BGH,
Beschl. v. 25.7.2002 - 3 StR 41/02
3 StR 41/02
StGB § 24 Abs. 1, § 46 Abs. 2
Zur strafschärfenden Berücksichtigung des Motivs der
verbleibenden vollendeten Tat bei strafbefreiendem Rücktritt
von einem sog. qualifizierten Versuch.
BGH, Beschl. vom 25. Juli 2002 - - LG Oldenburg
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
25. Juli 2002
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 25. Juli 2002 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 29. Mai 2001 im Strafausspruch und hinsichtlich der
Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs der Maßregel mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren
verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet
und den Vorwegvollzug eines Drittels der Freiheitsstrafe vor der
Maßregel angeordnet.
Nach den Feststellungen wollte sich der heroinabhängige,
aktuell unter Entzug leidende Angeklagte Heroin verschaffen. Da er
annahm, daß sein mit diesem Rauschmittel Handel treibender
Untermieter Vorräte hatte, entschloß er sich, ihn zu
berauben. Hierzu versetzte er dem gerade schlafenden Opfer einen
gezielten Messerstich, um es widerstandsunfähig zu machen und
dann das Rauschgift wegnehmen zu können. Nach dem
lebensgefährlichen Stich leistete dieses jedoch unerwarteten
Widerstand. Der Angeklagte erschrak angesichts der stark blutenden
Wunde, nahm - freiwillig - von der weiteren Tatausführung
Abstand und bemühte sich um die Rettung des Opfers, das
schließlich überlebte.
Die Strafkammer ist zum Ergebnis gekommen, daß der Angeklagte
zwar mit bedingtem Tötungsvorsatz zugestochen hat, dann aber
vom Versuch des Mordes und des Raubes freiwillig
zurückgetreten ist.
Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des
Strafausspruchs und des Vorwegvollzugs, im übrigen hat sie
keinen Erfolg.
I. Verfahrensrügen:
1. Die Besetzungsrüge entspricht nicht den Anforderungen des
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist deshalb bereits
unzulässig. Zum einen wird die Besetzung der 5. Strafkammer
nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts vom 11.
Dezember 2000 ohne den Zusatz für VRiOLG O. "1/10 (Verfahren 5
SG 30/96)" und damit unvollständig mitgeteilt, und zum anderen
legt die Revision nicht die näheren Umstände
für die Mitwirkung dieses Richters am Landgericht dar. Da dem
ersichtlich eine Abordnung vom Oberlandesgericht an das Landgericht
Oldenburg zugrunde lag, hätten die entsprechenden Tatsachen
vorgetragen werden müssen, um dem Revisionsgericht die
Nachprüfung zu ermöglichen, in welchem Umfang und
für welche Zeit dieser Richter der 5. Strafkammer des
Landgerichts angehörte. Dazu hätte um so mehr
Veranlassung bestanden, als der Revisionsführer die fehlende
Mitwirkung von VRiOLG O. an den kammerinternen
Geschäftsverteilungsbeschlüssen vom 2. Januar und vom
26. März 2001 beanstandete. Darüber hinaus hat der
Revisionsführer nicht alle erforderlichen Tatsachen
für den Ausschluß der
Rügepräklusion nach § 338 Nr. 1 c) i. V. m.
§ 222 a Abs. 2 StPO vorgetragen. Er hat lediglich mitgeteilt,
daß er einen vom Landgericht zurückgewiesenen Antrag
auf Unterbrechung der Hauptverhandlung gestellt hat, nicht jedoch,
daß dies entsprechend § 222 a Abs. 2 StPO vor Beginn
der Vernehmung des Angeklagten zur Sache erfolgt ist.
Im übrigen wäre die Rüge aus den vom
Generalbundesanwalt genannten Gründen auch
unbegründet; insbesondere ist das
pflichtgemäße Ermessen durch die Änderung
nicht verletzt (vgl. zum Ermessen BGHSt 22, 237, 239 f.; vgl. im
übrigen zur Zulässigkeit von
Änderungsbeschlüssen bei Verhinderungen, die zwei
Monate übersteigen, Kissel, GVG 3. Aufl. § 21 e Rdn.
112, 114; ab drei Monaten: Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht 2.
Aufl. GVG § 21 e Rdn. 9).
2. Die Rüge, bei der Bescheinigung des medizinischen Dienstes
der Polizei Oldenburg über die Haftfähigkeit des
festgenommenen Angeklagten handle es sich nicht um ein
Behördenzeugnis nach § 256 Abs. 1 StPO, ist abwegig.
II. Sachrüge:
1. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch hat keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Soweit die Revision
die Annahme beanstandet, der Angeklagte habe mit
Körperverletzungsvorsatz gehandelt, als er dem schlafenden
Opfer einen wuchtigen Messerstich versetzte, um es
widerstandsunfähig zu machen und berauben zu können,
ist dies nicht nachvollziehbar. Wie der Generalbundesanwalt in seiner
Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, hat das Landgericht die
Voraussetzungen von Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB
rechtsfehlerfrei verneint.
2. Der Strafausspruch hält dagegen rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
Die Strafkammer hat ungeachtet der Annahme, daß der
Angeklagte vom Versuch der Tötung und des Raubes freiwillig
zurückgetreten ist, bei der Strafzumessung für den
verbleibenden Tatvorwurf der gefährlichen
Körperverletzung straferschwerend berücksichtigt,
daß "sich in dem Vorgehen des Angeklagten gegen sein Opfer
die Tatbestandsmerkmale der Heimtücke sowie der
Ermöglichung einer anderen Straftat im Sinne von §
211 Abs. 2 StGB widerspiegeln" (UA S. 18). Daß der Angeklagte
sein ursprüngliches Ziel, seinen Untermieter zu berauben,
freiwillig aufgegeben hat, hat sie in diesem Zusammenhang
unerörtert gelassen.
Diese Erwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, als mit dem
Begriff der Heimtücke darauf abgestellt worden ist,
daß der Angeklagte auf seinen schlafenden Untermieter
eingestochen hat. Dieser Tatumstand, der sich auf das Tatgeschehen
insgesamt bezieht und den Unrechts- und Schuldgehalt auch des
vollendeten Körperverletzungsdelikts mitprägt, durfte
strafschärfend berücksichtigt werden (vgl. BGHSt 42,
43, 45 f.). Der dahinter stehende Grundgedanke des besonders
verwerflichen Vorgehens gegen ein arg- und wehrloses Opfer findet sich
in vergleichbarer Weise sowohl im Heimtückemerkmal nach
§ 211 Abs. 2 StGB als auch in dem des hinterlistigen
Überfalls nach § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB, auch wenn
beide Rechtsbegriffe nicht deckungsgleich sind.
Dagegen erweist sich die uneingeschränkte
Berücksichtigung des Motivs für das Zustechen,
nämlich einen Raub zu ermöglichen, als
rechtsfehlerhaft.
a) Mit dieser Erwägung wird der auf die Begehung des
versuchten Delikts des Raubs gerichtete Vorsatz erfaßt.
Dieser darf jedoch nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes zum sog. qualifizierten Versuch nach einem
strafbefreienden Rücktritt nicht mehr für die
Strafzumessung des verbleibenden, bereits vollendeten Delikts
herangezogen werden (vgl. BGHSt 42, 43, 45 m. w. N.). Dies soll selbst
dann gelten, wenn der Vorsatz für die weitergehende versuchte
Tat mit dem Motiv für das vollendete Delikt
übereinstimmt (so BGH bei Holtz MDR 1980, 813; BGH MDR 1966,
726 m. abl. Anm. Dallinger; BGH MDR 1965, 839 m. abl. Anm. Dreher unter
Zitierung einer entgegenstehenden Entscheidung des gleichen Senats vom
17. Mai 1955 - 1 StR 154/55). Dieser Auffassung hat sich das Schrifttum
überwiegend angeschlossen (Rudolphi in SK-StGB, 20. Lfg.
§ 24 Rdn. 43; Vogler in LK, 10. Aufl. § 24 Rdn. 203;
Zaczyk in Nomos Komm. zum StGB, 11. Lfg. § 24 Rdn. 131; Eser
in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 24
Rdn. 114; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 24 Rdn.
45; a.A. Dallinger aaO; Dreher aaO; vgl. auch Schäfer, Praxis
der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 334).
b) Der Senat hat Bedenken, ob dem auch in den Fällen
zugestimmt werden kann, in denen sich der auf das weitergehende
(versuchte) Delikt gerichtete Vorsatz mit dem Motiv für die
verbleibende, vollendete Tat überschneidet. Gegen die damit
verbundene Beschränkung der Strafzumessung spricht,
daß durch die Ausblendung des Tatmotivs eine zutreffende und
vollständige Bewertung der abzuurteilenden Tat und damit eine
sachgerechte Strafzumessung nicht möglich ist (Dallinger aaO;
Dreher aaO). Der hier zu beurteilende Messerstich des Angeklagten gegen
seinen schlafenden Untermieter würde dann eine
"gewissermaßen motivlose, im luftleeren Raum schwebende
Straftat" (so Dallinger aaO) darstellen, deren Unrechts- und
Schuldgehalt offen bleiben müßte.
aa) Dabei ist davon auszugehen, daß § 24 StGB nach
seinem Wortlaut lediglich die Bestrafung wegen des Versuchs, von dem
der Täter strafbefreiend zurückgetreten ist,
untersagt. Dagegen zwingt diese Vorschrift nicht dazu, eine strafbare
Tat, die der Täter bereits vollendet hat, nicht oder nur zum
Teil zu ahnden.
bb) Auch der aus dem Rücktrittsprivileg folgende Rechtsgedanke
erfordert die Ausblendung des Motivs bei der verbleibenden vollendeten
Tat nicht. Der Rechtsprechung, nach der der weitergehende Vorsatz nicht
bei der verbleibenden Tat strafschärfend
berücksichtigt werden darf, liegt die Befürchtung
zugrunde, daß die Privilegierung des strafbefreienden
Rücktritts unterlaufen werden könnte, wenn das in dem
Versuch liegende Unrecht auf dem Umweg der Erhöhung der Strafe
für das vollendete Delikt, sozusagen durch die
"Hintertür", dem Täter angelastet werden
würde (Dallinger aaO). Dieses Anliegen teilt der Senat. Es
darf jedoch nicht dazu führen, daß das Motiv der
vollendeten Tat unberücksichtigt bleiben
müßte. Dreher hat insoweit zu Recht darauf
hingewiesen, daß es auch sonst Fälle gibt, in denen
der Strafverfolgung bei einem Teil des strafbaren Handelns
Strafaufhebungsgründe oder fehlende
Prozeßvoraussetzungen entgegenstehen, ohne daß die
Legitimität der Ahndung des verbleibenden Teils
berührt würde (aaO).
cc) Darüber hinaus bedeutet die Unzulässigkeit der
Berücksichtigung des Tatmotivs einen Wertungswiderspruch zur
entsprechend gelagerten Behandlung von äußeren
Tatumständen, die sich sowohl auf das versuchte, als auf das
vollendete Delikt beziehen. Denn diese dürfen, wenn sie - auch
- die verbleibende Tat charakterisieren, dort strafschärfend
berücksichtigt werden (BGHSt 42, 43 ff. zum
planmäßigen Vorgehen des Täters; gleiches
gilt, wie oben ausgeführt, hier auch für den Angriff
auf ein schlafendes Opfer).
dd) Ein Wertungswiderspruch ist auch mit Blick auf die Ahndung von
Straftaten im Vorbereitungsstadium festzustellen, bei denen es aus
irgendwelchen Gründen nicht einmal zum Versuch der
ursprünglich geplanten weiteren Straftat gekommen ist und
somit auch ein Rücktritt nicht in Betracht kommt (z.B. der
Diebstahl eines Fluchtfahrzeugs für einen geplanten Raub). In
solchen Fällen gibt es keinen rechtlichen Grund, die
Bestrafung der vorbereitenden Tat einzuschränken und
insbesondere den in Aussicht genommenen verwerflichen Zweck
außer Betracht zu lassen. Es wäre wenig einsichtig,
den Täter eines solchen Delikts dann besser zu stellen, wenn
er in seinem strafbaren Tun weitergeht, und die Tat immerhin zum
Versuch gelangen läßt, von dem er allerdings
strafbefreiend zurücktritt.
ee) Der Senat hält es daher für sachgerecht,
daß das die vollendete Tat prägende Motiv auch dann
bei der Strafzumessung für diese berücksichtigt
werden darf, wenn es sich mit dem vom strafbefreienden
Rücktritt erfaßten Vorsatz für ein
weitergehendes Delikt überschneidet. Das muß sich
letztlich nicht strafschärfend auswirken, weil der Tatrichter
in einem solchen Fall umgekehrt auch in den Blick zu nehmen haben wird,
daß der Täter diesen ursprünglich
gefaßten Vorsatz freiwillig wieder aufgegeben oder die
Vollendung der Tat verhindert hat. Für diese Lösung
spricht, daß der Tatrichter damit nicht einen
künstlich reduzierten Sachverhalt, sondern das gesamte
Tatgeschehen, wie es sich tatsächlich ereignet hat, zu
beurteilen hat. Dabei kann er zudem den im Einzelfall unterschiedlich
gewichtigen inneren Umständen, nämlich dem mehr oder
weniger verwerflichen Tatmotiv einerseits und den Beweggründen
für den Rücktritt andererseits, die durchaus sehr
verschieden beschaffen sein können, Rechnung tragen. Dabei
können sich die gegenläufigen Aspekte bei der
Strafzumessung möglicherweise gegenseitig aufheben,
müssen dies aber nicht (Dreher aaO).
c) Ob an der bisherigen Rechtsprechung ungeachtet der dargelegten
Bedenken festgehalten werden kann, bedarf mit der Folge, daß
ein Anfrageverfahren nach § 132 GVG nicht in Betracht kommt,
hier nicht der Entscheidung. Auch bei Anwendung des aufgezeigten
geänderten Maßstabs muß der Strafausspruch
aufgehoben werden. Die Strafkammer hat nämlich bei der
Strafzumessung nur den ursprünglich gefaßten
Raubentschluß als Tatmotiv, nicht aber die spätere
freiwillige Aufgabe dieses Vorsatzes und die Bemühungen um die
Rettung des Opfers ausdrücklich erörtert. Es ist
vielmehr zu besorgen, daß sie diese für den
Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte tatsächlich
außer acht gelassen hat, zumal sie die Höhe der
verhängten Freiheitsstrafe von sechs Jahren im oberen Bereich
des nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten, bis zu
sieben Jahren und sechs Monaten reichenden Strafrahmens des §
224 Abs. 1 StGB angesiedelt hat.
Da die Höhe der Freiheitsstrafe Auswirkungen auf die Frage des
Vorwegvollzugs haben kann, war auch die darauf gerichtete Anordnung mit
aufzuheben. Dagegen weist die Anordnung der Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt keinen Rechtsfehler auf.
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