe dem gemeinsamen
Diskothekenbetrieb Sachwerte und Gelder entnommen und diese nicht
zurückgeführt. Dabei berichtete sie im Rahmen der
Anzeigeerstattung auch von sexuellen Übergriffen des
Angeklagten.
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, zum
Nachteil der Zeugin vier weitere Vergewaltigungen begangen zu haben,
die sich im April/Mai 1994, im April 1996, im September 1996 sowie im
September 1997 ereignet haben sollten. Es ist davon ausgegangen,
daß der Angeklagte möglicherweise den ernstlich
entgegenstehenden Willen der Zeugin - unter dem Eindruck jeweils
zwischenzeitlichen einverständlichen Geschlechtsverkehrs -
nicht als solchen erkannt habe.
II.
Die Verurteilung des Angeklagten hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
1. Hinsichtlich des Vergehens der Bedrohung im Falle II 1 der
Urteilsgründe ist Verfolgungsverjährung eingetreten.
Hierzu hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
"Die Verjährungsfrist für die Verfolgung dieser
Straftat, die im Höchstmaß nur mit Freiheitsstrafe
bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht ist (§ 241 Abs.
1 StGB), beträgt drei Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB).
Die Tat wurde am 29. November 1993 begangen (UA S. 10). Die
Verjährung ist bis zum 29. November 1996 nicht unterbrochen
worden. Die Strafanzeige wurde erst am 4. Dezember 1997 beziehungsweise
am 29. Januar 1998 (Bd. I Bl. 3, 6 d.A.) erstattet."
2. Der Schuldspruch wegen Vergewaltigung (Fall II 2 der
Urteilsgründe) kann ebenfalls keinen Bestand haben, weil die
zugrundeliegende Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen
Bedenken begegnet. Zu Recht beanstandet die Revision, daß die
Beweiswürdigung an einem unauflösbaren Widerspruch
leidet.
Das Landgericht hat sich mit der Aussage der Zeugin B. kritisch
auseinandergesetzt und auch mehrere Umstände erwogen, die
gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechen könnten.
Dabei hat es sich auch mit der erst mehrere Jahre nach der Tat
erfolgten Anzeigeerstattung, der Fortsetzung der - auch intimen -
Beziehung zum Angeklagten nach der Tat sowie einem denkbaren
Falschbelastungsmotiv auseinandergesetzt. Im Zusammenhang mit der
Erörterung einer möglichen Tendenz der Zeugin, das
behauptete strafbare Verhalten des Angeklagten anzureichern
(Aggravationstendenz), hat die Strafkammer hervorgehoben, die Zeugin
habe zunächst bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung am 29.
Januar 1998 erklärt, nach dem September 1996 sei es zu keiner
weiteren Vergewaltigungstat mehr gekommen; erst im Rahmen einer
späteren Vernehmung, am 23. April 1998, habe sie von einer
weiteren, zeitlich nachfolgenden Vergewaltigung im September 1997
berichtet. Die Zeugin hatte dafür die Erklärung
gegeben, sie habe anfangs über die Vorfälle nicht
richtig sprechen können, weil sie sich zu sehr
geschämt habe. Erst im Zuge einer psychologischen Behandlung
durch die Zeugin Br. habe sie gelernt, darüber zu reden.
Darauf hat sie die späten Angaben zu diesem letzten
Vergewaltigungsfall zurückgeführt. Die Strafkammer
hält diesen Umstand zusammen mit einem weiteren für
geeignet, die späte Erinnerung der Zeugin an den letzten
Vorfall vom September 1997 zu erklären (UA S. 21/22). Dabei
ist sie indessen daran vorbeigegangen, daß die Zeugin Br.
nach den auf deren Angaben beruhenden Feststellungen die psychologische
Betreuung der Zeugin B. erst am 19. Juni 1998 - und damit zeitlich nach
der Anreicherung ihrer Aussage um einen weiteren Vergewaltigungsfall
bei der Vernehmung am 23. April 1998 - übernommen hat (UA S.
30). Die von der Zeugin B. ins Feld geführte
Erklärung, die die Strafkammer aufgegriffen und damit
letztlich eine Aggravationstendenz in deren Aussageverhalten
ausgeschlossen hat, ist deshalb nicht tragfähig. Angesichts
der schwierigen Beweislage und der in der Fallgestaltung liegenden
Besonderheiten vermag der Senat nicht sicher auszuschließen,
daß dieser Fehler die Beweiswürdigung des
Landgerichts maßgeblich mitbeeinflußt haben kann.
Das gilt zumal vor dem Hintergrund, daß auch die
Feststellungen zu der Äußerung der Zeugin
gegenüber dem Angeklagten hinsichtlich ihres dem
Geschlechtsverkehr entgegenstehenden Willens nur allgemein sind und den
Wortlaut nicht einmal sinngemäß wiedergeben.
3. Angesichts der besonderen Umstände (lange
zurückliegende Beziehungstaten, Umstände der
Anzeigenerstattung) kann der Senat darüber hinaus auch nicht
ausschließen, daß die Beweiswürdigung zum
Fall II 1 - soweit noch ein Vergehen der gefährlichen
Körperverletzung in Rede steht - von der rechtsfehlerhaften
Beweiswürdigung zum Fall II 2 beeinflußt sein kann;
denn in beiden Fällen kommt es entscheidend auf die
Glaubwürdigkeit der Zeugin B. und die Glaubhaftigkeit ihrer
Aussage an. Der Senat hebt deshalb das Urteil in vollem Umfang auf.
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