BGH,
Beschl. v. 21.1.2003 - 4 StR 472/02
4 StR 472/02
StGB § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1
StPO § 265 Abs. 1 und 2
Der Hinweis des Gerichts, es sei an eine getroffene Absprache im
Strafverfahren wegen sich neu ergebender schwerwiegender
Umstände zu Lasten des Angeklagten nicht mehr gebunden, ist
protokollierungspflichtig (im Anschluß an BGHSt 43, 195).
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
21. Januar 2003
in der Strafsache gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21.
Januar 2003 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bielefeld vom 10. Juni 2002
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte im Fall B I 6 der Urteilsgründe des Betruges
schuldig ist,
b) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Computerbetrugs in sechs
Fällen, Wohnungseinbruchsdiebstahls und versuchter schwerer
räuberischer Erpressung in Tateinheit mit bewaffnetem
Wohnungseinbruchsdiebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht
Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit
seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen
Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der
Beschlußformel ersichtlichen Teilerfolg; im übrigen
ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch im Fall B I 6 (Verwendung der gestohlenen Bankcard
ohne PIN im POZ-Einzugsermächtigungsverfahren) ist auf die
Sachrüge dahin zu ändern, daß der
Angeklagte nicht des Computerbetruges (§ 263 a Abs. 1 StGB),
sondern des Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) schuldig ist (vgl.
BGHSt 47, 160, 171; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. §
263 a Rdn. 15). § 265 StPO steht der
Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte
gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als bisher
hätte verteidigen können.
2. Im Hinblick auf den Strafausspruch greift die
Verfahrensrüge, mit der die Nichteinhaltung einer
Verständigung im Strafverfahren geltend gemacht wird, durch.
a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Am 2. Verhandlungstag teilte der Vorsitzende der Strafkammer - nachdem
der Verteidiger in Anwesenheit des Angeklagten eine Vorberatung
darüber beantragt hatte, welche Strafobergrenze im Falle eines
Geständnisses für den Angeklagten in Betracht komme,
und der Staatsanwalt (dazu) eine Erklärung abgegeben hatte -
nach Beratung des Gerichts zu Protokoll mit:
"Das Gericht wird für den Fall der Ablegung glaubhafter
Geständnisse, und dass sich nicht noch schwerwiegende neue
Umstände, die dem Gericht bisher unbekannt waren und die
Einfluß auf das Urteil haben können, herausstellen,
eine Strafobergrenze von 7 Jahren Gesamtfreiheitsstrafe für
den Angeklagten K. nicht überschreiten."
Nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung gab der Verteidiger
für den Angeklagten eine mündliche Erklärung
ab, nach der der Angeklagte "die ihm vorgeworfenen Taten
vollumfänglich einräumt, allerdings mit der
Maßgabe, dass ihm - dem Angeklagten - nicht bekannt gewesen
sei, dass es an dem Einverständnis der Karteninhaberin gefehlt
habe. Die PIN-Nummer sei ihm nämlich bekannt gewesen"
(betrifft die Fälle der Verurteilung wegen Computerbetrugs).
Der Angeklagte erklärte sodann auf Befragen: "Ich
schließe mich den Worten meines Verteidigers an. Das ist so
richtig." Er ließ sich zur Sache ein und die Strafkammer
setzte die Beweisaufnahme fort. Sie verurteilte ihn
schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren.
b) Dieses Vorgehen verstieß gegen das Gebot fairer
Verfahrensführung.
Die Verfahrensweise des Gerichts entsprach den Anforderungen an eine
verbindliche Verständigung im Strafverfahren wie sie der Senat
in seinem Urteil vom 28. August 1997 (BGHSt 43, 195 ff.) festgelegt
hat. Durch die - in öffentlicher Hauptverhandlung
protokollierte - Angabe einer Strafobergrenze bei Ablegung eines
Geständnisses hat es bei dem Angeklagten einen
Vertrauenstatbestand geschaffen. An die Strafobergrenze war es nur bei
Bekanntwerden neuer schwerwiegender Umstände zu Lasten des
Angeklagten, auch etwa, wenn es der Auffassung war, daß die
Einlassung des Angeklagten den Anforderungen an ein "glaubhaftes
Geständnis" nicht genügte, nicht gebunden; es war
dann aber zu einem ausdrücklichen Hinweis an den Angeklagten
über die beabsichtigte Abweichung verpflichtet (vgl. BGHSt 36,
210, 212; 38, 102, 105; 42, 46, 49; BGH NStZ 2002, 219 f. [gescheiterte
Absprache] m. Anm. Weider NStZ 2002, 174 ff.). Wie die zuvor getroffene
verbindliche Absprache war dieser - entsprechend § 265 Abs.1,
2 StPO - protokollierungspflichtig (BGHSt 43, 195, 206, 210; zur
Protokollierungspflicht bei § 265 Abs. 1, 2 StPO vgl. BGHSt 2,
371, 373; 19, 141, 143; 23, 95, 96; BGH StV 1994, 232, 233; 1998, 583).
Ein solcher - protokollierter - Hinweis ist jedoch nicht erfolgt.
Die vom Landgericht geschaffene Vertrauensgrundlage ist auch nicht
dadurch entfallen, daß die Beweisaufnahme nach der - im
wesentlichen geständigen (UA 16, 23 ff.) - Einlassung des
Angeklagten fortgeführt wurde; denn das Gericht ist auch bei
einem aufgrund einer Verständigung abgelegten
Geständnis dazu verpflichtet, dieses auf seine Richtigkeit zu
überprüfen (BGHSt 43, 195, 204; BGH StV 1999, 407;
410, 411).
c) Der Angeklagte kann sich im Revisionsverfahren auf die
protokollierte zulässige Vereinbarung, eine zugesagte
Strafobergrenze werde nicht überschritten, berufen (vgl.
BVerfG StV 2000, 3; BGHSt 45, 227, 228; Kuckein/Pfister in FS 50 Jahre
BGH [2000] S. 641, 659 f. m.w.N.). Der Strafausspruch hat daher keinen
Bestand. Der Senat hebt - entsprechend dem Antrag des
Generalbundesanwalts - nicht nur die Gesamtstrafe, sondern auch die
Einzelstrafen auf, weil nicht auszuschließen ist,
daß der Angeklagte bei einem Hinweis des Gerichts, die
zugesagte Strafobergrenze sei nicht mehr bindend, seine Verteidigung so
geändert, er insbesondere sein Geständnis so
erweitert hätte, daß dies auch Einfluß auf
die Einzelstrafen gehabt hätte. Die für den
Fall B I 7 bisher fehlende Festsetzung einer Einzelstrafe (vgl. UA 24)
kann nachgeholt werden (vgl. BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 1
Einzelstrafe fehlende 1, 2).
Tepperwien Kuckein Athing Solin-Stojanovic Sost-Scheible |