BGH,
Beschl. v. 21.1.2003 - 4 StR 414/02
4 StR 414/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
21. Januar 2003
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21.
Januar 2003 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stendal vom 11. März 2002
a) dahin abgeändert, daß im Fall II 1 der
Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung wegen
versuchter Freiheitsberaubung entfällt,
b) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das
Amtsgericht Stendal - Schöffengericht -
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung in
Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung und wegen Vergewaltigung
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten
verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner
Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen
Teilerfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat keinen den Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler ergeben, soweit das Landgericht ihn im Fall II 1 der
Urteilsgründe wegen Nötigung und im Fall II 2 wegen
Vergewaltigung für schuldig befunden hat. Dagegen begegnet die
tateinheitliche Verurteilung wegen versuchter Freiheitsberaubung im
Fall II 1 durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen faßte der
Angeklagte der Zeugin Z. während einer Feier
überraschend an ihr bedecktes Geschlechtsteil. Als die Frau
daraufhin die Wohnung verlassen wollte, umfaßte der
Angeklagte ihre Oberschenkel und hob sie in das Badezimmer, "weil er
hoffte, dort mit Frau Z. in kurzer Zeit Zärtlichkeiten
auszutauschen" [UA 5]. Dazu kam es aber nicht, weil die Frau das
Schließen der Badezimmertür verhinderte und ihr
Lebensgefährte die Situation erfaßte und einschritt.
Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen versuchter
Freiheitsberaubung nicht. Es erscheint bereits fraglich, ob der vom
Angeklagten beabsichtigte kurze Aufenthalt im Bad gegen den Willen der
Frau den Tatbestand des § 239 Abs. 1 StGB erfüllt
hätte, weil dazu eine zeitlich nur unerhebliche
Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit nicht ausreicht
(vgl. BGH, Beschluß vom 3. Dezember 2002 - 4 StR 432/02).
Jedenfalls aber kommt dann, wenn die Freiheitsberaubung nur das
tatbestandsmäßige Mittel zur Begehung eines anderen
Delikts bildet, § 239 StGB als das allgemeine Delikt nicht zur
Anwendung (vgl. Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 239
Rdn. 18 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Der Angeklagte
nötigte die Frau in das Badezimmer, um sich ihr dort
für kurze Zeit unbeobachtet von den Gästen
körperlich nähern zu können. Die
Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit ging mithin nicht
über das hinaus, was zur bloßen
Tatbestandsverwirklichung der Nötigung erforderlich war.
Der Senat ändert den Schuldspruch daher entsprechend ab.
2. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der
für den Fall II 1 verhängten Einzelstrafe, die das
Landgericht dem nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB
gemilderten Strafrahmen des § 239 StGB entnommen hat, der den
des § 240 StGB übersteigt.
Die für die Vergewaltigung (Fall II 2 der
Urteilsgründe) ausgesprochene Einzelstrafe hat ebenfalls
keinen Bestand. Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des
§ 177 Abs. 2 StGB entnommen, ohne dies zu begründen.
Es hat sich nicht damit auseinandergesetzt, ob trotz des Vorliegens
eines Regelbeispiels ein besonders schwerer Fall verneint werden kann.
Zu einer solchen Prüfung bestand hier Anlaß, weil
zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten eine
länger andauernde intime Beziehung bestanden hatte. Diesen
wesentlichen strafmildernden Umstand (vgl. BGH StV 1998, 76; BGHR StGB
§ 177 Abs. 2 (i.d.F. des 6. StrRG) Strafrahmenwahl 14) hat das
Landgericht weder bei der Strafrahmenwahl noch im Rahmen der konkreten
Strafzumessung beachtet. Im übrigen begegnet auch die einzige,
vom Landgericht strafschärfend angeführte
Erwägung, der Angeklagte habe sein Opfer dadurch über
die Vergewaltigung hinaus erniedrigt, daß er ihm unmittelbar
danach in Bezug auf Verhalten am Arbeitsplatz eine Abmahnung
übergeben wollte, rechtlichen Bedenken: Diese Abmahnung stand
in keinem Zusammenhang mit dem Tatgeschehen und war überdies
auch nach Ansicht der Zeugin "wegen ihres tatsächlichen
Alkoholkonsums während der Arbeit wohl berechtigt".
3. Der Senat verweist die Sache im Umfang der Aufhebung
gemäß § 354 Abs. 3 StPO an das Amtsgericht
Stendal - Schöffengericht - zurück, dessen
Strafgewalt ausreicht (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanovic Ernemann |