BGH,
Beschl. v. 30.1.2003 - 3 StR 437/02
3 StR 437/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
30. Januar 2003
in der Strafsache gegen
wegen Betruges u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 30. Januar 2003 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kleve vom 3. Juli 2002 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1. bis II. 6. sowie
II. 10. der Urteilsgründe verurteilt und in den
Fällen V. 2. bis V. 4. freigesprochen worden ist,
b) im gesamten Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Duisburg
zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im
übrigen wegen Bankrotts in sieben Fällen,
Konkursverschleppung in zwei Fällen und Betruges in vierzehn
Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit
Urkundenfälschung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei
Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge
gestützte Revision des Angeklagten hat weitgehend Erfolg.
1. Die Schuldsprüche wegen vorsätzlicher Unterlassung
der Konkursantragstellung (§§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64
Abs. 1 Satz 1 und 2 GmbHG aF) in den Fällen II. 1. und II. 2.
der Urteilsgründe halten rechtlicher
Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat weder
die Überschuldung noch die Zahlungsunfähigkeit der
beiden vom Angeklagten geführten Gesellschaften (G GmbH und E.
GmbH) rechtsfehlerfrei festgestellt.
Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die
Schulden nicht mehr deckt. Um sie zu ermitteln, bedarf es eines
Überschuldungsstatus in Form einer Vermögensbilanz,
die über die tatsächlichen Werte des
Gesellschaftsvermögens Auskunft gibt (vgl. BGHR StGB
§ 283 Abs. 1 Überschuldung 1 und 2;
Tiedemann in LK 11. Aufl. vor § 283 Rdn. 147 ff.). Ohne
Bedeutung sind hingegen beispielsweise die steuerrechtlichen
Abschreibungswerte (vgl. § 254 HGB). Die vom Landgericht zum
Nachweis der Überschuldung der beiden Gesellschaften
herangezogenen und in das Urteil eingestellten Jahresbilanzen, die der
Sachverständige H. nachträglich erstellt hat, lassen
nicht erkennen, nach welchen Maßstäben die dort
aufgeführten Wirtschaftsgüter bewertet worden sind.
Auch die sonstigen Urteilsgründe enthalten hierzu keine
Erläuterung. Die Überschuldung ist daher nicht
hinreichend belegt.
Die Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel durch eine
stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen und
eingeforderten Verbindlichkeiten sowie der zu ihrer Tilgung vorhandenen
oder herbeizuschaffenden Mittel festzustellen (BGHR GmbHG § 64
Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 1). Eine derartige
Gegenüberstellung enthält das Urteil nicht.
Allerdings können auch wirtschaftskriminalistische
Beweisanzeichen wie Häufigkeit der Wechsel- und Scheckproteste
oder fruchtlose Pfändungen den sicheren Schluß auf
den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erlauben (BGHR aaO).
Derartige Beweisanzeichen teilt das Urteil zwar pauschal mit. Die
hierzu getroffenen Feststellungen sind jedoch so allgemein gehalten,
daß die Zeitpunkte, zu denen die beiden Gesellschaften
tatsächlich zahlungsunfähig wurden und die Frist nach
§ 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG aF jeweils zu laufen begann, nicht
erkennbar werden. Bei der E GmbH, für die das Landgericht
Zahlungsunfähigkeit ab dem 31. Dezember 1995 annimmt, kommt
hinzu, daß die vom Sachverständigen H. erstellten
Bilanzen für das Geschäftsjahr 1995 einen
Jahresüberschuß von 11.510,18 DM und für
das Jahr 1996 von 55.566,22 DM ausweisen (§ 266 Abs. 3 A. V.
HGB). Hat danach aber in beiden Jahren die Summe der Erträge
die Summe der Aufwendungen überstiegen (vgl. Beater in
MünchKomm-HGB § 266 Rdn. 67), bedarf der Nachweis von
Zahlungsunfähigkeit durch wirtschaftskriminalistische
Beweisanzeichen besonders eingehender Darlegung.
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Bankrotts in sieben
Fällen im Fall II. 3. der Urteilsgründe kann
ebenfalls keinen Bestand haben.
a) Die beiden Schuldsprüche wegen unterlassener bzw.
"unterbliebener" Führung der Handelsbücher
(§ 283 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB)
werden von den hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen
nicht getragen.
Hinsichtlich der G GmbH teilt das Landgericht lediglich mit,
daß in den Geschäftsjahren 1995, 1996 und 1997 nur
noch eine "unvollständige Rechnungslegung" erfolgte (UA S.
10). Bei der E GmbH beschränkt es sich auf die Feststellung,
daß Sach- und Personalkonten nur von September 1995 bis Juli
1996 geführt worden sind und Buchhaltungsbelege lediglich
für den Zeitraum von Januar bis Juni 1996 vorliegen. Damit
fehlen hinreichende tatsächliche Angaben zu den
Mängeln der Buchführung, so daß nicht
prüfbar ist, ob die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen
erfüllt sind. Insbesondere ist die Wertung des Landgerichts
nicht nachvollziehbar, die unvollständige bzw. "unterbliebene"
Buchführung habe die Übersicht über den
Vermögensstand der beiden Gesellschaften unmöglich
gemacht, zumal der Sachverständige H.
Jahresbilanzen der G GmbH für die Geschäftsjahre 1994
und 1995 sowie der E GmbH für die Geschäftsjahre 1995
und 1996 nachträglich erstellen konnte.
b) Soweit der Angeklagte es als Geschäftsführer der G
GmbH unterlassen hat, für die rechtzeitige Erstellung der
Jahresbilanz 1994 Sorge zu tragen, kommt eine Strafbarkeit nach
§ 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b StGB nach den getroffenen
Feststellungen nicht in Betracht.
Nach dieser Vorschrift ist die verspätete Bilanzierung nur
dann strafbar, wenn zu dem Zeitpunkt, in dem die Bilanz
spätestens zu erstellen war, Überschuldung oder
Zahlungsunfähigkeit oder zumindest drohende
Zahlungsunfähigkeit vorlag. Gemäß
§ 242, § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB, § 267 Abs. 1
HGB aF hätte die tatsächlich erst im Oktober 1996
erstellte Bilanz für das Geschäftsjahr 1994
spätestens zum 30. Juni 1995 vorliegen müssen. Zu
diesem Zeitpunkt befand sich die G GmbH aber nach den Feststellungen
des Landgerichts noch nicht in der Krise. Vielmehr drohte die
Zahlungsunfähigkeit erst "Anfang 1996" (UA S. 5). Der
Angeklagte kann sich danach bezüglich der Bilanz für
1994 allenfalls nach § 283 b Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b i. V. m.
§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben (vgl. BGH NStZ
1998, 192, 193). Eine entsprechende Abänderung des
Schuldspruchs kommt aber schon deswegen nicht in Betracht, weil der
erforderliche tatsächliche Zusammenhang zwischen der
verspäteten Bilanzerstellung und dem wirtschaftlichen
Zusammenbruch der Gesellschaft nicht festgestellt ist (vgl. BGHSt 28,
231, 233 f.; BGHR StGB § 283 b Krise 1).
c) Soweit das Landgericht den Angeklagten in vier weiteren
Fällen des Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst.
b i. V. m. § 14 StGB schuldig gesprochen hat, weil die von ihm
geführten Gesellschaften für die
Geschäftsjahre 1995 und 1996 keine Bilanz erstellt haben,
fehlt es an der Feststellung, daß den Gesellschaften die
Erfüllung ihrer Bilanzierungspflichten möglich
gewesen wäre.
§ 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b StGB ist ein echtes
Unterlassungsdelikt; eine Strafbarkeit entfällt daher, wenn
der Täter aus fachlichen oder finanziellen Gründen
zur Erstellung einer Bilanz nicht in der Lage war (vgl. BGHSt 28, 231,
233; BGH NStZ 1992, 182; 1998, 192, 193). Nach den Feststellungen war
die geplante Erledigung der Buchhaltungsaufgaben für beide
Gesellschaften "im eigenen Haus" nicht möglich (UA S. 10);
daß der Angeklagte selbst in der Lage gewesen wäre,
eine Bilanz aufzustellen, liegt im Hinblick auf seinen Werdegang fern.
Das Landgericht hätte daher im Hinblick auf die bei den
Konkursdelikten festgestellten Zahlungsschwierigkeiten prüfen
müssen, ob die beiden Gesellschaften im maßgeblichen
Zeitraum noch über die finanziellen Mittel verfügten,
einen Steuerberater mit der Erstellung der Bilanz zu beauftragen.
3. Im Fall II. 4. der Urteilsgründe tragen die Feststellungen
den Schuldspruch wegen vollendeten Betruges nicht.
Danach veranlaßte der Angeklagte den Zeugen Gr. durch die
wiederholte Zusicherung, der Zeuge werde sein Gehalt ausgezahlt
bekommen, weiter für die G GmbH bzw. die E GmbH als LKW-Fahrer
tätig zu sein,
obwohl er - der Angeklagte - wußte, daß die von ihm
geführten Gesellschaften die monatlichen Gehälter bei
Fälligwerden voraussichtlich nicht würden zahlen
können. Zwar waren bereits ab Mitte 1996 Gehaltsschecks zum
Teil nicht mehr eingelöst worden. Jedoch wurden bis
einschließlich Dezember 1996 die Gehaltsforderungen des
Zeugen letztlich in vollem Umfang beglichen; erst das Gehalt
für die Monate Januar bis März 1997 wurde nicht mehr
bezahlt.
Bei dieser Sachlage kommt eine Verurteilung wegen vollendeten Betruges
im Hinblick auf die vom Zeugen von Januar bis März 1997
erbrachte Arbeitsleistung (vgl. BGH NStZ 2001, 258) nur in Betracht,
wenn der Angeklagte diesem noch in zeitlicher Nähe zum
Jahreswechsel Zusicherungen gemacht hätte. Das hat das
Landgericht aber nicht festgestellt. In der bloßen
Weiterbeschäftigung des Zeugen in den Monaten Januar bis
März 1997 liegt noch kein Vorspiegeln der
Zahlungsfähigkeit durch schlüssiges Verhalten, zumal
der Zeuge über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der
Gesellschaften unterrichtet war.
4. Auch in den Fällen II. 5., II. 6. und II. 10. der
Urteilsgründe begegnet die Verurteilung des Angeklagten wegen
Betruges durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht wertet es als Betrug, daß der Angeklagte in
diesen Fällen durch die Vereinbarung von Ratenzahlung bzw.
durch die Annahme von Wechseln Gläubiger der von ihm
geführten Gesellschaften von weitergehenden
Maßnahmen zur Realisierung ihrer titulierten oder verbrieften
Forderungen abhielt, obwohl er wußte, daß die
Gesellschaften die vereinbarten Raten voraussichtlich nicht
würden zahlen bzw. die Wechselverbindlichkeiten zum
Fälligkeitstermin nicht würden einlösen
können. Den Vermögensschaden sieht die Kammer darin,
daß die Gläubiger anderenfalls
"möglicherweise" einen größeren Teil ihrer
Forderungen hätten realisieren können, weil die
Gesellschaften "aufgrund von Zahlungseingängen
vorübergehend noch über liquide Mittel"
verfügten (UA S. 14).
Dem kann nicht gefolgt werden. Die Stundung einer bestehenden Forderung
bzw. die Rücknahme eines Zwangsvollstreckungsantrags
begründet nur dann einen Vermögensschaden, wenn
dadurch eine Verschlechterung der konkret gegebenen
Vollstreckungsaussicht eintritt (RGSt 67, 200, 201 f.; OLG
Düsseldorf NJW 1994, 3366, 3367). Das ist nicht der Fall, wenn
der Schuldner schon im Zeitpunkt der Stundung kein pfändbares
Vermögen mehr hat (OLG Stuttgart NJW 1963, 825, 826). Das
Landgericht hätte deshalb für jeden Einzelfall
feststellen müssen, ob die jeweilige Gesellschaft bei
Abschluß der Ratenzahlungsvereinbarung bzw. der
Wechselannahme noch über pfändbare
Vermögenswerte verfügte. Allein die
Möglichkeit, daß die Gesellschaften in der Folge
(vorübergehend) wieder pfändbares Vermögen
erlangen könnten, begründet keinen durch die
Stundungen bewirkten Vermögensschaden, zumal
demgegenüber auch zu beachten ist, daß der
Angeklagte den anläßlich der Stundungen vereinbarten
Ratenzahlungen zumindest teilweise nachgekommen ist (im Fall II. 10.
immerhin in Höhe von 12.500 DM).
5. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand. Soweit das
Landgericht in den Fällen II. 7. und II. 9. der
Urteilsgründe Einzelstrafen von unter sechs Monaten
verhängt hat, können diese schon deswegen nicht
aufrechterhalten werden, weil die Voraussetzungen des § 47
Abs. 1 StGB nicht dargelegt sind. Eine Anwendung dieser Vorschrift lag
hier nicht derart fern, daß es ihrer Erörterung in
den Urteilsgründen nicht bedurft hätte. Der Senat
hebt auch die danach noch verbleibenden Einzelstrafen auf, um dem neuen
Tatrichter eine insgesamt in sich stimmige Strafzumessung zu
ermöglichen.
6. Die Freisprüche in den Fällen V. 2. bis V. 4. der
Urteilsgründe können nicht bestehen bleiben.
Auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung geht das Landgericht zwar
zutreffend davon aus, daß die laut Anklage tatmehrheitlich
begangenen weiteren Betrugstaten zum Nachteil des Zeugen Gr. bzw. der
Firma V. als mitbestrafte Nachtaten anzusehen wären und die
dem Angeklagten als selbständige Handlungen zur Last gelegten
weiteren Betrugstaten zum Nachteil der J. GmbH jeweils mit einer der
abgeurteilten Taten zum Nachteil dieses Unternehmens (Fälle
II. 5. a und b der Urteilsgründe) eine Tat im Sinne
natürlicher Handlungseinheit bildeten. Dies rechtfertigt den
Teilfreispruch indessen nicht.
Allerdings ist ein Angeklagter, der nicht wegen aller Delikte
verurteilt wird, die er der Anklage zufolge in Tatmehrheit begangen
haben soll, insoweit freizusprechen, um Anklage und
Eröffnungsbeschluß zu erschöpfen; dies gilt
auch dann, wenn das Gericht das Konkurrenzverhältnis anders
beurteilt und von Tateinheit ausgeht (st. Rspr., vgl. BGHSt 44, 196,
202). Voraussetzung ist jedoch, daß das Gericht die als
tatmehrheitlich angeklagte "Tat" nicht für erwiesen
hält (BGHSt aaO; BGHR StPO § 260 Abs. 1
Teilfreispruch 2). So verhält es sich hier gerade nicht: Das
Landgericht hat den Angeklagten lediglich deshalb freigesprochen, weil
die fraglichen Betrugstaten nach seiner rechtlichen Würdigung
nicht Gegenstand eines selbständigen Schuld- und
Strafausspruchs sein konnten. Unter diesen Umständen ist
für einen Teilfreispruch kein Raum (vgl. auch BGH NStZ 1994,
547, 548; BGH bei Becker NStZ-RR 2002, 72 Nr. 26; BGH, Beschl. vom 26.
Juni 2002 - 3 StR 176/02). Das Verschlechterungsverbot steht der
Aufhebung des Teilfreispruchs nicht entgegen.
7. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs.
2 Satz 1 Alt. 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache an die
Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Duisburg zurück.
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