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BGH, Beschluss vom 30. Juli 2003 - 5 StR 221/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 30.7.2003 - 5 StR 221/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
StGB § 266a Abs. 1;
GmbHG § 64
Unterläßt der Verantwortliche während des Laufs der Insolvenzantragsfrist
nach § 64 Abs. 1 GmbHG die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen
an die Sozialversicherung, macht er sich nicht nach § 266a Abs.1 StGB strafbar.
Die Strafvorschrift des § 266a Abs. 1 StGB verlangt auch dann
die vorrangige Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen, wenn
die Zahlung möglicherweise im Insolvenzverfahren später angefochten
werden kann (im Anschluß an BGHSt 47, 318).
BGH, Beschluß vom 30. Juli 2003 - 5 StR 221/03
LG Potsdam -
5 StR 221/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 30. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Konkursverschleppung u.a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Juli 2003
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten P wird das Urteil
des Landgerichts Potsdam vom 14. Januar 2003, soweit
es ihn betrifft, gemäß § 349 Abs. 4 StPO
a) aufgehoben bezüglich der Fälle 3, 4, 6, 7, 9, 10, 12
und 13 der Urteilsgründe; hinsichtlich dieser Fälle
wird der Angeklagte freigesprochen; insoweit trägt
die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die
notwendigen Auslagen des Angeklagten;
b) im übrigen dahin abgeändert, daß der Angeklagte
P wegen vorsätzlicher Konkursverschleppung
und Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in
vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben
Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt ist.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten P
wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die verbleibenden Kosten
des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den allein revidierenden Angeklagten P wegen
vorsätzlicher Konkursverschleppung und Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen
in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Mona-
3 -
ten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Sachrüge. Die Revision
hat in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen
ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte
- ebenso wie der Mitangeklagte O - Gesellschafter und Mitgeschäftsführer
der O & P G , die im Jahre 1993 gegründet wurde
und deren Geschäftsgegenstand die Durchführung von Zimmerer- und
Bautischlerarbeiten war. Im Zuge der allgemeinen Wirtschaftskrise im Baugewerbe
geriet das Unternehmen im Jahr 1997 in wirtschaftliche Schwierigkeiten;
es war spätestens mit Ablauf des 30. September 1997 zahlungsunfähig
und erheblich überschuldet. Obwohl der Angeklagte die Zahlungsunfähigkeit
erkannte, stellten er und der Mitangeklagte O keinen Insolvenzantrag.
Sie veräußerten im Notartermin vom 5. Dezember 1997 ihre Geschäftsanteile
an die Om G , die von einem sogenannten „Firmenbeerdiger“
beherrscht wurde. Dessen Funktion bestand im wesentlichen
darin, durch Sitz- und Firmenänderungen die Gläubiger der Gesellschaft faktisch
abzuschütteln und sie zur Aufgabe der Verfolgung ihrer Ansprüche zu
veranlassen. Im Notartermin wurden der Angeklagte und der Mitangeklagte
O als Geschäftsführer abberufen und durch den Mitangeklagten
S ersetzt.
Der Angeklagte unterließ es ebenso wie der Mitangeklagte O
, die Arbeitnehmerbeiträge an die Sozialversicherungsträger abzuführen.
Dies betraf gegenüber jeweils unterschiedlichen gesetzlichen Krankenkassen
die Beiträge für Oktober 1997 (Fälle 2, 5, 8 und 11 der Urteilsgründe), für
November 1997 (Fälle 3, 6, 9 und 12) und für Dezember 1997 (Fälle 4, 7, 10
und 13). Die O & P G hat dadurch Beitragsrückstände in Höhe
von etwa 23.000 DM auflaufen lassen. Nach den Feststellungen des Landge-
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richts verfügte sie jedenfalls bis 17. Dezember 1997 auf ihrem Geschäftskonto
über einen Betrag in Höhe von 18.000 DM, bevor der Mitangeklagte
O diese Summe auf das Konto eines anderen, von ihm beherrschten
Unternehmens überwies.
II.
Die Revision des Angeklagten führt zu einem Teilfreispruch hinsichtlich
des Vorwurfs der Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen an die Sozialversicherung
für die Monate November und Dezember 1997 und folglich
zu einer Herabsetzung der Gesamtstrafe.
1. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Angeklagten wegen
vierer tatmehrheitlich begangener Vergehen des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen
nach § 266a Abs. 1 StGB verurteilt, soweit er die
Arbeitnehmerbeiträge für Oktober 1997 nicht an die jeweiligen Sozialversicherungsträger
abgeführt hat.
a) Einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB steht nicht entgegen,
daß nach den Feststellungen des Landgerichts die O & P G
bereits seit 30. September 1997 zahlungsunfähig war.
aa) Allerdings bedeutet der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, den der
Angeklagte nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts erkannt
hat, daß der Geschäftsführer nach § 64 Abs. 1 GmbHG unverzüglich,
spätestens aber nach drei Wochen, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
hätte beantragen müssen. Diese Drei-Wochen-Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG
ist eine Höchstfrist, die mit der Kenntnis des Organs beginnt (BGHZ 75, 96,
110 f.). Sie dient dazu, den Organen der Gesellschaft noch die Möglichkeit
zu geben, Sanierungsversuche durchzuführen (vgl. Schmidt-Leithoff in Rowedder/
Schmidt-Leithoff, GmbHG 4. Aufl. § 64 Rdn. 12 ff.; Schulze-Osterloh
in Baumbach/Hueck, GmbHG 17. Aufl. § 64 Rdn. 44). Deshalb ist der Insol-
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venzantrag dann früher zu stellen, wenn sich bereits vor Ablauf der Drei-
Wochen-Frist ersehen läßt, daß mit einer fristgerechten Sanierung nicht
ernstlich zu rechnen ist.
bb) Während des Laufs der Drei-Wochen-Frist des
§ 64 Abs. 1 GmbHG ist - wie sich aus dem besonderen Zweck der Schutzvorschrift
des § 64 Abs. 2 GmbHG ergibt - die verteilungsfähige Vermögensmasse
einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit der
Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende bevorzugte Befriedigung
einzelner Gläubiger zu verhindern (BGHZ 143, 184, 188 f.; 146,
264, 274 f.). Dementsprechend hat der Gesetzgeber, um den Schutz der
Massesicherung zu verstärken, in § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG eine persönliche
Haftung der Geschäftsführer für den Fall angeordnet, daß nach Eintritt
der Insolvenzreife Zahlungen der Gesellschaft geleistet werden.
Die Ersatzpflicht des Geschäftsführers hat Auswirkungen auf die Auslegung
des § 266a Abs. 1 StGB. Der Gedanke der Sicherung der Masse ist
im Rahmen der den Geschäftsführern eingeräumten zeitlichen Zwischenphase
für Sanierungsbemühungen im Hinblick auf Sozialversicherungsbeiträge
zu beachten. Da die Sozialversicherungsbeiträge im hier in Betracht kommenden
Gesamtvollstreckungsverfahren (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 3b GesO) nicht
denselben absoluten Vorrang - wie außerhalb des Gesamtvollstreckungsverfahrens
durch § 266a Abs. 1 StGB - genießen, würde eine Zahlung der
Arbeitnehmerbeiträge letztlich die Masse schmälern. Dieses Ergebnis wäre
mit dem Schutzzweck des § 64 Abs. 2 GmbHG nicht vereinbar, der die Massesicherung
und -erhaltung gewährleisten soll (vgl. Goette DStR 2003, 604
m.w.N.). Dazu stünde aber die strafbewehrte Pflicht zur Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen
in Widerspruch. Dieser ist nach dem auch hier geltenden
Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung dadurch aufzulösen, daß
die Regelung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG während des Laufs der Drei-
Wochen-Frist die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge rechtfertigt.
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Zwar ist die Bestimmung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG als Ersatzanspruch
gegen den Geschäftsführer ausgestaltet. Jedoch setzt dies voraus
- um im Wege einer zivilrechtlichen Sanktion zu einem entsprechenden Ersatzanspruch
zu kommen -, daß es einen Normbefehl gibt, dessen Verletzung
in Form eines Ausgleichsanspruches kompensiert wird. Auch wenn der
Grundsatz der Massesicherung und -erhaltung nur in der negativen Form, als
Anspruchsgrundlage für den Verletzungsfall formuliert ist, steht dies deshalb
der Annahme einer Rechtfertigung auch in strafrechtlicher Hinsicht nicht entgegen.
Da der Geschäftsführer sich nach § 266a Abs. 1 StGB im Falle einer
Nichtzahlung deshalb weder strafbar macht noch zivilrechtlich für die Nichtabführung
der Beiträge in Anspruch genommen werden kann - es entstehen
keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a Abs. 1 StGB -, befindet
er sich in keiner Pflichtenkollision, wenn er die Sozialversicherungsbeiträge
nicht abführt. Dementsprechend kann der Geschäftsführer, wenn er
dennoch zahlt, sich nicht ohne weiteres darauf berufen, mit der Sorgfalt eines
ordentlichen Kaufmanns im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG gehandelt
zu haben (BGHZ 146, 264, 275).
cc) Läßt der Geschäftsführer die Frist für die Stellung des Konkursantrages
verstreichen, fällt diese sich aus § 64 Abs. 2 GmbHG ergebende
Rechtfertigung weg. Dies gilt namentlich dann, wenn die Insolvenzreife des
Unternehmens fortbesteht. Die aus § 64 Abs. 2 GmbHG hergeleitete Rechtfertigung
knüpft nämlich nicht an der Insolvenzreife des Unternehmens an
sich an, sondern sie privilegiert lediglich die noch aussichtsreichen Sanierungsversuche
nach Eintritt der Krise, und zwar beschränkt auf einen Zeitraum
von höchstens drei Wochen. Daraus folgt, daß die Nichtbeachtung der
strafbewehrten Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge nach Ablauf
der Frist nicht mehr gerechtfertigt ist. Soweit noch verfügbare Mittel des Unternehmens
zur Verfügung stehen, sind diese dann in erster Linie für die Begleichung
der Arbeitnehmerbeiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB einzusetzen.
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, daß sich aus der
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Strafbewehrung der Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen nach
§ 266a Abs. 1 StGB deren Vorrang ergibt (BGHSt 47, 318, 321).
(1) Soweit in der Literatur (Radtke NStZ 2003, 154, 156; Tag JR 2002,
521, 522) diese Vorrangrechtsprechung kritisiert wird, vermögen die vorgebrachten
Einwände nicht zu überzeugen. Weshalb ein Vorrangverhältnis nur
durch außerstrafrechtliche Normen (insbesondere des Zivilrechts oder des
öffentlichen Rechts) begründet werden kann (so aber Radtke aaO), ist nicht
nachvollziehbar. Vielmehr gebietet gerade die strafrechtliche Beurteilung eine
Prüfung, ob trotz tatbestandlicher Verwirklichung eines Strafgesetzes (hier
§ 266a Abs. 1 StGB) die Strafbarkeit entfallen kann. In Betracht käme - von
schuldbeseitigenden Gesichtspunkten abgesehen - nur der Rechtfertigungsgrund
einer Pflichtenkollision. Hierfür wäre aber erforderlich, daß die Pflichten
gleichgewichtig sind (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl.
Vorbem. §§ 32 ff. Rdn. 71 ff. m.w.N.). Daran fehlt es indes, wenn die Nichterfüllung
der alternativen Verbindlichkeiten nicht strafbewehrt ist.
Entgegen der Auffassung von Tag (aaO) stützt weiterhin die Regelung
des § 266a Abs. 6 (früher Abs. 5) StGB dieses Ergebnis. Ersichtlich regelt
nämlich Satz 1 Nr. 2 dieses Absatzes nicht den (tatbestandsausschließenden
- vgl. BGHSt 47, 318, 320) Fall, daß überhaupt keine finanziellen Mittel mehr
vorhanden sind, sondern den Sachverhalt, daß diese in für den Fortbestand
des Betriebes notwendige Zahlungen geflossen sind (vgl. Lenckner/Perron in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 266a Rdn. 23). Da der Gesetzgeber für
diese Fallkonstellation nur einen fakultativen Strafbefreiungsgrund normiert
hat, erlaubt dies wiederum den Schluß, daß er in der Begleichung anderer
Verbindlichkeiten weder einen Tatbestandsausschluß noch eine Rechtfertigung
gesehen hat, mithin diese Verbindlichkeiten ungeachtet ihrer wirtschaftlichen
Bedeutung für den Betrieb als rangniedriger eingestuft hat. Aus der
Beschränkung der Strafbewehrung allein auf die Arbeitnehmerbeiträge läßt
sich ebenfalls kein Argument gegen die Vorrangrechtsprechung des Senats
herleiten.
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(2) Es besteht auch kein Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung
des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGHZ 149, 100 ff.; ZIP 2003,
1666 ff.). Das entspricht im übrigen auch der eigenen Auffassung dieses Senats
(kritisch hierzu OLG Dresden ZIP 2003, 360, 364). Der IX. Zivilsenat
weist selbst darauf hin, daß die Vorrangrechtsprechung des 5. Strafsenats
den Zeitraum betreffe, der dem Insolvenzverfahren vorgelagert sei; für das
Insolvenzverfahren komme der Regelung des § 266a Abs. 1 StGB aber nicht
die Bedeutung zu, daß der Sozialversicherungsträger die Arbeitnehmerbeiträge
bevorzugt behalten dürfe (BGH ZIP 2003, 1666, 1668).
Dieser Auffassung tritt der Senat bei. Zum Vorfeld des Insolvenzverfahrens
hat der Gesetzgeber für die Erfüllung der Pflicht zur Abführung der
Arbeitnehmerbeiträge den besonderen strafrechtlichen Schutz nach
§ 266a Abs. 1 StGB vorgesehen, wobei der Arbeitgeber einer Strafbarkeit
nur unter den engen Voraussetzungen des § 266a Abs. 6 StGB entgehen
kann. Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber die Zahlung sicherstellen,
weil erfahrungsgemäß in der sich abzeichnenden oder eingetretenen Krisensituation
anderenfalls gerade die Ansprüche der Sozialkassen häufig nicht
bedient würden. Der Arbeitgeber hat gerade an derartigen Zahlungen regelmäßig
kein Eigeninteresse. Dies würde zu einem ganz erheblichen Ausfall
bei den Sozialkassen führen. Anders ist dagegen die Situation im Insolvenzverfahren,
das innerhalb eines förmlichen Rahmens abzuwickeln und das auf
eine gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger unter Wahrung des
Gleichheitsgrundsatzes gerichtet ist (vgl. Flöther/Bräuer DZWIR 2003, 353,
355 m.w.N.). Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt - von den inzwischen
auslaufenden Vorschriften des § 59 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 und
§ 61 Abs. 1 KO sowie § 13 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 und § 17 Abs. 3 GesO
abgesehen - gleichermaßen für private wie hoheitliche Gläubiger
(BGH ZIP 2003, 1666, 1668).
Abgesehen davon, daß der Insolvenzverwalter nur unter bestimmten
Voraussetzungen anfechten kann (vgl. § 129 Abs. 1 InsO), besteht im Insol-
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venzverfahren eine hinreichende Gewähr dafür, daß die vorhandene Masse
unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verteilt wird. Die Verteilung
der Masse bestimmt sich dementsprechend abschließend nach den Regelungen
der Insolvenzordnung (bzw. für den hier vorliegenden Altfall nach
der Gesamtvollstreckungsordnung). Da aber die Interessenlage bei Zahlungen
im Vorfeld einer Krise oder auch in der Krise eine andere ist, abhängig
davon, ob es überhaupt zur Durchführung eines Insolvenzverfahrens kommt,
ist auch eine unterschiedliche gesetzliche Regelung für beide Sachverhaltskonstellationen
kein Wertungswiderspruch. Diese unterschiedliche Interessenlage
stellt im übrigen auch den Grund dafür dar, daß eine vorrangige
Zahlungspflicht außerhalb der Insolvenz nicht notwendig zu einem Behaltendürfen
der Leistungen im Insolvenzverfahren führt.
In dem hier zu entscheidenden Fall wurde nach den Urteilsfeststellungen
weder ein Insolvenzverfahren durchgeführt noch die Durchführung
eines solchen irgendwann beantragt. Auch aus diesem Grund ist eine
Kollision mit der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs
hier ausgeschlossen.
b) Da der Angeklagte das Unternehmen über die Drei-Wochen-Frist
hinaus weiterbetrieb, mußte er die Arbeitnehmerbeiträge aus den noch vorhandenen
Mitteln abführen. Der Umstand, daß die O & P G ab
30. September 1997 zahlungsunfähig war und der Angeklagte dies wußte,
führt hier lediglich zu einer Unterbrechung der Zahlungspflicht nach
§ 64 Abs. 1 GmbHG von längstens drei Wochen. Die Oktoberbeiträge, die
bis spätestens 15. November 1997 fällig waren (vgl. § 23 SGB IV), hätte der
Angeklagte bis zu diesem Zeitpunkt an die jeweiligen Einzugstellen überweisen
müssen.
aa) Ausreichende Gelder waren trotz Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
noch vorhanden. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nämlich, daß
auf dem Betriebskonto der O & P G noch 18.000 DM verfüg-
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bar waren, die hier vorrangig für die Begleichung der Sozialverbindlichkeiten
hätten verwendet werden müssen.
bb) Der Angeklagte P war als Geschäftsführer strafrechtlich verantwortlich
(§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) für die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen
Pflichten. Allein der Umstand, daß er mehr den technischen
Bereich des Unternehmens betreut hat, berührt - wie das Landgericht zutreffend
erkannt hat - hier seine Verantwortlichkeit nicht. Er hatte nämlich
nach den Feststellungen des Landgerichts durch betriebswirtschaftliche
Auswertungen Kenntnis über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens.
Ihm war damit auch die Krisensituation des Unternehmens klar. Der Angeklagte
durfte deshalb die Regelung der finanziellen Belange nicht mehr seinem
Mitgeschäftsführer O überlassen (vgl. BGHSt 37, 106, 125;
BGH NStZ 1997, 125, 126 f.).
c) Zutreffend ist das Landgericht hinsichtlich der Beitragsvorenthaltung
gegenüber mehreren Kassen von jeweils selbständigen Taten im Sinne des
§ 53 Abs. 1 StGB ausgegangen. Die Gesamtsozialversicherungsbeiträge
(§ 28d SGB IV) sind an die jeweiligen gesetzlichen Krankenkassen abzuführen,
die nach § 28h SGB IV die Einzugstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag
bilden. Im vorliegenden Fall waren die Mitarbeiter der O
& P G bei vier unterschiedlichen Krankenkassen versichert.
Dies bedeutet, daß die Zahlungen gegenüber vier verschiedenen Krankenkassen
jeweils durch eine eigenständige Handlung vorzunehmen waren. Allein
der Umstand, daß die Zahlungen zum selben Termin fällig werden und
auf demselben Rechtsgrund beruhen, verbindet die Verletzung gegenüber
unterschiedlichen Adressaten vorzunehmender Handlungspflichten nicht zu
einer tateinheitlichen Handlung (vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder,
StGB 26. Aufl. § 266a Rdn. 28).
2. Hinsichtlich der weiteren Fälle der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen
in den Monaten November 1997 und Dezember 1997
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(Fälle 3, 4, 6, 7, 9, 10, 12 und 13 der Urteilsgründe) war der Angeklagte
freizusprechen. Insoweit läßt sich nicht ausschließen, daß der Angeklagte
zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten (15. Dezember 1997 und
15. Januar 1998) zumindest subjektiv davon ausging, nicht mehr Verantwortlicher
der O & P G gewesen zu sein.
a) Das Landgericht leitet eine fortdauernde Verantwortlichkeit des Angeklagten
daraus ab, daß die Geschäftsanteilsveräußerung entsprechend
§ 241 Nr. 4 AktG nichtig und damit auch seine darauf gestützte Abberufung
als Geschäftsführer unwirksam gewesen sei.
b) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die Auffassung des Landgerichts
zutrifft. Selbst wenn nämlich der rechtliche Ansatzpunkt des Landgerichts
richtig wäre, daß die Geschäftsanteilsabtretung ungeachtet ihres
neutralen Charakters wegen der hier konkret beabsichtigten Gläubigerbenachteiligung
mit Wirkung inter omnes (vgl. zu den Anforderungen Hüffer,
AktG 4. Aufl. § 241 Rdn. 24) nichtig wäre, dann hätte dies nicht zwangsläufig
die Folge, daß der Angeklagte seine Geschäftsführerstellung beibehalten
hätte. In den Verhandlungen um die einvernehmliche Abberufung der Geschäftsführer
könnte hier nämlich zugleich eine Niederlegung dieses Amts
durch den Angeklagten selbst gesehen werden. Ersichtlich erfolgte die Aufgabe
seiner organschaftlichen Funktion mit dem Willen des Angeklagten. Bei
einer derartigen Fallkonstellation liegt es deshalb nahe, aus dem Gesamtzusammenhang
eine jedenfalls auch einseitige Niederlegung der Geschäftsführerstellung
in Betracht zu ziehen (vgl. BGH DStR 2002, 183; DStR 2003, 602
mit Anm. Goette). Dies entspräche auch dem Interesse des Angeklagten,
das gerade darauf gerichtet war, sich der Pflichtenstellung als Geschäftsführer
der O & P G zu entledigen.
Eine entsprechende einseitige Niederlegung ist grundsätzlich wirksam
(BGHZ 121, 257). Eine Ausnahme hat der Bundesgerichtshof allenfalls dann
angenommen, wenn durch die einseitige Niederlegung die insolvenzrechtli-
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chen Pflichten beeinträchtigt werden, insbesondere die notwendige Stellung
eines Insolvenzantrages dadurch umgangen werden könnte (vgl. BGHSt 2,
53, 54). Zwar war die O & P G hier konkursreif. Es ist aber
fraglich, ob die von der Rechtsprechung gemachte Ausnahme auch dann
anzuerkennen wäre, wenn die GmbH durch einen anderen Geschäftsführer
weitergeführt wird und damit eine Leitungsverantwortung gewährleistet ist
(vgl. zum Streitstand Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG
17. Aufl. § 64 Rdn. 41; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff,
GmbHG 64. Aufl. Rdn. 21). Maßgebliche Erwägung ist hierbei nämlich, daß
in der wirtschaftlichen Krisensituation die Gesellschaft nicht ohne organschaftlich
Verantwortlichen bleiben darf, weil dann die Einhaltung der in der
Krise maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Pflichten nicht gewährleistet werden
könnte. Ob diese Ausgangslage auch bei einer Sachverhaltskonstellation
gegeben sein kann, in der ein mit der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft
Vertrauter als neuer Geschäftsführer bestellt wird, kann hier
gleichfalls offenbleiben.
c) Im vorliegenden Fall sind die subjektiven Voraussetzungen vom
Landgericht nicht näher belegt. Selbst wenn nämlich bei dem Angeklagten
eine fortdauernde Pflichtenstellung gegeben wäre, führte dies nur dann zu
einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB, wenn der Angeklagte trotz seiner
Abberufung seine Stellung als nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB Verantwortlicher
erkannt hätte. Dies versteht sich nicht von selbst. Eine solche Annahme
würde nämlich voraussetzen, daß der Angeklagte eine juristische Wertung
vorgenommen hat, die einem juristischen Laien nicht ohne weiteres unterstellt
werden kann (vgl. BGHSt 48, 108, 117 f.; BGHR AÜG § 9 Unerlaubte
Arbeitnehmerüberlassung 1).
Ausgehend von der Auffassung des Landgerichts, das hier die Geschäftsanteilsveräußerung
im Hinblick auf § 241 Nr. 4 AktG und sämtliche
darauf aufbauende Folgegeschäfte als unwirksam angesehen hat, hätte der
Angeklagte nämlich das Wissen nicht nur um die tatsächlichen Grundlagen
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haben, sondern zugleich damit rechnen müssen, daß die in Anwesenheit der
Alt- und Neugesellschafter geführten Verhandlungen im Notartermin vom
5. Dezember 1997 nicht zu einem Verlust seiner Geschäftsführerfunktion
geführt hätten. Da die Fortdauer der Pflichtenstellung als Geschäftsführer
Tatbestandsmerkmal der Strafvorschrift des § 266a Abs. 1 i. V. m. § 14
Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, unterlag der Angeklagte nach § 16 Abs. 1 StGB einem
Tatbestandsirrtum, wenn er davon ausging, daß die im Notartermin erfolgte
Abberufung auch rechtlich seine Verantwortlichkeit erlöschen ließ (vgl.
BGHR StGB § 16 Abs. 1 Umstand 1, 2). Eine nur vorsätzlich zu begehende
Beitragsvorenthaltung nach § 266a Abs. 1 StGB hätte deshalb vorausgesetzt,
daß der Angeklagte die Unwirksamkeit seiner Abberufung
als Geschäftsführer erkannt hätte, weil er überhaupt nur dann von
einer strafbewehrten Pflichtenstellung hätte ausgehen müssen (vgl.
BGHSt 48, 108, 117 f.; BGHR AÜG § 9 Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung
1). Diese hier gebotene Prüfung hat das Landgericht unterlassen.
d) Dieser Mangel führt hier zu einem Freispruch hinsichtlich der vorgenannten
acht Fälle, bei denen der Fälligkeitszeitpunkt für die Abführung
der Sozialversicherungsbeiträge nach dem 5. Dezember 1997 lag. Dies betrifft
die Verletzung der Abführungspflichten für die Monate November und
Dezember 1997, weil deren Fälligkeit jeweils am 15. des Folgemonats eintrat.
Das Landgericht hat zur Kenntnis des Angeklagten über die Wirksamkeit
der Abberufung keine Feststellungen getroffen. Dies nötigt im vorliegenden
Fall nicht zur Aufhebung der Sache und zur Zurückverweisung, weil der
Senat ausschließen kann, daß ein neuer Tatrichter noch zureichende Feststellungen
treffen könnte, die eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Beitragsvorenthaltung
nach § 266a Abs. 1 StGB für diese Monate tragen könnten.
Die Tatbegehung liegt bereits nahezu sechs Jahre zurück, weshalb eine Rekonstruktion
des Vorstellungsbildes des Angeklagten nicht mehr zu erwarten
ist. Im übrigen ist es gerade im Hinblick auf den Angeklagten, der als ge-
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lernter Bautischler hauptsächlich für den technischen Bereich des Unternehmens
verantwortlich war, eher fernliegend, daß dieser die in einem Notartermin
erfolgte Abberufung als Geschäftsführer für unwirksam angesehen haben
sollte. Da auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß der
Angeklagte sich in der Folgezeit weiter um die Belange des Unternehmens
gekümmert hat, sprechen die Gesamtumstände dafür, daß der Angeklagte
von der Wirksamkeit seiner Abberufung ausgegangen ist.
3. Der Teilfreispruch führt zu einer Änderung der Gesamtstrafe. Diese
setzt der Senat hier selbst auf sieben Monate Gesamtfreiheitsstrafe fest. Im
Hinblick auf die rechtskräftige Einsatzstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe
(wegen vorsätzlicher Konkursverschleppung) sowie die vier Einzelgeldstrafen
in Höhe von jeweils 30 Tagessätzen erscheint dem Senat auf der
Grundlage der rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägungen des Landgerichts
die Verhängung einer anderen Gesamtfreiheitsstrafe ausgeschlossen.
III.
Eine Erstreckung der Aufhebung auf den Mitangeklagten O
gemäß § 357 StPO kam bei der hier gegebenen Fallgestaltung nicht in Betracht.
Soweit der Mitangeklagte O ebenfalls wegen Nichtabführung
von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung verurteilt wurde, lag
dem ein anderer Sachverhalt zugrunde. Der Mitangeklagte O hatte
- 15 -
nämlich ausweislich der Urteilsgründe eine von dem Mitangeklagten S
erteilte Abwicklungsvollmacht. Da der Mitangeklagte O damit nach
§ 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB als Arbeitgeber im strafrechtlichen Sinne für die
Nichtabführung der Beiträge haftet, scheidet hier schon aus diesem Grunde
eine die Angeklagten P und O gleichermaßen betreffende Gesetzesverletzung
aus.
Basdorf Häger Gerhardt
Raum Brauseden 



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