BGH,
Beschl. v. 29.1.2003 - 1 StR 500/02
1 StR 500/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
29. Januar 2003
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 29. Januar 2003
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Coburg vom 12. Juli 2002 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit eine
Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen mehrerer
Betäubungsmittelstraftaten sowie wegen räuberischer
Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt,
ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für deren
Neuerteilung festgesetzt. Die Revision des Angeklagten macht ein
Verfahrenshindernis geltend, rügt die Verletzung von
Verfahrensrecht und erhebt allgemein die Sachbeschwerde.
Das Rechtsmittel bleibt überwiegend erfolglos (§ 349
Abs. 2 StPO). Weder liegt ein Verfahrenshindernis vor noch deckt die
Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung
zum Schuld- und Strafausspruch einen den Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler auf.
Die Strafkammer hat indessen nicht ausdrücklich
geprüft, ob eine Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt in Betracht kommt (§ 64 StGB). Dies wird
der neue Tatrichter nachzuholen haben (§ 349 Abs. 4 StPO).
Der Generalbundesanwalt hat insoweit unter anderem ausgeführt:
"Die Strafkammer hat nicht die Frage einer Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erörtert. Hat ein
Täter den Hang, berauschende Mittel im
Übermaß zu sich zu nehmen und wird er wegen einer
auf den Hang zurückzuführenden rechtswidrigen Tat
verurteilt, so muss nach § 64 Abs. 1 StGB das Gericht die
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr
besteht, dass er auch in Zukunft in Folge seines Hanges erhebliche
rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung darf nur unterbleiben,
wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint
(§ 64 Abs. 2 StGB). Ob von der Anordnung der Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt zu Recht abgesehen worden ist, kann vom
Revisionsgericht auf die Sachrüge hin
überprüft werden, auch wenn nur der Angeklagte
Revision eingelegt hat (BGHSt 37, 5; BGHR StGB § 64 Ablehnung
5). Anlass hierfür besteht dann, wenn es nach den
Urteilsfeststellungen nahe liegt, dass die
Voraussetzungen für eine Unterbringungsanordnung gegeben sind,
eine Prüfung sich insoweit" (also) "für den
Tatrichter aufgedrängt hat (BGHSt 37, 5, 9; BGHR StGB
§ 64 Ablehnung 5). So lag es hier. Der Angeklagte konsumierte
seit 1997 nahezu täglich Cannabisprodukte und Amphetamin (UA
S. 4), seit spätestens 1998 ist er davon abhängig (UA
S. 5). Seit dem Jahreswechsel 2000/2001 konsumierte er auch kleinere
Mengen Chrystal-Speed (UA S. 4). Die hier abgeurteilten Taten gehen auf
die Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten
zurück. Gegenstand des Urteils sind im wesentlichen
Erwerbstaten, mit denen er sich das selbst konsumierte Rauschgift
verschaffte (UA S. 9), und solche Taten, mit denen er seinen auch auf
Grund der Abhängigkeit aufwändigen Lebensstil
finanzierte (UA S. 9 und S. 38). Die Strafkammer hat ferner
festgestellt, dass die Taten," derentwegen "der Angeklagte verurteilt
wurde,
´in unmittelbarem Zusammenhang mit der bereits ...
beschriebenen Abhängigkeit des Angeklagten von
Cannabisprodukten und Amphetaminen (stehen). Sie sind daher aus der
Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten
erwachsen´ (UA S. 15).
Die Anordnung der Unterbringung scheidet ... nicht deshalb aus, weil
die Strafkammer - sachverständig beraten - keine" (erhebliche)
"Verminderung der Schuldfähigkeit bei der Begehung der Taten
feststellen konnte". Eine suchtbedingte Abhängigkeit kann auch
dann die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB
begründen, wenn sie nicht den Schweregrad einer seelischen
Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB erreicht
(Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 64 Rdnr. 3
m.w.N.). "Der aufgezeigte Rechtsfehler führt jedoch nur dazu,
dass über die Notwendigkeit einer Unterbringung neu verhandelt
werden muss, im Übrigen kann der Rechtsfolgenausspruch
bestehen bleiben. Es kann ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer,
die die Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten
strafmildernd berücksichtigt hat, bei der Anordnung der
Unterbringung geringere Einzelstrafen oder eine niedrigere Gesamtstrafe
verhängt hätte."
Dem vermag sich der Senat nicht zu verschließen, obgleich
für die Strafkammer keine verfahrensrechtliche Pflicht zur
Erörterung einer Maßregel nach § 64 StGB
bestand (vgl. § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO).
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