BGH,
Beschl. v. 24.7.2003 - 3 StR 159/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 159/03
vom
24. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 24. Juli 2003
gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 22. November 2002 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge
zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren
Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit
der er
die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte
entsprechend
einer Übereinkunft mit seiner Ehefrau die nächtliche
Pflege und
Versorgung des gemeinsamen, zur Tatzeit erst knapp einen Monat alten
Sohnes
Hendrik übernommen. Das Kind war für den Angeklagten
"ein Wunschkind".
Es wurde von ihm stets ordnungsgemäß versorgt und zu
keiner Zeit mißhandelt
oder vernachlässigt. In den ersten Stunden des Tattages legte
sich der
Angeklagte, nachdem er das schreiende Kind noch einmal versorgt,
gewickelt
und beruhigt hatte, zu Bett. "Vermutlich gegen 06.00 Uhr" schreckte der
Ange-
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klagte aus dem Schlaf auf, weil Hendrik laut schrie. Er redete
zunächst ruhig
auf das Kind ein, nahm es dann "müde und genervt" aus dem
Bett. Sodann hob
er den Säugling vor seine Brust und schüttelte ihn,
um ihn ruhig zu stellen,
"mindestens einmal" so heftig, daß er mit dem Schreien
aufhörte. Bei dem Kind
kam es dadurch zu ausgedehnten Hirnblutungen und einer Hirnschwellung.
Es
verstarb an zentraler Lähmung, nachdem ein vom Angeklagten
verständigter
Notarzt nicht mehr helfen konnte.
Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht festgestellt: Dem
Angeklagten
sei es "bewußt (gewesen), daß er mit dieser
Mißhandlung zugleich eine
Körperverletzung verursachen konnte". Als er das Kind
zurückgelegt habe, sei
ihm "klar (gewesen), daß er mit dem Schütteln zu
weit gegangen war und dem
Kind möglicherweise ernsthaft geschadet hatte". Er habe
gewußt, "daß er dadurch
eine Körperverletzung verursacht haben konnte, was er
billigend in Kauf
nahm". Das Bewußtsein möglicherweise
tödlicher Folgen des Schüttelns sei
ihm "unmittelbar danach gegenwärtig" gewesen.
2. Die Ausführungen des Urteils zur inneren Tatseite halten
rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
a) Es bestehen bereits Bedenken, ob die vom Landgericht festgestellten
Vorstellungen und Einschätzungen des Angeklagten zu den Folgen
seines
Handelns den subjektiven Tatbestand einer Körperverletzung mit
Todesfolge
erfüllen.
In subjektiver Hinsicht setzt § 227 StGB den Vorsatz einer
Körperverletzung
voraus. Dieser Vorsatz, der - als hier allein in Betracht kommender
bedingter
Vorsatz - nur dann gegeben ist, wenn der Täter den Eintritt
des tatbestandlichen
Körperverletzungserfolgs als möglich und nicht ganz
fernliegend
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erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, daß er die
Tatbestandsverwirklichung
billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen
wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch
unerwünscht sein
(BGHSt 36, 1, 9), muß nach § 16 StGB " bei der
Begehung der Tat", also im
Zeitpunkt der Handlung vorliegen, die den
Körperverletzungserfolg zur Folge
hat. Zu diesem Zeitpunkt muß bei dem Täter das
für den Vorsatz erforderliche
Wissen in aktuell wirksamer Weise vorhanden sein (BayObLG NJW 1977,
1974). Bloßes nicht in das Bewußtsein gelangtes
Wissen oder ein nur potentielles
Bewußtsein reicht nicht aus. Ebensowenig vermag
früheres Wissen, das
beim Täter zum Zeitpunkt der Tat nicht mehr vorhanden ist,
oder eine erst nach
der Tat erlangte Kenntnis das Wissenselement des Vorsatzes zu
begründen
(vgl. BGH NStZ 1983, 452; BGHSt 10, 151, 153).
Daß der Angeklagte - gemessen an den sich daraus ergebenden
Anforderungen
- den Vorsatz einer körperlichen Mißhandlung seines
Sohnes oder der
Beschädigung seiner Gesundheit hatte, als er dazu ansetzte,
ihn einmal zu
schütteln, läßt sich den vom Landgericht
getroffenen Feststellungen nicht hinreichend
sicher entnehmen. Dabei mag dahingestellt bleiben, ob die Feststellung,
dem Angeklagten sei "bewußt (gewesen), daß er eine
Körperverletzung
verursachen konnte," in Verbindung mit nachfolgenden
Ausführungen auch im
Hinblick auf die voluntative Seite des Vorsatzes als ausreichend
angesehen
werden könnte. Denn jedenfalls lassen die sich unmittelbar
anschließenden
Wendungen des Urteils besorgen, daß das Landgericht seine
Prüfung nicht auf
den maßgeblichen Zeitpunkt der Vornahme der
tatbestandsmäßigen Handlung
bezogen hat: Daß dem Angeklagten bewußt wurde,
daß er dem Kind "möglicherweise
geschadet hatte", bzw. daß er billigend in Kauf nahm,
daß er "eine
Körperverletzung verursacht haben konnte", besagt nichts
über seine Vorstel-
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lungen, Folgeneinschätzungen und Einstellungen "bei Begehung
der Tat" im
Sinne des § 16 StGB.
b) Selbst wenn man aber die Wendungen des angefochtenen Urteils, die
auf einen unzutreffenden zeitlichen Bezugspunkt der
Vorsatzprüfung hindeuten,
als nur sprachlich verunglückt ansehen und die getroffenen
Feststellungen
zur subjektiven Tatseite als ausreichend werten wollte, könnte
der Schuldspruch
keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung zur subjektiven
Tatseite
nicht den insoweit zu stellenden Anforderungen gerecht wird.
Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei dargelegt, daß es
dem Angeklagten,
der keinen Tötungsvorsatz gehabt habe, möglich
gewesen sei, vorauszusehen,
daß sein Sohn als Folge des Schüttelns zu Tode
kommen könnte.
Mit dem Nachweis des Körperverletzungsvorsatzes hat sich das
Landgericht in
seiner Beweiswürdigung aber nicht ausdrücklich
auseinandergesetzt. Das muß
hier zur Aufhebung des Urteils führen, weil sich die Annahme,
der Angeklagte
habe mit Körperverletzungsvorsatz gehandelt, unter den
festgestellten Umständen
keinesfalls von selbst versteht. Allerdings ist allgemeinbekannt,
daß
ein heftiges Schütteln eines nur einen Monat alten
Säuglings in der festgestellten
Weise zu einer erheblichen Beeinträchtigung seines
körperlichen
Wohlbefindens und zu einer - sogar lebensgefährdenden -
Beschädigung seiner
Gesundheit führen kann. Hier hätte es aber
näherer Darlegung bedurft,
daß sich der Angeklagte dieser - auch ihm erkennbaren Gefahr
- im Zeitpunkt
der Vornahme der gefährlichen Handlung aktuell
bewußt war und er den Eintritt
des tatbestandsmäßigen Erfolges billigend in Kauf
genommen hat. Zu dieser
Erörterung, deren Fehlen um so mehr zu vermissen ist, als das
Landgericht die
Vorsatzprüfung möglicherweise auf einen falschen
Zeitpunkt bezogen hat, bestand
insbesondere deshalb Anlaß, weil der Angeklagte das Kind "nur
einmal"
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schüttelte (hiervon ist im Rahmen der revisionsrechtlichen
Prüfung aufgrund
der Feststellung "mindestens einmal" in diesem Zusammenhang auszugehen)
und dabei - wie weiter festgestellt - "in einer erheblichen
Streßsituation" und
"affektiv erregt" war. Bei einem solchen Sachverhalt mag es - anders
als in
Fällen mehrfachen heftigen Schüttelns eines
Säuglings, in denen die Gefährlichkeit
der Handlung dem Täter spätestens durch die ersten
unkontrollierten
Bewegungen des kindlichen Kopfes deutlich vor Augen treten - durchaus
sein,
daß dem Angeklagten die Gefährlichkeit seines Tuns
nicht nur in Bezug auf die
mögliche Todesfolge, sondern auch schon im Hinblick auf die
Gefahr eines
bloßen Körperverletzungserfolges nicht in das
Bewußtsein gedrungen ist, er
seinen Sohn - wie er auch in seiner polizeilichen Vernehmung angegeben
hat -
also nicht verletzen wollte. Dafür könnte im
übrigen auch sprechen, daß er sein
Kind, das er liebte und sorgevoll pflegte, auch sonst nicht
mißhandelte.
3. Nach allem ist das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die
Sache zu neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.
Tolksdorf Winkler Pfister
Becker Hubert |