BGH,
Beschl. v. 22.2.2006 - 5 StR 583/05
5 StR 583/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 22.2.2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22.02.2006 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 4. Juli 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die
Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. 1. Das
Schwurgericht hat folgenden Tathergang festgestellt: Der grippekranke
Angeklagte wurde am Tattag um 4 Uhr nachts von ihm
unerträglich laut erscheinender Musik aus der über
seiner Erdgeschosswohnung liegenden Wohnung des Nebenklägers
aus dem Schlaf gerissen. Nach zehn Minuten kleidete er sich an, um
gegen die Ruhestörung einzuschreiten; er vergaß
indes trotz erheblicher Kurzsichtigkeit, seine Brille aufzusetzen. Auf
sein lautes Klingeln und energisches Klopfen öffnete der
angetrunkene Nebenkläger schließlich die
Tür und schrie den Angeklagten an, durch den er sich
seinerseits gestört fühlte. Der nur mit einer
Jogginghose bekleidete, an den Unterarmen tätowierte
Nebenkläger wirkte im dunklen Hausflur vor dem Hintergrund
hellen Lichtscheins aus seiner Wohnung möglicherweise be-
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drohlich auf den Angeklagten. Dieser zog nach gegenseitigen
Unmutsäußerungen ein mitgeführtes
Springmesser, öffnete es und fügte dem
Nebenkläger einen lebensgefährlichen Stich in den
Halsansatz zu. Der Nebenkläger schlug dem Angeklagten
seinerseits mit der Faust ins Gesicht und konnte ihn nach einer
Rangelei die Treppe hinunter drängen. Im Verlauf des Gerangels
griff der Nebenkläger dem Angeklagten an den Hals, dieser
versetzte ihm neben zwei oberflächlichen Schnittverletzungen
noch einen Stich in die linke Flanke und schließlich einen
letzten Stich in den Oberschenkel. Der Nebenkläger wurde durch
den Halsstich lebensgefährlich verletzt und nur durch
intensivmedizinische Behandlung gerettet. Das Schwurgericht stellt
fest, bei der „zielgerichteten“ Zufügung
des Stiches habe der Angeklagte den Tod des Nebenklägers
billigend in Kauf genommen. 2. Es kann dahinstehen, ob das angefochtene
Urteil schon deshalb keinen Bestand haben kann, weil es keine
nähere Begründung für den bedingten
Tötungsvorsatz enthält. Angesichts der hohen
Hemmschwelle vor einer Tötung ist jedenfalls in
Fällen, in denen sonst keine Anhaltspunkte für eine
erhöhte Gewaltbereitschaft des Täters oder ein
irgendwie einleuchtendes Tötungsmotiv vorliegen, insbesondere
bei Spontantaten und Fällen affektiver Erregung des
Täters regelmäßig eine nähere
Erörterung geboten, ob etwa bloß eine
lebensgefährdende Behandlung mit (bewusster)
Fahrlässigkeit hinsichtlich einer möglichen
Todesfolge vorgelegen hat (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 212
Abs. 1 Vorsatz, bedingter 6, 7, 9, 15, 23, 24, 54). Es bedarf keiner
abschließenden Klärung, ob dies auch hier
für die spontan in Verärgerung und
Verängstigung verübte Gewalttat zu gelten
hätte, die dem unbestraften, wegen eines
„außergewöhnlichen Affekts“
möglicherweise in seiner Steuerungsfähigkeit
erheblich beeinträchtigten Angeklagten wesensfremd war, oder
ob ein zielgerichteter Stich in den Halsansatz mit so
außergewöhnlicher Lebensgefährlichkeit
einhergeht, dass sich ein bedingter Tötungsvorsatz trotz der
genannten Besonderheiten von selbst versteht. Denn die Revision
rügt mit Recht, dass die Feststellung eines derart
zielgerichteten
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Stiches im Widerspruch zu Erwägungen des Schwurgerichts im
Rahmen der Beweiswürdigung steht. Einerseits stellt das
Schwurgericht fest, der Angeklagte habe den Nebenkläger mit
einer Handbewegung „von unten nach oben“
angegriffen und das Messer „zielgerichtet dem Zeugen mit der
Klinge in den Halsansatz links der Drosselgrube“ gestochen
(UA S. 7). Andererseits heißt es bei der
Beweiswürdigung, es seien „sowohl verschiedene
Messerhaltepositionen als auch verschiedene Stich(richtungs)bewegungen
denkbar“, feststellbar sei „weder die exakte
Körperhaltung des Geschädigten noch der exakte Ablauf
der Stichbewegung“ (UA S. 17). Wie das Schwurgericht von
diesem Ausgangspunkt weitgehend mangelnder Feststellbarkeit des genauen
Kampfgeschehens trotz Bewegungsdynamik, affektiver Erregung und
eingeschränkter Sichtverhältnisse am Tatort zur
Annahme einer Zielgerichtetheit des dem Nebenkläger
beigebrachten lebensgefährlichen Halsstiches kommt,
erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht
ausreichend. 3. In der neuen Verhandlung wird bei Würdigung
der Wahrscheinlichkeit der entgegenstehenden Versionen zum Tatablauf
auch auf den Beweisantrag Bedacht zu nehmen sein, der Gegenstand der
erhobenen Verfahrensrüge ist. Für den Fall erneuter
Annahme bedingten Tötungsvorsatzes werden
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auch die Einwände der Revision zur Beurteilung der
Rücktrittssituation am Ende der Auseinandersetzung bedacht
werden müssen, wobei allerdings auch die Möglichkeit
eines beendeten Versuchs in Betracht zu ziehen wäre.
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