BGH,
Beschl. v. 22.3.2006 - 1 StR 75/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 75/06
vom 22.3.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22.03.2006 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Rottweil vom 14. Oktober 2005 a) im Schuldspruch dahin
geändert, dass der Angeklagte des Mordes in Tateinheit mit
sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person
schuldig ist, b) im Ausspruch über die
Vollstreckungsreihenfolge aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug von zwei
Jahren Jugendstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Die weitergehende
Revision wird verworfen. 3. Es wird davon abgesehen, dem
Beschwerdeführer Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens
aufzuerlegen. Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten
wegen Mordes in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer
Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre
der Jugendstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die auf die
Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten
führt entsprechend dem 1
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Antrag des Generalbundesanwalts zur Änderung des Schuldspruchs
und des Maßregelausspruchs; im Übrigen ist sie
unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). 1. Die Verurteilung
wegen tateinheitlich begangener sexueller Nötigung
gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält
rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 2 Nach den Feststellungen
würgte der Angeklagte in einem dunklen Wiesengelände
aufgrund eines aggressiven Affekts, nicht aus sexuellen Motiven, C. G.
in Tötungsabsicht fünf bis sechs Minuten bis zur
Bewusstlosigkeit. Da C. G. noch am Leben war, schleifte er sie zu einem
nahe gelegenen Bach. Nunmehr spürte er sexuelles Verlangen. Er
zog die besinnungslose C. G. teilweise aus und masturbierte bei
gleichzeitigem Berühren von deren Scheide und After.
Anschließend tötete er sein Opfer
endgültig, indem er es so an den Bach legte, dass der Kopf
sich unter Wasser befand. 3 Auf der Grundlage dieser Feststellungen
sind die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht
erfüllt. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass das Opfer unter
dem Eindruck seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor
möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm
grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet (vgl.
BGH, Urteil vom 25.01.2006 - 2 StR 345/05). Im vorliegenden Fall war
jedoch das bewusstlose Opfer nicht mehr in der Lage, seinen
entgegenstehenden Willen dem des Täters unterzuordnen, weil es
sich über das Vorgehen des Täters überhaupt
keine Vorstellung mehr machen konnte. Die Tathandlung erfüllt
daher lediglich den Straftatbestand des § 179 Abs. 1 Nr. 1
StGB, der als Auffangtatbestand eingreift, wenn eine Beugung eines
entgegenstehenden Willens des Opfers nicht vorliegt (BGH aaO). 4
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Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es gleichwohl nicht, weil
die wegen des im Mittelpunkt stehenden Mordes verhängte
Jugendstrafe im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angemessen
erscheint. 5 2. Auch die vom Landgericht gemäß
§ 67 Abs. 2 StGB bestimmte Vollstreckungsreihenfolge hat
keinen Bestand. Die gegebene Begründung vermag eine Abweichung
von der Regel des § 67 Abs. 1 StGB, wonach zunächst
die Maßregel zu vollstrecken ist, nicht zu rechtfertigen. 6
a) Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzuges der Strafe
ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten. Nach der
Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll -
auch bei hohen Freiheitsstrafen - möglichst umgehend mit der
Behandlung des kranken oder süchtigen Rechtsbrechers begonnen
werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht.
Gerade bei längerer Strafdauer muss es darum gehen, den
Angeklagten frühzeitig von seinem Hang zu befreien, damit er
im Strafvollzug an der Verwirklichung des Vollzugszieles arbeiten kann.
Eine Abweichung von der Regelabfolge des Vollzuges bedarf eingehender
Begründung. Steht zu besorgen, dass der an die
Maßregel anschließende Strafvollzug den
Maßregelerfolg wieder zunichte machen könnte, so
müssen dafür überzeugende Gründe
vorliegen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Januar 2001 - 1 StR 481/00 -
m.w.N.). 7 b) Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht bestimmte
Ausnahme nicht gerecht. Der Generalbundesanwalt hat in seiner
Antragsschrift hierzu zutreffend ausgeführt: 8 "Die
Erwägung, dem Angeklagten müsse im Interesse des
möglichen Therapieerfolges zunächst ein Bewusstsein
vom Ausmaß seiner schweren Schuld mit Hilfe der vorherigen
teilweisen Verbüßung der Jugendstrafe vermit-9
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telt werden, da er durch sein Verhalten und seine
Äußerungen in der Hauptverhandlung bis zuletzt
gezeigt habe, er erwarte Nachsicht und Verständnis
für seine Tat, lässt besorgen, dass die Jugendkammer
davon ausging, der Angeklagte neige dazu, seine Taten zu
bagatellisieren. Diese Erwägung lässt nicht
nachvollziehen, inwiefern eine Konfrontation mit den Folgen seines
strafbaren Handelns eher im Strafvollzug als bei der Behandlung in
einem psychiatrischen Krankenhaus erreicht werden kann oder die
Strafhaft als Vorstufe der Behandlung für deren Zwecke
therapeutisch erforderlich sein könnte (vgl. Senat, Beschluss
vom 26. April 2001 - 1 StR 109/01). Das weitere Argument der
Strafkammer durch den - wenigstens teilweisen - Vollzug der
Jugendstrafe müsse der Therapiewille des Angeklagten gefestigt
und sein Motivationsdruck erhöht werden, reicht für
ein Abweichen von der Grundentscheidung des Gesetzgebers ebenfalls
nicht aus, da keine konkreten Umstände im Einzelfall dargetan
sind, die dies nahe legen (vgl. BGHR § 67 Abs. 2
Zweckerreichung, leichtere 10) und die hierzu durch die
Anhörung des Sachverständigen gewonnenen Erkenntnisse
ebenso wenig mitgeteilt werden (BGHR StGB § 67 Abs. 2
Vorwegvollzug, teilweiser 12)." 10 Zudem hat das Landgericht nicht
berücksichtigt, dass die Therapiebereitschaft auch beim
Vollzug der Maßregel gefördert werden kann (vgl.
BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 14), da es zu
den wesentlichen Aufgaben des Maßregelvollzugs
gehört, den Verurteilten zur Einsicht in die Notwendigkeit
seiner Behandlung zu bringen. Das Landgericht hätte im
Übrigen auch bedenken müssen, dass die vorhandene
Therapiebereitschaft, die der Angeklagte in der Hauptverhandlung auch
durch seinen Verteidiger erklären lassen konnte,
während des Strafvollzugs wieder zerstört werden
könnte (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung,
leichtere 10; Vorwegvollzug, teilweiser 12). 11
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c) Der Senat hält es nach alledem - auch nach nunmehr
einjähriger Untersuchungshaft - für ausgeschlossen,
dass sich in einer neuen Hauptverhandlung die Voraussetzungen
für die Vorwegvollstreckung (eines Teils) der Strafe noch
ergeben könnten. Er sieht deshalb von einer
Zurückverweisung der Sache ab und lässt stattdessen
die Anordnung des Vorwegvollzugs entfallen (§ 354 Abs. 1
StPO). 12
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