BGH,
Beschl. v. 21.5.2003 - 1 StR 152/03
1 StR 152/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
21. Mai 2003
in der Strafsache gegen
wegen Geiselnahme u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 21. Mai 2003
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 19. Dezember 2002 im Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer
räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Geiselnahme zu einer
Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten
beanstandet die Verletzung sachlichen Rechts; sie hat zum
Strafausspruch Erfolg, ist im übrigen aber
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Der Angeklagte überfiel "in einem Zustand gesteigerter
Verzweiflung" eine Filiale der Südwestbank in S. . Er
verlangte dort unter der Bedrohung von Bankbediensteten mit einem
Gasalarmrevolver sowie einem geladenen, scharfen Revolver die
Ausführung von drei Überweisungsaufträgen
über hohe Beträge. Seiner Forderung wurde insoweit
schließlich in der Weise nachgegeben, daß die
Überweisungsaufträge in den Computer eingegeben
wurden; sie verließen jedoch den Bereich der
Südwestbank nicht. Nachdem der Angeklagte die noch anwesenden
Bankbediensteten bis auf den Filialleiter freigelassen hatte oder
diesen die Flucht gelungen war, hielt er den Filialeiter, den Zeugen A.
, über mehrere Stunden hinweg als Geisel. Der Angeklagte, der
keinen Ausweg für seine geschäftlichen Probleme sah,
wollte sich in einer Art finaler Machtdemonstration Genugtuung
verschaffen, indem er den Zeugen A. zu einem Gespräch
über die Geschäftsbeziehung zwang, bei dem er, der
Angeklagte, den Ton angab; zudem sollte der Zeuge seine Schuld an der
geschäftlichen Misere des Angeklagten eingestehen. Nach
mehrstündigen telefonischen Verhandlungen mit der Polizei gab
er schließlich auf. Er entlud seinen scharfen Revolver,
verstaute die Waffen in seiner Aktentasche, verließ die Bank
und wurde festgenommen. Die Strafkammer hat es für nicht
ausgeschlossen erachtet, daß der Angeklagte wegen des
Zusammenwirkens von Alkohol (2,94 Promille Blutalkoholgehalt bei
Tatbeginn) und Verzweifelung in seiner Steuerungsfähigkeit
erheblich vermindert war.
Das Landgericht hat der Strafzumessung den gemäß
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des
§ 239b Abs. 1 StGB zugrundegelegt (zwei Jahre bis elf Jahre
drei Monate Freiheitsstrafe). Einen minder schweren Fall hat es nicht
angenommen.
II.
Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand.
1. Die Strafkammer hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die fakultative
Strafrahmenmilderungsmöglichkeit nach § 239b Abs. 2
i.V.m. § 239a Abs. 4 StGB zu prüfen. Diese ist
eröffnet, wenn der Täter die Geisel unter "Verzicht
auf die erstrebte Leistung" in seinen Lebensbereich
zurückgelangen läßt. Für ein
Zurückgelangenlassen des Opfers in dessen Lebensbereich
genügte es hier, daß der Angeklagte sein Opfer am
Tatort freigab und dieses seinen Aufenthaltsort wieder frei bestimmen
konnte (BGH NJW 2001, 2895 = NStZ 2001, 532). Die entsprechende Geltung
des Merkmals des Verzichts auf die erstrebte Leistung aus §
239a Abs. 4 StGB für den Tatbestand der Geiselnahme
(§ 239b Abs. 2 StGB) erfordert ein tatbestandsgerechtes
Verständnis: Der Täter muß von der
Weiterverfolgung seines Nötigungszieles Abstand nehmen, also
auf die nach seinem ursprünglichen Tatplan
abzunötigende Handlung, Duldung oder Unterlassung verzichten
(vgl. Träger/Schluckebier in LK 11. Aufl. § 239b Rdn.
14). Die in Rede stehende Regelung kann auch nach der Vollendung der
Geiselnahme eingreifen. Der kriminalpolitische Sinn der Bestimmung
liegt gerade darin, durch die Zulassung der Strafmilderung trotz
vollendeter Tat die Möglichkeiten zu verbessern, das Opfer zu
retten und die Geiselnahme ohne eine in vielfacher Hinsicht
risikobehaftete polizeiliche Befreiungsaktion zu beenden (Dies. aaO
§ 239a Rdn. 34). Die Vorschrift soll "dem Täter den
Entschluß, das Opfer lebendig freizulassen, in jedem Fall
erleichtern" (vgl. Sonderausschußbericht BTDrucks. VI/2722 S.
3). In der Praxis wird diese Gesetzeslage oft auch ein wichtiger
Gesichtspunkt bei den "Verhandlungen" zwischen Geiselnehmer und Polizei
sein, die letztlich mit dem Ziel der Aufgabe des Täters
geführt werden. Gerade im Blick darauf erhellt sich die
Bedeutung einer ausdrücklichen Erörterung durch den
Tatrichter in den einschlägigen Fällen. Damit ist
freilich nicht gesagt, daß die Strafrahmenmilderung bei
Vorliegen ihrer gesetzlichen Voraussetzungen in der Regel vorzunehmen
wäre. Eröffnet ist damit allerdings tatrichterliches
Ermessen, das unter Berücksichtigung aller insoweit in
Betracht zu ziehenden Umstände ausgeübt werden
muß. Daß dies geschehen ist, muß sich den
Urteilsgründen entnehmen lassen.
Der Angeklagte wollte hier dem Zeugen A. das Eingeständnis
abpressen, daß dieser Schuld an seinem
geschäftlichen Ruin trage. Im Rahmen einer Machtdemonstration
ging es ihm darum, ein Gespräch zu erzwingen, bei dem er den
Ton angab. Die Strafkammer hätte erörtern
müssen, ob er dieses Ziel auch zum Zeitpunkt seiner Aufgabe
noch hätte weiter verfolgen können. Es lag nicht
fern, daß er seine "Machtdemonstration" noch hätte
fortführen können. Auch daß der Zeuge A.
das vom Angeklagten erstrebte "Eingeständnis" abgelegt
hätte, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht.
Daß die Aufgabe des Angeklagten naheliegender Weise auch
unter dem Eindruck der Absperrung und Umstellung des Tatortes durch die
Polizei erfolgte, steht der Strafrahmenmilderung nicht von vornherein
entgegen, kann aber bei der Bewertung, ob von dieser Gebrauch gemacht
wird, berücksichtigt werden (Dies. aaO § 239a Rdn.
39).
2. Der Erörterungsmangel setzt sich bei der konkreten
Strafzumessung fort: Die Strafkammer hat den Umstand, daß der
Angeklagte schließlich aufgab und sich festnehmen
ließ, nicht als strafmildernd erwähnt. Dabei handelt
es sich jedoch ersichtlich um einen Straffindungsgesichtspunkt
bestimmenden Gewichts (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).
3. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen,
daß die unterbliebene Prüfung der Vorschrift
über die "tätige Reue" durch Freilassung des Opfers
und die Nichterwähnung dieses Umstandes in den konkreten
Strafzumessungserwägungen den Angeklagten beschweren kann.
Zwar erscheint die verhängte Strafe im Blick auf das Tatbild
und die Täterpersönlichkeit nicht als zu hoch; da die
Strafbemessung aber Sache des Tatrichters ist und hier bei Vorliegen
der Voraussetzungen des § 239a Abs. 4 i.V.m. § 239b
Abs. 2 StGB auch ein Einfluß auf die Prüfung der
Voraussetzungen des minder schweren Falles (§ 239a Abs. 2
i.V.m. § 239b Abs. 2 StGB) nicht völlig
ausgeschlossen werden kann, darüber hinaus auch bei der ideal
konkurrierenden Strafbestimmung des § 250 Abs. 2 StGB
Milderungen unter dem Gesichtspunkt der erheblich
eingeschränkten Schuldfähigkeit und nach
Versuchsgrundsätzen in Betracht gekommen wären (vgl.
§ 52 Abs. 2 StGB), muß die Strafe durch den
Tatrichter neu zugemessen werden.
4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen - auch zum
Strafausspruch - sowie der Maßregelausspruch können
bestehen bleiben, weil lediglich Wertungsmängel vorliegen.
Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht
widerstreiten, sind möglich.
Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf- . .
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