BGH,
Beschl. v. 23.8.2000 - 2 StR 162/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 162/00
vom
23. August 2000
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. August
2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera
vom 17. Januar 2000 insoweit mit den Feststellungen aufgehoben, als
gegen ihn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet worden ist; im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der
gefährlichen Körperverletzung in sieben
Fällen und der versuchten gefährlichen
Körperverletzung in einem weiteren Fall wegen nicht
ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen,
jedoch seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet. Dagegen richtet sich seine Revision, mit der er die
Verletzung sachlichen Rechtes rügt.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Anordnung der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält
rechtlicher Prüfung nicht stand.
Das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte eine
Reihe von Anlaßtaten begangen, nämlich in den Jahren
1992, 1993 und 1995 seine Lebensgefährtin mit verschiedenen
Gegenständen (Messer, Kaffeekanne, Bierflasche, Stuhllehne,
Wäscheständer, Zementsack) erheblich
mißhandelt hat. Allerdings ist der Fall 8 nicht datiert. Auch
hat keine Beachtung gefunden, daß der Fall 1 (Tatzeit:
Januar/Februar 1992) und womöglich auch der Fall 2 (Tatzeit:
1992) verjährt sind, weil die für § 223 a
a.F. StGB geltende Verjährungsfrist von fünf Jahren
(§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) bereits abgelaufen war, bevor am 21.
November 1997 mit Anordnung der ersten Vernehmung des damaligen
Beschuldigten eine zur Verjährungsunterbrechung geeignete
Handlung (§ 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB) stattfand.
Unzulänglich sind aber vor allem die Ausführungen des
Landgerichts dazu, ob den Taten des Angeklagten ein länger
andauernder Zustand (zumindest) erheblich verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) zugrunde lag. Es bejaht -
dem hierzu gehörten Sachverständigen folgend - das
Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit. Obgleich die
Urteilsgründe durchaus Anhaltspunkte hierfür bieten,
ist ihnen doch nicht zu entnehmen, welche Form der schweren anderen
seelischen Abartigkeit das Landgericht annimmt und ob es dabei von
zutreffenden Maßstäben ausgegangen ist. Denn es
beschränkt sich auf die Feststellung einer "dissozialen
Persönlichkeitsstörung" und beschreibt deren
Kriterien nach dem Merkmalskatalog der von der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen internationalen
Klassifikation ICD 10 (International Classification of Diseases, 10th
revision, deutsche Fassung Dilling/Mombour/Schmidt [Hrsg.] 2. Aufl.).
Das genügt nicht. Abgesehen davon, daß diese
Kriterien in den Urteilsgründen nicht mit Tatsachen belegt
werden, ergeben sie auch noch keinen Zustand erheblich verminderter
Schuldfähigkeit; denn die ICD, die vor allem der
internationalen fachlichen Verständigung dient, zählt
lediglich Erkrankungen und Verhaltensstörungen auf und ordnet
sie ein, trifft aber keine Aussage darüber, ob und inwieweit
die beschriebenen Defekte die Schuldfähigkeit des
Täters beeinträchtigen (BGH NStZ 1997, 383 = BGHR
StGB § 21 Psychose 1; BGHR StGB § 21 Seelische
Abartigkeit 29). Die Feststellung einer "dissozialen
Persönlichkeitsstörung" besagt wenig; denn dieser
Begriff kann auch Eigenschaften und Verhaltensweisen umspannen, die
sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens uneingeschränkt
schuldfähiger Menschen bewegen, also keine schwere andere
seelische Abartigkeit begründen (BGHR StGB § 63
Zustand 24). Es bedarf daher einer näheren Beschreibung und
Eingrenzung des psychischen Defekts vor dem Hintergrund einer
eingehenden Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und
ihrer Entwicklung (BGHR StGB § 63 Zustand 34). Diesen
Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
Insbesondere fehlen hinlänglich konkrete Angaben zur Art der
Störung und zur Entwicklung der Persönlichkeit des
Angeklagten. Diese werden aus den Feststellungen zu seinen
früheren Aufenthalten in psychiatrischen
Krankenhäusern und den dabei gestellten Diagnosen ebensowenig
deutlich wie aus der nicht weiter erläuterten, die Schilderung
der Anlaßtaten aussparenden Angabe, der Angeklagte habe sich
"rund 17 Jahre in Haft" befunden.
Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB ist aber auch
deshalb unzureichend begründet, weil das Landgericht
feststellt, der Angeklagte sei alkohol- und
medikamentensüchtig, leide unter Entzugserscheinungen und
bedürfe einer Behandlung, ohne sich mit der Frage seiner
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB)
auseinanderzusetzen. Dies drängte sich auf, falls - was die
Feststellungen wiederum offenlassen - bei den Anlaßtaten
Alkohol- oder Medikamentenmißbrauch eine auslösende
Rolle gespielt haben sollte. In diesem Fall erübrigte sich
eine Erörterung nicht schon deshalb, weil - wie die
Strafkammer mit dem Sachverständigen annimmt - bei dem
Angeklagten "die Suchtmittelproblematik vordergründiger als
die Persönlichkeitsproblematik" ist; denn das
schließt nicht ohne weiteres aus, daß die
Behandlung in einer Entziehungsanstalt die Aussicht bietet, ihn soweit
zu therapieren, daß von ihm keine Gefahr der Begehung
erheblicher rechtswidriger Taten mehr ausgeht.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
ist demgemäß aufzuheben, wohingegen der Freispruch
bestehen bleibt. Da nach den bisherigen Feststellungen die letzte
Anlaßtat im Jahre 1995 begangen ist, also lange
zurückliegt, wird die nunmehr sachbefaßte
Strafkammer zu den Vorfällen aus den Monaten Januar und
Oktober 1999 angesichts ihrer möglichen Bedeutung für
die Gefahrprognose genauere Feststellungen treffen müssen.
Jähnke Niemöller Otten
Rothfuß Fischer |