BGH,
Beschl. v. 22.4.2008 - 4 StR 136/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 136/08
vom
22.4.2008
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 22.4.2008
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Magdeburg vom 22. November 2007 mit den Feststellungen - ausgenommen
diejenigen zum äu-ßeren Tatgeschehen, die bestehen
bleiben - aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte der schweren
Körperverletzung und der gefährlichen
Körperverletzung für schuldig befunden und sie zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen
wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die
Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat im
Wesentlichen Erfolg.
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1. Das Landgericht hat festgestellt:
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Die zur Tatzeit 21 Jahre alte Angeklagte wuchs in ungünstigen
Verhältnissen auf. Bereits frühzeitig zeigten sich
deutliche Entwicklungsrückstände im Hinblick auf
Sprachentwicklung und geistige Fähigkeiten. Schon
während ihrer Schulzeit zeigte sie auch deutliche
Verhaltensauffälligkeiten. So neigte sie zu heftigen
plötzlichen Zornausbrüchen, in deren Folge sie ohne
erkennbaren Anlass zu Hause Mobiliar und sonstige Gegenstände
beschädigte oder zerstörte. Zudem hat sie zunehmend
das Gefühl, von anderen Personen beobachtet, ausgelacht oder
gar bedroht zu werden. Sie vermeidet deshalb auch die Nähe zu
ihr unbekannten Menschen. Vor diesem Hintergrund lernte sie 2002 ihren
späteren Ehemann, einen aus Indien stammenden Asylbewerber,
kennen, der ihr erster Freund und Sexualpartner war und von dem sie im
Herbst 2003 schwanger wurde. Ihre gemeinsame Tochter Melanie-Gritt
wurde am 24. Juni 2004 geboren. Am 3. Juli 2004 wurde die Angeklagte
mit dem gesunden Mädchen aus der Klinik nach Hause entlassen.
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Drei Tage später, am 6. Juli 2004, war die Angeklagte mit
ihrer Tochter allein in ihrer Wohnung und wollte das Kind
füttern. Als sie es in den Armen hielt, kam ihr - ohne dass es
hierfür einen äußeren Anlass gab - der
Gedanke, das Kind auf den Boden zu werfen. In einem von ihr selbst als
Wut beschriebenen Zustand schleuderte sie es auf den
Fußboden. Nach kurzer Zeit hatte sie sich aber wieder gefasst
und erkannte, dass das Mädchen "ganz gelb" im Gesicht wurde
und keine Luft mehr bekam. Der wenig später in die Wohnung
zurückkehrende Kindesvater rief sogleich den Notarzt, der das
Kind in lebensbedrohlichem Zustand in das Krankenhaus einlieferte. Dort
wurde als Folge der Tat ein Schädelbruch mit ausgedehnten
Einblutungen und hochgradiger Hirnwassersucht festgestellt. Durch die
schwere Schädigung ist das Mädchen erblindet und
leidet es an einer spastischen Lähmung der
Gliedmaßen. Es ist auf
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Dauer auf fremde Pflege und Hilfe angewiesen und wird das Sprechen
nicht erlernen.
Zu der zweiten Tat kam es in den Mittagsstunden des 27. Juli 2005. Die
Angeklagte war gerade damit beschäftigt, mit einem auf
höchster Heizstufe stehenden Bügeleisen
Wäsche zu bügeln. Dabei überkam sie der
Gedanke auszuprobieren, was geschehe, wenn sie das heiße
Bügeleisen auf den Körper des Kindes stelle, das zu
diesem Zeitpunkt auf dem Fußboden lag. Die Angeklagte kniete
sich über das Mädchen und setzte das
Bügeleisen auf dessen blanke Wangenhaut. Hierbei beobachtete
sie das Kind, das kurz zusammenzuckte, aber nicht schrie. Es hatte eine
Verbrennung zweiten Grades im Gesicht erlitten. Wie bereits nach der
ersten Tat, versuchte die Angeklagte auch dieses Geschehen Dritten
gegenüber zunächst als Unfall darzustellen.
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2. Die Angeklagte hat die Taten im Sinne der getroffenen Feststellungen
eingeräumt. Sie hat angegeben, sie habe eine Stimme - ihre
eigene - gehört, die gesagt habe, sie solle ihre Tochter auf
den Boden werfen bzw. ihr ein Bügeleisen auf das Gesicht
setzen. Ihre eigene innere Stimme höre sie seit
Längerem. Mit Ausnahme dieser beiden Fälle habe sie
ihrer eigenen Stimme jedoch nicht Folge geleistet, auch wenn ihr diese
gesagt habe, die Tochter zu schädigen.
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Das Landgericht hat angenommen, dass die Schuldfähigkeit der
Angeklagten zwar im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert,
jedoch nicht vollständig aufgehoben gewesen sei. Es ist darin
dem gehörten Sachverständigen gefolgt, der bei der
Angeklagten eine schizotype Störung diagnostiziert und diese
als eine eng mit der Schizophrenie korrelierende schwere psychiatrische
Erkrankung eingestuft hat, die zu einer erheblichen Störung im
Hinblick auf vor-
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handene rationale Kontrollmechanismen geführt habe. Die im
Zusammenhang mit den Taten bei der Angeklagten aufgetretenen Gedanken,
das Kind zu schädigen, seien die Folge ungewöhnlicher
Denkinhalte. Trotz dieser Gedanken sei die Angeklagte aber zur
Beherrschung ihrer Eingebungen in der Lage gewesen. Dazu
heißt es im Urteil weiter: "Denn die Angeklagte hatte
vielfach derartige Gedanken in Beziehung auf ihr Kind Melanie-Gritt.
Sie hat die zerstörerischen Ideen in allen anderen
Fällen trotz ihrer nur unzureichenden Fähigkeit zur
adäquaten emotionalen Beziehung zu ihrem Kind beherrscht".
Eine Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 StGB hat das Landgericht -
ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen
- mit der Begründung abgelehnt, die Angeklagte sei nicht mehr
gefährlich. Sie verhüte, möchte keine Kinder
mehr und werde seit etwa zwei Jahren mit antipsychotischen Medikamenten
behandelt, die sie regelmäßig einnehme und die zu
einer Verbesserung ihres Krankheitsbildes geführt
hätten.
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3. Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand, weil die
Schuldfähigkeitsbeurteilung und die Nichtanordnung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durchgreifenden
rechtlichen Bedenken begegnen.
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a) Auch wenn grundsätzlich die Diagnose einer psychischen
Störung und deren Einordnung unter die Eingangsmerkmale des
§ 20 StGB nicht offen bleiben darf (vgl. speziell zur
schizotypen Störung BGHSt 37, 397; 49, 347, 355), hat das
Landgericht überzeugend dargelegt, dass die Angeklagte an
einem tatrelevanten krankhaften psychiatrischen Zustand leidet, wie
dies §§ 20, 21 StGB voraussetzen. Doch vermag der
Senat dem Landgericht nicht ohne Weiteres
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darin zu folgen, dass die Angeklagte "bei Begehung der Taten", d.h. in
den konkreten Tatsituationen noch in der Lage gewesen sei, ihre
Eingebungen zu beherrschen, und sie deshalb noch - wenn auch erheblich
vermindert - schuldfähig gewesen sei. Soweit das Landgericht
zur Begründung darauf verwiesen hat, die Angeklagte habe sich
selbst nicht darauf berufen, dass ihre eigene "innere Stimme" bei
Begehung der Taten stärker als in anderen Fällen
gewesen sei und sie ihrer inneren Stimme nicht habe widerstehen
können, ist dies von vornherein nicht geeignet, einen
für die Angeklagte unwiderstehlichen Impuls zur Tatbegehung zu
widerlegen. Der Schluss auf eine bei der Tatbegehung noch erhaltene
Steuerungsfähigkeit lässt sich aber auch nicht ohne
Weiteres daraus herleiten, dass die Angeklagte - wie das Landgericht
ausgeführt hat - in allen anderen Fällen ihre
zerstörerischen Ideen beherrscht habe. Insoweit mangelt es
bereits an einer nachvollziehbaren Darlegung der
äußeren und inneren Umstände jener "anderen
Fälle". Diese Darlegung wäre aber erforderlich
gewesen, um dem Senat die Überprüfung zu
ermöglichen, ob die Umstände bei jenen
Vorfällen mit den Tatsituationen vergleichbar waren und ob
deshalb das Landgericht zu Recht aus jenen Vorfällen auf den
innerpsychischen Zustand der Angeklagten im Zeitpunkt der Taten
schließen durfte. Zudem könnte gerade der Umstand,
dass sich die Angeklagte in anderen vergleichbaren Situationen zu
beherrschen vermochte, dafür sprechen, dass sie bei den hier
abgeurteilten Taten ihren "Stimmen" gerade nicht widerstehen konnte.
Über diese Frage ist nach dem Zweifelsgrundsatz zu entscheiden
(vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 20 Rdn. 67 m.N.).
Kommt danach in Betracht, dass die Angeklagte bei Begehung der Taten
schuldunfähig war, bedarf die Sache schon deshalb neuer
tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Von dem
aufgezeigten Rechtsfehler unberührt bleiben
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jedoch die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt,
die deshalb bestehen bleiben können.
b) Auch die Nichtanordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB
hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil
die Gefährlichkeitsprognose unzureichend begründet
ist.
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Die Annahme, die Angeklagte sei nicht mehr gefährlich, weil
eine Gefährdung sich nur auf ein Kind der Angeklagten
auswirken könnte, sie aber verhüte, wird den
besonderen Umständen in der Person der Angeklagten nicht
gerecht. Denn auch wenn das geschädigte Mädchen
nunmehr in einer Pflegefamilie lebt und die Angeklagte
gegenwärtig den Willen haben mag, kein Kind mehr zu bekommen,
bietet dies zumal angesichts ihrer unterdurchschnittlichen Intelligenz
und überdauernden Persönlichkeitsstörung
keine Gewähr, dass sie nicht in absehbarer Zeit erneut
schwanger werden oder auf sonstige Weise wieder in näheren
Kontakt mit Kleinstkindern kommen kann, die dann ihren
zerstörerischen Impulsen ausgesetzt sind. Entgegen der
Auffassung der Strafkammer kann der Annahme einer solchen - vor dem
Hintergrund der abgeurteilten Straftaten nicht nur theoretischen -
Gefahr nicht mit der Erwägung begegnet werden, dass die
zunehmend sensibilisierten Jugendämter und Familiengerichte
das Erforderliche veranlassen würden, falls die Angeklagte
wider Erwarten erneut Mutter werden würde. Denn wie sich
angesichts der Taten gezeigt hat, waren diese Stellen gerade nicht in
der Lage, die schwerwiegenden Übergriffe der Angeklagten zu
verhindern.
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Auch über die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in
einem psychiatrischen Krankenhaus ist deshalb neu zu befinden. Dass nur
die Ange-
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klagte Revision eingelegt hat, steht einer Nachholung der
Maßregelanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 StPO).
4. Wegen der besonderen Schwierigkeiten der hier für die
Schuldfähigkeitsbeurteilung und die Frage der
Maßregelanordnung maßgebenden Grundlagen wird es
sich empfehlen, für die neue Hauptverhandlung einen weiteren
Sachverständigen hinzuzuziehen.
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Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible |