BGH,
Beschl. v. 4.6.2003 - 5 StR 217/03
5 StR 217/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 4. Juni 2003
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 4. Juni 2003
beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Cottbus vom 16. Dezember 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO
dahingehend abgeändert, daß der angeordnete
Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe vor der Maßregel der
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
3. Die Angeklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Jedoch wird die Gebühr um ein Viertel
ermäßigt. Ein Viertel der gerichtlichen Auslagen und
der notwendigen Auslagen der Angeklagten werden der Staatskasse
auferlegt.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Es hat die Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, daß die
Vollziehung der Maßregel erst erfolgen dürfe,
nachdem die Angeklagte 32 Monate der gegen sie erkannten
Freiheitsstrafe verbüßt hat.
Die Revision der Angeklagten ist im Sinne von § 349 Abs. 2
StPO unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und
den Strafausspruch richtet. Die Anordnung des Vorwegvollzugs der Strafe
vor der Maßregel kann aber nicht bestehenbleiben. Hierzu hat
der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 6. Mai 2003
ausgeführt:
"Nach der in § 67 Abs. 1 StGB zum Ausdruck kommenden
Grundentscheidung des Gesetzgebers ist in der Regel die
Maßregel nach § 64 StGB vor der Strafe zu
vollziehen. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, den
Täter schon frühzeitig von seinem Hang zu befreien,
damit er in der Strafanstalt an der Verwirklichung des Vollzugsziels
mitarbeiten kann (vgl. BGHSt 37, 160, 162). Nur wenn der Zweck der
Maßregel dadurch leichter zu erreichen ist, kann
ausnahmsweise nach § 67 Abs. 2 StGB der Vorwegvollzug eines
Teils der Strafe oder, wenn erforderlich, der gesamten Strafe
gerechtfertigt sein (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl.
§ 67 Rdn. 4 m. w. N.). Richtschnur für die Anordnung
des Vorwegvollzugs der Strafe und für die Entscheidung der
Frage, wie lange dieser Vorwegvollzug zu bemessen ist, ist das
Rehabilitationsinteresse des Verurteilten (vgl. BGHR StGB § 67
Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 11). Ein Abweichen von der
Vollzugsreihenfolge kann zwar grundsätzlich damit
gerechtfertigt werden, daß die Behandlung nach § 64
StGB der Entlassung in die Freiheit unmittelbar vorausgehen sollte,
weil ein sich anschließender Strafvollzug die positiven
Auswirkungen des Maßregelvollzugs wieder gefährden
würde. In einem solchen Fall muß der Tatrichter
konkrete Anhaltspunkte darlegen, die erkennen lassen, worin die
Gefährdung des Maßregelerfolgs durch den
anschließenden Strafvollzug besteht und wie sich dies bei dem
Verurteilten auswirken könnte (vgl. BGH, Beschl. vom
8. September 1998 - 1 StR 384/98 - m. w. N.).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht, als das auch
insoweit sachverständig beratene Landgericht mit am Einzelfall
ausgerichteten Erwägungen angenommen hat, ein Vorwegvollzug
könnte im Rehabilitationsinteresse der Angeklagten liegen. Ihm
ist daran gelegen, daß die Angeklagte aus der
Entziehungsanstalt in die Freiheit entlassen werden kann.
Möglicherweise hat das Schwurgericht bei seiner Entscheidung
jedoch nicht bedacht, daß sich dies hier wie ein
zusätzliches Strafübel auswirken könnte,
denn die Maßregel soll vollzogen werden, nachdem die
Angeklagte 32 Monate Freiheitsstrafe, mithin zwei Drittel der gegen sie
verhängten Freiheitsstrafe, verbüßt hat.
Damit würde die vom Landgericht bestimmte Dauer des
Vorwegvollzugs der Strafe der Angeklagten die
frühestmögliche Aussetzung des Strafrestes verwehren
(vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 7, 11;
BGH, Beschl. vom 1. August 1990 - 2 StR 271/90 -
zitiert bei Detter NStZ 1991, 278). Ob eine solche Folge des
Vorwegvollzugs noch mit dem Rehabilitationsinteresse vereinbar ist,
hätte erörtert werden müssen. Dies auch vor
dem Hintergrund, daß die Zeit des Vollzugs der
Maßregel auf die Strafe angerechnet wird (§ 67 Abs.
4 Satz 1 StGB) und es deshalb ausreichen würde, so viel
Freiheitsstrafe vorweg zu vollziehen, daß ihre Dauer mit der
- vom Sachverständigen einzuschätzenden -
voraussichtlichen Dauer des Maßregelvollzugs zwei Drittel der
Strafe ausmachen (vgl. BGH, Beschl. vom 22. September 1992 - 1 StR
632/92 -; Senatsbeschluß in BGHR StGB § 67 Abs. 2
Vorwegvollzug, teilweiser 15 m. w. N.)."
Dem schließt sich der Senat an. Im Hinblick auf die seit
einem Jahr und drei Monaten vollstreckte Untersuchungshaft und die sich
aus § 67
Abs. 5 Satz 1 StGB und § 57 Abs. 1 StGB ergebenden
Möglichkeiten einer Aussetzung von Strafresten - auch nach
Erledigung der Hälfte der Strafe - läßt der
Senat den angeordneten Vorwegvollzug insgesamt entsprechend
§ 354 Abs. 1 StPO entfallen.
Harms Basdorf Raum Brause Schaal |