BGH,
Beschl. v. 27.2.2007 - 4 StR 581/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 581/06
vom
27.2.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 27.02.2007 gemäß
§§ 44 ff., 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur
Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts
Arnsberg vom 31. Juli 2006 auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gewährt.
Damit ist der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 27. Oktober
2006 gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im
Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere - als Schwurgericht zuständige - Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
- 3 -
Gründe:
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der
Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten
Revision.
1
2. Dem Angeklagten ist nach Versäumung der Frist zur
Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
zu gewähren, da ihn - wie sein Verteidiger vorgetragen und
glaubhaft gemacht hat - an der Fristversäumung kein (Mit-)
Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO).
2
3. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen den
Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Der Strafausspruch hat
jedoch keinen Bestand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner
Antragsschrift ausgeführt:
3
"Indes hält die Ablehnung eines sonst minder schweren Falles
des Totschlags gemäß § 213, 2. Alt. StGB
revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Im Rahmen der bei der Prüfung eines minder schweren Falles
erforderlichen Gesamtbetrachtung sind alle Umstände
heranzuziehen und zu würdigen, die für die Wertung
der Tat und des Täters in Betracht kommen,
gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten,
ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGHSt 26, 97, 98 f.).
Die vom Schwurgericht vorgenommene Abwägung schuldmildernder
und schulderhöhender Faktoren begegnet durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Das Schwurgericht hat einzelnen
Umständen einen schulderhöhenden Charakter
zugewiesen, obwohl dies vorliegend rechtlich anerkannten
Strafzumessungsgrundsätzen zuwiderläuft:
- 4 -
Die Abwägung des Schwurgerichts (UA S. 42) erschöpft
sich, soweit sie zu Lasten des Angeklagten geht, im Wesentlichen in
einer bloßen Wiedergabe des Tathergangs. Dabei
verstößt die Hervorhebung des Umstands, dass sich
der Angeklagte trotz Rückzugsmöglichkeit
überhaupt auf eine Konfrontation mit dem Geschädigten
eingelassen hat, gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46
Abs. 3 StGB, denn diese "Konfrontation" ist ja gerade Grund und
Gegenstand der Aburteilung. Soweit das Schwurgericht es für
beachtlich hält, dass der Angeklagte dem Geschädigten
in dem Bewusstsein entgegen gegangen ist, in der rechten Hand ein
Messer zu halten, erschöpft sich dieser Umstand ebenfalls in
einer nochmaligen Verwertung des tatbestandlichen Unrechts (vgl.
Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 46 Rdn. 77). Im
Übrigen wertet das Schwurgericht unzulässigerweise
das Ausbleiben von Rücktrittsbemühungen zu Lasten des
Angeklagten, indem es hervorhebt, der Angeklagte habe sich nicht weiter
um den schwer verletzten Geschädigten gekümmert (BGH,
Beschl. v. 25. September 2002 - 1 StR 347/02). Zudem hat das
Schwurgericht zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt,
dass er sich selbst in einen alkoholisierten Zustand versetzt hat.
Abgesehen davon, dass eine nicht eigenverantwortliche Berauschung des
Angeklagten ein strafmildernder Gesichtspunkt gewesen wäre
oder unter bestimmten Voraussetzungen zur Einordnung des Angeklagten
als strafloses Werkzeug geführt hätte, stellt eine
Alkoholisierung für sich genommen jedenfalls keinen
schulderhöhenden Umstand dar, zumal der Angeklagte nicht etwa
im Hinblick auf die spätere Tatbegehung Alkohol zu sich
genommen hat.
Das Schwurgericht stellt ferner wesentlich zu Lasten des Angeklagten
darauf ab, der Angeklagte habe die Tat aus nichtigem Anlass begangen.
Dies rechtfertigt die Besorgnis, das Schwurgericht habe die
strafzumessungsrechtliche Bedeutung der zur Tatzeit zugunsten des
Angeklagten objektiv gegebenen Notwehrlage verkannt. Insofern
wäre vom Schwurgericht vielmehr zu berücksichtigen
gewesen, dass bei einer Tötung im Grenzbereich der Notwehr
(Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 213 Rdn. 13),
insbesondere bei Überschreitung der Grenzen der Notwehr ohne
Erreichen der Voraussetzungen des § 33 StGB (BGH, Beschl. v.
29. März 2000 - 2 StR 71/00), bereits allein aus diesem Grunde
die Annahme eines minder
- 5 -
schweren Falles im Sinne des § 213, 2. Alt. StGB in Betracht
kommen kann und dieser Umstand gerade nicht ohne weiteres einen zu
Lasten des Angeklagten wirkenden "nichtigen Tatanlass" darstellt".
Dem kann sich der Senat nicht verschließen.
4
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann |