BGH,
Beschl. v. 27.6.2007 - 2 StR 135/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 135/07
vom
27.6.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 27.06.2007 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kassel vom 4. Dezember 2006 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und versuchter
Vergewaltigung zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren
verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt
wurde. Seine auf Verfahrensrügen und die Sachrüge
gestützte Revision führt mit der Sachrüge
zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im Übrigen ist sie
unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Der Schuldspruch begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden
Bedenken. Die Verfahrensrügen sind, soweit sie
zulässig erhoben sind, unbegründet. Die Revision
wendet sich mit ihnen, ebenso wie mit der Sachrüge, letztlich
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gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts. Diese
lässt einen durchgreifenden Rechtsfehler aber nicht erkennen.
Die Jugendkammer hat die Besonderheiten des Falles gesehen und
ausführlich in den Urteilsgründen erörtert.
Die für den Angeklagten sprechenden Indizien hat sie gesehen,
jedoch die belastende Aussage der Nebenklägerin auf der
Grundlage einer umfassenden Würdigung, die Rechtsfehler nicht
erkennen lässt, als glaubhaft angesehen. Diese
Würdigung ist vom Revisionsgericht hinzunehmen; dass auch
andere Schlüsse möglich gewesen wären, steht
dem nicht entgegen.
2. Auch die Zumessung der Jugendstrafe weist für sich allein
keinen Rechtsfehler auf. Jedoch war, entsprechend dem Antrag des
Generalbundesanwalts, der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben,
weil das Landgericht mit nicht tragfähiger Begründung
von der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB
abgesehen hat. Die Nichtanordnung ist, auch nach Zustellung des Antrags
der Bundesanwaltschaft, vom Revisionsangriff nicht ausgenommen worden.
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a) Nach den Feststellungen der Jugendkammer leidet der inzwischen
21-jährige Angeklagte aufgrund einer perinatalen
Hirnschädigung (UA S. 24) an einem hirnorganischen
Psychosyndrom, das als krankhafte seelische Störung im Sinne
von § 20 StGB einzuordnen ist und zur erheblichen Verminderung
der Steuerungsfähigkeit bei den gegen die
Lebensgefährtin des Vaters des Angeklagten gerichteten Taten
geführt hat. Er zeigt ausgeprägte Symptome des sog.
Asperger-Syndroms, einer Form des Autismus, sowie des sog.
Tourette-Syndroms (UA S. 4, 24). Seit früher Kindheit zeigte
er erhebliche Verhaltensauffälligkeiten, namentlich
unkontrolliert aggressives Verhalten; er war vielfach zur
stationären Behandlung in Heimen, Krankenhäusern und
Jugendhilfe-Einrichtungen untergebracht. Zum Zeitpunkt des Urteils war
keine therapeuti-
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sche Einrichtung ersichtlich, die zur Aufnahme des Angeklagten bereit
wäre (UA S. 6).
b) Zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das
Landgericht nach Vernehmung einer Sachverständigen
ausgeführt, bei psychologischen Testverfahren ("kriminelle
Persönlichkeit" und Neigung zu Gewalttaten) habe der
Angeklagte mittlere Punktwerte erreicht, beim Test "Vorhersage
sexueller Gewalttaten" nur einen geringen Punktwert. Die
Sachverständige habe die Gefahr weiterer Gewalttaten als
"mittelgradig bis hoch" eingeschätzt. Dies erfülle
die Voraussetzungen des § 63 StGB nicht; denn hiernach sei
eine "hochgradige Wahrscheinlichkeit weiterer Sexualstaftaten"
Voraussetzung für die Maßregelanordnung (UA S. 30
f.).
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Diese Ausführungen rechtfertigen die Ablehnung einer Anordnung
nach § 63 StGB nicht. Soweit sich das Landgericht auf die
Ergebnisse von Testverfahren stützt, fehlen schon Darlegungen
zur Bewertung der angewandten Verfahren und zum Beweiswert der
Ergebnisse. Soweit - was aus den Urteilsgründen nicht klar
wird - der Tatrichter von der Beurteilung der Sachverständigen
abgewichen ist, fehlen Hinweise darauf, aus welchen Gründen
und aufgrund welcher eigenen Sachkunde dies geschehen ist.
Schließlich legen die Ausführungen des Urteils die
Annahme nahe, das Landgericht sei von einem unzutreffenden
Maßstab ausgegangen und habe der Entscheidung
überspannte Anforderungen zugrunde gelegt. § 63 StGB
setzt weder die Gefahr weiterer gleichartiger Taten noch eine vom
Landgericht für erforderlich gehaltene hochgradige
Wahrscheinlichkeit voraus (vgl. Tröndle/Fischer StGB
§ 63 Rdn. 15 ff. mit Nachw. zur Rspr.).
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c) Aus § 5 Abs. 3 JGG folgt, dass über die
Verhängung von Jugendstrafe und die Anordnung der
freiheitsentziehenden Maßregel nur aufgrund einheitli-
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cher Betrachtung entschieden werden kann. Der Rechtsfolgenausspruch war
daher insgesamt aufzuheben.
Bode Otten Ernemann
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durch Urlaub an der Unter-
schrift gehindert.
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