BGH,
Beschl. v. 23.8.2001 - 3 StR 261/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 261/01
vom
23. August 2001
in der Strafsache gegen
wegen sexueller Nötigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 23. August 2001 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kleve vom 22. März 2001 im Maßregelausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "sexueller Nötigung
unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs" sowie wegen
sexueller Nötigung in neun Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und die
Sicherungsverwahrung angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des
Angeklagten ist, soweit sie sich gegen den Schuld- und den
Strafausspruch wendet, unbegründet im Sinne von § 349
Abs. 2 StPO; hingegen hält, wie der Generalbundesanwalt in
seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, der
Maßregelausspruch der rechtlichen
Überprüfung nicht stand, da die formellen
Voraussetzungen nur unzulänglich festgestellt sind.
1. Nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt die Anordnung der
Sicherungsverwahrung voraus, daß der Täter wegen vor
der Anlaßtat begangener vorsätzlicher Straftaten
schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem
Jahr verurteilt worden ist. Die erste hierfür in Betracht
kommende "Vorverurteilung" des Angeklagten ist die durch das Urteil des
Landgerichts Hagen vom 11. Mai 1988 zu einer Einheitsjugendstrafe von
fünf Jahren und neun Monaten. Eine in einem früheren
Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31
JGG erfüllt die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1
StGB jedoch nur, wenn zu erkennen ist, daß der Täter
wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine
Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern
sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre (BGHSt 26,
152, 154 f.; BGHR StGB § 66 I Vorverurteilungen 2, 6 und 9;
BGH NJW 1999, 3723). Dies festzustellen, ist eine im wesentlichen
tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung
entscheidenden Richter obliegt. Davon, daß im Falle
gesonderter Aburteilung der Einzeltaten jeweils eine Jugendstrafe von
mindestens einem Jahr verhängt worden wäre, darf nur
ausgegangen werden, wenn der Tatrichter Feststellungen darüber
treffen kann, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten
bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im
nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (BGH NJW 1999, 3723
m.w.Nachw.). Diese Feststellungen muß der Tatrichter so
belegen, daß eine ausreichende revisionsgerichtliche
Überprüfung möglich ist. Hieran fehlt es im
vorliegenden Fall.
Das Landgericht Hagen hatte den Angeklagten unter Einbeziehung eines
wegen Diebstahls in vier Fällen und wegen versuchten
Diebstahls ergangenen Urteils, in dem er zu einer Jugendstrafe von
einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden war, wegen Geiselnahme
in Tateinheit mit Gefangenenmeuterei und gefährlicher
Körperverletzung, wegen Diebstahls in vier Fällen und
wegen versuchten Diebstahls verurteilt. Der Tatrichter teilt lediglich
mit, das Urteil des Landgerichts Hagen ließe erkennen,
daß der Angeklagte bei einer der ihm zugrundeliegenden Taten
eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte.
Eine Begründung dafür enthält das Urteil
nicht. Nachdem weder die Lebenssachverhalte, die der Vorverurteilung
zugrundegelegen haben, noch die Strafzumessungsgründe jenes
Urteils mitgeteilt sind, kann der Senat nicht prüfen, ob diese
tatrichterliche Wertung zutreffend ist. Sie versteht sich hier auch
nicht von selbst, denn der Senat kann nicht davon ausgehen,
daß dem Schuldspruch des Urteils des Landgerichts Hagen nur
eine neue Straftat zugrundelag und die vier Diebstähle sowie
der versuchte Diebstahl lediglich Wiederholungen des Schuldspruchs aus
dem einbezogenen Urteil sind. Es wäre vielmehr fehlerhaft,
zusätzlich zu den neuen Taten noch die dem einbezogenen Urteil
zugrundeliegenden Taten im Tenor anzugeben, weil sie dann zweimal
erwähnt würden (BGH, Urt. vom 25. August 1987 - 4 StR
224/87 - mitgeteilt bei Böhm NStZ 1988, 490, 492).
2. Auch sonst lassen sich in den bisherigen Feststellungen die
Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung
nicht finden.
a) Die mitgeteilten Verurteilungen durch das Landgericht Paderborn vom
21. Januar 1994 wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren
und drei Monaten sowie durch das Landgericht Kassel vom 19. September
1996 wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit
unerlaubtem Führen einer Schußwaffe in zwei
Fällen, wegen Diebstahls in vier Fällen und wegen
Bedrohung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer
Schußwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren
reichen als formelle Voraussetzungen nach § 66 Abs. 1 Nr. 1
StGB alleine nicht aus, weil im zweiten Urteil eine
(nachträgliche) Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung der
Freiheitsstrafe aus dem ersten Urteil gebildet worden ist (vgl.
§ 66 Abs. 4 Satz 1 StGB; BGH StV 1982, 420).
b) Soweit Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3
StGB in Betracht kommt, kann der Senat hierüber nicht selbst
entscheiden, weil die Anordnung der Maßregel im
pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters liegt (vgl.
zu § 66 Abs. 2 StGB: BGH StV 1998, 343).
3. Für den Fortgang des Verfahrens bemerkt der Senat:
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist eine ganz erheblich in die
Lebensverhältnisse eines Angeklagten einschneidende
Entscheidung. Sie erfordert deshalb eine dieser Bedeutung angemessene
Begründung. Nicht nur zur Feststellung der formellen
Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung (dazu oben 1.), sondern auch
für die Darlegung des Hanges zu erheblichen Straftaten
müssen die Sachverhalte mitgeteilt werden, die den
Anlaß für die "Vorverurteilungen" gegeben haben
(vgl. im einzelnen BGHR StGB § 66 Darstellung 3).
Nachdem gegen den Angeklagten bereits durch Urteil vom 19. September
1996 die Sicherungsverwahrung angeordnet worden, das Strafende
für die damals verhängte Freiheitsstrafe auf den 28.
August 2004 errechnet und nunmehr eine weitere Freiheitsstrafe von
sieben Jahren rechtskräftig geworden ist, verweist der Senat
hinsichtlich der
Verhältnismäßigkeitsprüfung bei
Verhängung einer zweiten Sicherungsverwahrung auf die
Darlegungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
Rissing-van Saan Winkler Pfister RiBGH Dr. Miebach ist urlaubsbedingt
ortsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert.
RiBGH von Lienen ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der
Unterschrift gehindert. |