BGH,
Beschl. v. 21.3.2001 - 3 StR 535/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 535/00
vom
21. März 2001
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts, zu 2. auf
dessen Antrag, am 21. März 2001 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Aurich vom 15. Juni 2000
a) im Schuldspruch der Tat zum Nachteil Erdil Y. dahin neu
gefaßt, daß der Angeklagte des versuchten
Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung schuldig ist;
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der
Angeklagte wegen versuchten Totschlags zum Nachteil Cemil Y. verurteilt
worden ist;
c) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und wegen
versuchten Totschlags in zwei Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Mit seiner Revision
rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen
Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde in dem aus der
Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im
übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen versuchten Totschlags zum Nachteil Cemil
Y. hat keinen Bestand. Das Urteil enthält keine ausreichenden
Feststellungen zur Frage eines möglichen strafbefreienden
Rücktritts vom Versuch.
Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte, der ein Ausbeinmesser
mit einer 13 cm langen Klinge bei sich hatte, von Erdil Y. seinen Ring
zurückhaben, koste es was es wolle. Auf dem Weg zu ihm traf er
auf Matthias B. und Cemil Y. , den Vater von Erdil Y. . Da der
Angeklagte glaubte, B. stehe im Lager seines Feindes, stieß
er ihm von unten das Messer in den linken Oberbauch und durchstach die
rechte Herzkammer. B. verstarb alsbald. Da nach Ansicht des Angeklagten
auch Cemil Y. in das Lager seines Feindes gehörte, stach er
nun zweimal tief in den Leib des Y. , ein Stich verletzte diesen 2 cm
unterhalb der 12. Rippe und drang in den inneren Bauchraum ein, der
andere durchtrennte das Bauchfell. Insbesondere der zweite Stich
führte zu einer unmittelbaren Lebensgefahr. "Cemil Y. blieb
schreckerstarrt an der Wand stehen und sackte kurz zusammen. Der
Angeklagte wandte sich unmittelbar, nachdem er das Messer nach dem
zweiten Stich aus dem Leib des Cemil Y. gezogen hatte, von diesem ab
und rannte in den hinteren Bereich des Flures, sodann links in den
Saunabereich auf der Suche nach seinem Hauptfeind Erdil Y. " (UA S.
17). Ihm folgte die Zeugin Elena C. und aus Angst um seinen Sohn der
Cemil Y. , der zu diesem Zeitpunkt Schmerzen infolge der beiden tiefen
Stiche in seinen Leib noch nicht wahrnahm. Nachdem der Angeklagte dem
Erdil Y. vier zum Teil lebensbedrohliche Stich- und Schnittverletzungen
zugefügt hatte, ergriff Cemil Y. den Angeklagten an den Haaren
und stieß dessen Kopf mehrfach gegen eine nahe Wand. Nach
einem kurzen Kampf floh der Angeklagte in seine in dem selben Haus
gelegene Wohnung.
Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom
Versuch der Tötung des Cemil Y. verneint und dazu nur
ausgeführt, daß der Angeklagte "nicht daran gedacht
habe, freiwillig die weitere Ausführung seiner Tat aufzugeben.
Er ist sofort weitergestürmt in den Saunabereich, um dort den
Erdil Y. zu finden und den Angriff gegen ihn zu führen" (UA S.
35).
Mit dieser Erwägung durfte ein strafbefreiender
Rücktritt nicht abgelehnt werden. Die wenigen bisherigen
Feststellungen lassen eine Beurteilung der Rücktrittsfrage
nicht zu, da dem angefochtenen Urteil schon nicht zu entnehmen ist, ob
der Totschlagsversuch unbeendet oder beendet war. Nach der gefestigten
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die
Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für
die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob
der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen
Ausführungshandlung den Eintritt des
tatbestandsmäßigen Erfolgs für
möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl.
nur BGHSt 39, 221, 227 m.w.Nachw.). Sichere Feststellungen dazu
enthält das Urteil nicht. Die Formulierung, daß sich
der Angeklagte "unmittelbar" nach dem zweiten Stich von seinem Opfer
abwandte und in den Saunabereich rannte, spricht eher dafür,
daß der Angeklagte die Verletzungsfolgen nicht wahrgenommen
hat. Zwar liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen nahe,
daß der Täter die lebensgefährdende Wirkung
und die Möglichkeit des Erfolgseintritts kennt (BGHSt 39, 221,
231 m.w.Nachw.). Diese Kenntnis versteht sich aber nicht von selbst,
wenn das Opfer nach der letzten Ausführungshandlung noch in
der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen und nur kurze Zeit
später sich in einen Kampf mit dem Angeklagten einzulassen; in
einem solchen Fall bedürfen die Vorstellungen des
Täters besonders eingehender Erörterung (vgl. BGHR
StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 31; BGH bei
Altvater NStZ 1999, 20). Dafür, daß sich der
Angeklagte nach der letzten Ausführungshandlung keine
Vorstellungen über die Folgen seines Tuns gemacht hat mit der
Konsequenz, daß ein beendeter Versuch anzunehmen
wäre (vgl. BGHSt 40, 304 f.), geben die bisherigen
Feststellungen keinen Anhalt.
2. Sollte der neue Tatrichter den Angeklagten insoweit wieder wegen
versuchten Totschlags verurteilen, so würde die gleichzeitig
verwirklichte gefährliche Körperverletzung nicht
zurücktreten, sondern zu der versuchten Tötung in
Tateinheit stehen (BGHSt 44, 196).
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
Winkler Becker |