BGH,
Beschl. v. 30.5.2001 - 1 StR 176/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 176/01
vom
30. Mai 2001
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2001
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Regensburg vom 18. Januar 2001 im Ausspruch über die
Vollstreckungsreihenfolge aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug von drei
Jahren Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen,
jedoch wird die Gebühr um ein Drittel
ermäßigt. Die notwendigen Auslagen des
Beschwerdeführers im Revisionsverfahren hat zu einem Drittel
die Staatskasse zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und anderer
Straftaten unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem Urteil des
Amtsgerichts
Regensburg vom 21. März 2000 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat
es die mit diesem Urteil des Amtsgerichts Regensburg angeordnete
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, die seit dem
29. März 2000 vollstreckt wird, aufrechterhalten und bestimmt,
drei Jahre der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg,
soweit das Landgericht den teilweisen Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe
vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet hat; im
übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1. Die vom Landgericht gemäß § 67 Abs. 2
StGB bestimmte Vollstreckungsreihenfolge hat keinen Bestand. Die
gegebene Begründung vermag eine Abweichung von der Regel des
§ 67 Abs. 1 StGB, wonach zunächst die
Maßregel zu vollstrecken ist, nicht zu rechtfertigen.
a) Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzuges der Strafe
ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten. Nach der
Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll
möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen
oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen
dauerhaften Erfolg verspricht. Gerade bei längerer Strafdauer
muß es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig von
seinem Hang zu befreien, damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung
des Vollzugszieles arbeiten kann. Eine Abweichung von der Regelabfolge
des Vollzuges bedarf eingehender Begründung. Steht zu
besorgen, daß der an die Maßregel
anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg
wieder zunichte machen könnte, so müssen
dafür überzeugende Gründe vorliegen (vgl.
Senat, Beschl. vom 30. Januar 2001 - 1 StR 481/00 - m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht bestimmte Ausnahme
nicht gerecht.
Soweit die Kammer darauf abhebt, der Vorwegvollzug werde durch die
Erzeugung weiteren Motivationsdrucks die Therapiebereitschaft des
Angeklagten erhöhen, reicht diese Erwägung unter den
festgestellten Umständen nicht aus. Der Angeklagte ist
therapiewillig. Er hat vor den verfahrensgegenständlichen
Taten bereits mehrfach freiwillig, wenn auch ohne das erforderliche
Durchhaltevermögen, in verschiedenen Therapieeinrichtungen
Behandlungsversuche unternommen. Die Unterbringung in der
Entziehungsanstalt wird nunmehr bereits seit etwa eineinhalb Jahren
ohne Unterbrechungen vollzogen, wobei der Angeklagte drogenfrei
geblieben ist und auch sonst keine größeren
Regelverstöße begangen hat. Auf dieser Grundlage ist
nicht erkennbar, inwiefern die Umkehr der Reihenfolge der
Vollstreckung, die zu einem Abbruch der zur Zeit laufenden Therapie
führen würde, bessere Aussichten einer Heilung des
Angeklagten versprechen soll. Soweit das Landgericht wesentliche
Fortschritte bei der bisherigen stationären Behandlung
vermißt hat, hat es dies selbst auf die erheblichen
Belastungen des Angeklagten durch die bevorstehende Hauptverhandlung im
gegenständlichen Verfahren zurückgeführt.
Zudem hat das Landgericht nicht berücksichtigt, daß
die Therapiebereitschaft auch bei Vollzug der Maßregel
gefördert werden kann (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2
Zweckerreichung, leichtere 14), da es zu den wesentlichen Aufgaben des
Maßregelvollzuges gehört, den Verurteilten zur
Einsicht in die Erfordernis seiner Behandlung zu bringen. Das
Landgericht hätte im übrigen auch bedenken
müssen, daß die vorhandene Therapiebereitschaft
während des Strafvollzugs wieder zerstört werden
könnte (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung,
leichtere 10; Vorwegvollzug, teilweiser 12).
Ebensowenig trägt die Erwägung, ein Therapieerfolg
könne wieder zunichte gemacht werden, wenn nicht durch
entsprechende Änderung der Vollzugsreihenfolge die
Voraussetzungen für die Entlassung des Angeklagten
- voraussichtlich nach Erledigung von zwei Drittel der Strafe -
unmittelbar aus dem Maßregelvollzug geschaffen
würden. Das Landgericht hat selbst gesehen, daß die
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch bei erreichtem
Therapieziel nach § 67 Abs. 5 Satz 2 StGB i.V.m. §
67d Abs. 1 Satz 3 StGB weiter bis zum Entlassungszeitpunkt vollzogen
werden kann. Diese Regelung soll gerade vermeiden, daß im
Maßregelvollzug erzielte Erfolge durch einen Strafvollzug
wieder beeinträchtigt werden (vgl. BT-Drucks. V/4095 S. 32).
Schon deshalb erscheint nicht nachvollziehbar, warum die Beibehaltung
der gesetzlichen Regel des § 67 Abs. 1 StGB die
Resozialisierung des Angeklagten gefährden würde. Es
sind zudem auch keine schlüssigen Anhaltspunkte dargelegt, die
erkennen lassen, worin die Gefährdung des
Maßregelerfolgs durch einen etwaigen anschließenden
Strafvollzug besteht und wie sie sich bei dem Angeklagten auswirken
könnte. Die für die Zeit nach der Entlassung
erforderlich werdenden Resozialisierungsmaßnahmen, auf die
das Landgericht in diesem Zusammenhang allein abstellt, sind im Falle
eines vorangehenden Strafvollzugs ebenso zu verwirklichen wie bei einem
vorangehenden Maßregelvollzug.
c) Der Senat hält es nach alledem für ausgeschlossen,
daß sich in einer neuen Hauptverhandlung die Voraussetzungen
für die Vorwegvollstreckung (eines Teils) der Strafe noch
ergeben könnten. Er sieht deshalb von einer
Zurückverweisung der Sache ab und läßt
statt dessen die Anordnung des Vorwegvollzugs entfallen (§ 354
Abs. 1 StPO).
2. Die Kosten- und Auslagenentscheidung trägt dem Umstand
Rechnung, daß der Angeklagte mit seinem Rechtsmittel einen
Teilerfolg erzielt hat.
Schäfer Nack Kolz
Hebenstreit Schaal
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