BGH,
Beschl. v. 26.5.2000 - 3 StR 162/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 162/00
vom
26. Mai 2000
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts, zu Ziff. 2.
auf dessen Antrag, am 26. Mai 2000 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Lüneburg vom 21. Dezember 1999
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte schuldig ist der unerlaubten
gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln
an Minderjährige in 21 Fällen und des unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 56 Fällen,
sowie
b) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den zur Tatzeit 32 Jahre alten Angeklagten wegen
gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in Tateinheit mit
gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von
Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahren an
fünf Personen unter 18 Jahren und unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafe aus dem
Strafbefehl des Amtsgerichts Lüneburg vom 16. April 1998 zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt
sowie ein Handy eingezogen und einen Betrag von 290 DM und eine
Videokamera für verfallen erklärt.
Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge
hin zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des
gesamten Strafausspruchs.
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat sich der u.a. wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorbestrafte
Angeklagte nach Entlassung aus der Strafhaft am 23. Mai 1997
entschlossen, weiterhin seinen Lebensunterhalt zumindest teilweise
durch Kleinverkäufe von Haschisch zu bestreiten. Hierzu legte
er einen "nie versiegenden" Vorrat an Haschisch an, den er jeweils
durch Erwerb neuer Ware auffüllte, bevor er erschöpft
war. Aus diesem Depot verkaufte er in der Zeit bis zu seiner erneuten
Verhaftung am 30. Mai 1998 an fünf Minderjährige in
21 Fällen und an vier erwachsene Abnehmer in 54
Fällen Haschisch in Mengen von jeweils ein bis fünf
Gramm. Nachdem er am 8. Juni 1998 wieder aus der Untersuchungshaft
entlassen worden war, setzte er seine Verkaufstätigkeit fort
und veräußerte an zwei Käufer in zwei
weiteren Fällen zwei bzw. fünf Gramm Haschisch. Am
16. April 1998 wurde er durch Strafbefehl des Amtsgerichts
Lüneburg wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 80
Tagessätzen zu je 10 DM verurteilt, weil er am 10. Oktober
1998 eine zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmte Menge von 23
Gramm Haschisch in Besitz und etwa zwei weitere Gramm kurz zuvor
verkauft hatte. Die Geldstrafe ist nur zum Teil bezahlt.
Die Strafkammer hat angenommen, daß die Verkäufe in
der Zeit von Sommer 1997 bis zur Verhaftung am 30. Mai 1998 eine
Bewertungseinheit und die beiden weiteren Verkäufe nach
Entlassung aus der Untersuchungshaft eine weitere Bewertungseinheit
darstellen, und hat für die erste "Tat" eine Einzelstrafe von
drei Jahren Freiheitsstrafe und für die zweite "Tat" eine
solche von sechs Monaten verhängt und hieraus eine
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten unter
Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 16. Mai 1998
gebildet.
2. Die Feststellungen zu den einzelnen Verkäufen und zur
Gewerbsmäßigkeit, auch hinsichtlich der Abgabe an
Minderjährige sind ohne Rechtsfehler getroffen. Der Senat
nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des
Generalbundesanwalts in seiner Stellungnahme vom 4. April 2000 Bezug.
Die auf § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge,
das Urteil beruhe nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung, weil
das Lichtbild des Angeklagten, das dem Zeugen S. bei seiner
polizeilichen Vernehmung vorgelegt worden war, nicht als Beweismittel
eingeführt worden sei, ist nicht begründet. Bei der
Beweiswürdigung hat die Strafkammer dem verlesenen
Vernehmungsprotokoll lediglich entnommen, daß der Zeuge den
Angeklagten auf dem ihm vorgelegten Lichtbild wiedererkannt habe. Damit
wurde nur die Aussage des Zeugen, den Angeklagten an Hand eines Fotos
identifiziert zu haben, verwertet, nicht aber das Foto selbst. Hierin
liegt auch kein sachlich-rechtlicher Mangel der
Beweiswürdigung, zumal sich aus dem mit der Revision
vorgetragenen Beweisantrag (Anlage 7) ergibt, daß auch die
Verteidigung davon ausgeht, das Lichtbild zeige den Angeklagten.
3. Die rechtliche Bewertung des festgestellten Sachverhalts
hält jedoch einer Nachprüfung nicht stand.
a) Die Annahme von lediglich zwei Taten und die Zusammenfassung der vor
und nach der Verhaftung vom 30. Mai 1998 liegenden
Einzelverkäufe zu jeweils einer Bewertungseinheit ist nach den
getroffenen Feststellungen nicht gerechtfertigt. Durch den Begriff der
Bewertungseinheit werden alle Betätigungen, die sich auf den
Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Menge an
Betäubungsmitteln richten, zu einer Tat des unerlaubten
Handeltreibens verbunden, weil der Erwerb und der Besitz von
Betäubungsmitteln, die zum Zwecke gewinnbringender
Weiterveräußerung bereitgehalten werden, bereits den
Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge
erfüllen. Zu dieser Tat gehören als
unselbständige Teilakte im Sinne einer Bewertungseinheit dann
aber auch alle späteren
Veräußerungsgeschäfte, soweit sie dasselbe
Rauschgift betreffen (st. Rspr., vgl. BGHSt 30, 28, 31; 31, 163, 165).
Daß die von dem Angeklagten verkauften Kleinmengen
sämtlich oder auch nur mehrere von ihnen aus einer einheitlich
erworbenen Vorratsmenge stammen, hat die Strafkammer aber nicht
festgestellt. Dabei ist davon auszugehen, daß bereits die
Erwerbsvorgänge nicht festgestellt werden konnten. Hierzu wird
lediglich die Einlassung des Angeklagten wiedergegeben, er habe "in
dieser Zeit fünfmal 15 bis 30 Gramm Haschisch von einem
Schwarzafrikaner" erworben (UA S. 12), jedoch nicht
ausgeführt, ob diese - ohnehin unpräzise und zeitlich
nicht konkretisierte - Einlassung als Feststellung gewertet wird. Sie
läßt eine genaue Zuordnung zu den zeitlich ebenfalls
nicht näher festgelegten Einzelverkäufen (z.B.
"Herbst 97", "Sommerferien 1997" u.ä.) nicht zu. Ferner ist zu
berücksichtigen, daß die der Verurteilung zugrunde
gelegten 77 Einzelverkäufe mit einer Gesamtmenge von 149 Gramm
Haschisch ersichtlich nur einen kleinen Bruchteil der gesamten
Handelstätigkeit des Angeklagten ausmachen. Da er in dem von
dem Urteil erfaßten Zeitraum von Mai 1997 bis Mai 1998 nach
den Feststellungen der Strafkammer einen Gewinn aus dem Handeltreiben
mit Betäubungsmitteln von 52.000 DM erzielt hat,
müßte er bei einer angenommenen Gewinnspanne von
einem Drittel einen Umsatz von über 150.000 DM
getätigt haben, was bei dem vom Angeklagten verlangten Preis
von 10 DM je Gramm einer Gesamthandelsmenge von über 15 kg und
damit dem 100-fachen der Urteilsmenge entsprechen würde.
Die Annahme einer Bewertungseinheit setzt jedoch konkrete Anhaltspunkte
dafür voraus, daß bestimmte Einzelverkäufe
aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge herrühren (st.
Rspr., vgl. BGH NStZ 1997, 137; NStZ-RR 1997, 344; BGHR BtMG §
29 Bewertungseinheit 14). Die bloße Möglichkeit,
daß Einzelmengen einer Gesamtmenge entnommen sein
können, genügt dabei nicht, wenn
tatsächliche Anhaltspunkte für eine konkrete
Zuordnung bestimmter Einzelverkäufe zu einer bestimmten
erworbenen Gesamtmenge fehlen (BGHR aaO, Bewertungseinheit 5). Eine
lediglich willkürliche Zusammenfassung ohne ausreichende
Tatsachengrundlage kommt dabei nicht in Betracht, auch der Zweifelssatz
gebietet in solchen Fällen nicht die Annahme einer
einheitlichen Tat (BGH NJW 1995, 2300; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl.
vor § 52 ff. Rdn. 29 Fn. 101 m.w.Nachw.).
Daß der Angeklagte die jeweiligen Kleinverkaufsmengen einem
"nie versiegenden", immer wieder aufgefüllten Vorrat entnommen
hat, vermag die Annahme einer Bewertungseinheit unter den hier
gegebenen Umständen ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Wird
eine zum Verkauf bereitgehaltene Rauschgiftmenge vor der
vollständigen Entleerung des Depots durch eine neue Lieferung
wieder aufgefüllt, so reicht das nicht aus, die
Veräußerungen aus der ursprünglich
besessenen Menge mit den Verkäufen aus dem
wiederaufgefüllten Bestand zu einem einheitlichen
Handeltreiben mit derselben Rauschgiftmenge zu verbinden (vgl.
Rissing-van Saan, aaO m.w.Nachw. zu der insoweit nicht ganz
einheitlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Jedenfalls in
einem Fall wie hier, in dem über Zeitpunkt und Umfang der
Auffüllung nichts Konkretes festgestellt werden kann und in
dem durch zahlreiche Kleinmengen der Vorrat fortlaufenden, nicht mehr
nachverfolgbaren Veränderungen über einen sehr langen
Zeitraum unterworfen ist, kommt die Annahme einer Bewertungseinheit,
die unter solchen Umständen bei einem nicht aufgedeckten
Kleindealer sich über mehrere Jahre und Tausende von
Einzelfällen erstrecken könnte, nicht in Betracht.
Durch die nicht gerechtfertigte Annahme einer Bewertungseinheit ist der
Angeklagte auch beschwert. Denn hierdurch wurde der Schuldumfang des
Verbrechens nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 i.V. mit § 29 a
Abs. 1 Nr. 1 BtMG durch die Verkäufe an die erwachsenen
Abnehmer, die bei der erforderlichen getrennten Betrachtung als
Vergehen nach § 29 Abs. 1 und 3 BtMG zu ahnden gewesen
wären, in unzulässiger Weise erweitert.
b) Der Senat schließt aus, daß bei dieser Sachlage
der neue Tatrichter ausreichende konkrete Anhaltspunkte für
die Zusammenfassung mehrerer Einzelverkäufe zu jeweils einer
Tat feststellen könnte, und hat daher den Schuldspruch nach
§ 354 Abs. 1 StPO abgeändert. Dabei hat er bei den
Verkäufen an erwachsene Abnehmer den Umstand der
gewerbsmäßigen Begehung nach § 29 Abs. 3
Nr. 1 BtMG nicht in die Urteilsformel aufgenommen, da es sich hierbei -
anders als bei der Qualifikationsnorm der
gewerbsmäßigen Abgabe an Minderjährige nach
§ 30 Abs. 1 Nr. 2 i.V. mit § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG -
nur um eine Strafzumessungsvorschrift in der Form eines Regelbeispiels
für einen besonders schweren Fall handelt.
Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß die
Strafkammer auf der Grundlage der Annahme von Bewertungseinheiten
hätte prüfen müssen, ob nicht die dem
Strafbefehl vom 16. April 1998 zugrundeliegenden Taten vom Oktober
1998, die ebenfalls den unerlaubten Handel mit Haschisch betrafen, der
gleichen hier als Tat 1 abgeurteilten Bewertungseinheit zuzurechnen
gewesen wären. Dann wäre aber der Verbrauch der
Strafklage hinsichtlich der vorher begangenen und hier abgeurteilten
Teilakte in Betracht gekommen.
c) Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung des
gesamten Strafausspruches. Dagegen kann die Anordnung des Verfalls und
der Einziehung aufrechterhalten werden. Daß ohne erkennbare
Begründung von der Anordnung des erweiterten Verfalls
hinsichtlich des - zur Überzeugung der Strafkammer - aus
Rauschgiftgeschäften erzielten Gewinnes von 52.000 DM und der
aus dem Erlös erworbenen Lederjacke entgegen der
obligatorischen Vorschrift des § 73 d StGB abgesehen worden
ist, beschwert den Angeklagten nicht. Der neue Tatrichter ist durch das
Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 StPO an einer
Nachholung gehindert.
4. Für die neue Hauptverhandlung gibt der Senat folgenden
Hinweis:
Der Strafbefehl des Amtsgerichts Lüneburg vom 16. April 1998
entfaltet
für die Bildung einer Gesamtstrafe Zäsurwirkung nach
§ 55 StGB mit der Folge, daß aus ihm und den vor
seinem Erlaß begangenen Straftaten eine Gesamtstrafe und aus
den später begangenen Taten eine weitere Gesamtstrafe gebildet
werden muß, wobei § 53 Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB zu
beachten ist. Dazu wird der neue Tatrichter sich in den Fällen
der Käufer Sch. und
S um eine nähere zeitliche Einordnung der
Einzelverkäufe bemühen müssen. Bleibt
fraglich, ob eine Tat vor oder nach der Zäsur begangen worden
ist, kommt eine Einbeziehung in die erste Gesamtstrafe in Betracht, da
auch insoweit der Zweifelssatz anwendbar ist (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 261 Rdn.
30).
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