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BGH, Beschluss vom 5. November 2002 - 4 StR 419/02


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 5.11.2002 - 4 StR 419/02
4 StR 419/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 5. November 2002
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. November 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 18. März 2002, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (gemeinschaftlich begangener) gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines früheren Urteils, durch das er wegen Sexualstraftaten und anderer Delikte zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt wurde, zu einer Einheitsjugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen die Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Erwägungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, daß sich die sachverständig beratene Jugendkammer die Überzeugung verschafft hat, daß bei dem Angeklagten "die Einsicht in das Unrecht und das Gefährliche des Tuns vorhanden gewesen sei und der Angeklagte sich auch noch habe steuern können" (UA 11). Dies trägt jedoch nur die Annahme bei der Tat noch vorhandener Schuldfähigkeit. Dagegen hat das Landgericht die Voraussetzungen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
Das Landgericht hat sich voll inhaltlich der gutachterlichen Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, der bei dem Angeklagten die schon früher gestellte Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung nach ICD 10 F 60.2 "eindrucksvoll bestätigt" gefunden und darüber hinaus eine Persönlichkeitsstörung des impulsiven Typs nach ICD 10 F 60.30 diagnostiziert hat, so daß insgesamt eine kombinierte Persönlichkeitsstörung nach ICD 10 F 61.0 festzustellen sei. "Diese Persönlichkeitsstörung habe jedoch weder die Einsichts- noch die Steuerungsfähigkeit erheblich tangiert. Der Angeklagte habe die volle Erinnerung an das sich über eine längere Zeit hinziehende Tatgeschehen, welches durch eine Vielzahl überlegter und gesteuerter Mißhandlungen gekennzeichnet sei. Die Mißhandlungen seien brutal gewesen, jedoch zielgerichtet und kognitiv überlagert, was sich ... daraus ergebe, daß alle Mißhandlungen letztlich so ausgeführt wurden, daß sie keine schweren Verletzungen verursachten" (UA 11).
Diese Bewertung vermag schon für sich kaum zu überzeugen. Jedenfalls hätte der Senat grundlegende Bedenken, in der "kognitiven Überlagerung" brutaler, aber zielgerichteter Mißhandlungen ein entscheidendes Indiz gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit zu erblicken. Daß der Täter noch weiß, was er tut und welche Folgen sein Handeln hat, hat in erster Linie Bedeutung für den Ausschluß vollständiger Aufhebung der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB), sagt aber über den Grad der Beeinträchtigung des Täters, sich noch steuern und den kriminellen Tatimpulsen widerstehen zu können, nicht in gleichem Maße etwas aus. Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Vertiefung, denn die Bewertung durch den Sachverständigen steht schon in Widerspruch zu den zum Tatgeschehen getroffenen Feststellungen. Diese weisen gerade nicht aus, daß der Angeklagte und der Mittäter etwa "dosiert" auf das Opfer einwirkten. Im Gegenteil mißhandelten sie ihr Opfer mehr als eine halbe Stunde lang "in Hochstimmung" wahllos mit allen sich ihnen bietenden oder von ihnen extra herbeigeschafften Gegenständen, wobei der Angeklagte auch nicht etwa innehielt, als das Opfer bereits bewußtlos am Boden lag. Zudem hat das Landgericht ersichtlich sogar ein Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz angenommen und ist nur deshalb nicht zu einem entsprechenden Schuldspruch gelangt, weil es das spätere Verhalten als Rücktritt vom "(noch nicht beendeten)" Versuch gewertet hat (UA 12). Ebensowenig verträgt sich die Annahme, der Angeklagte habe zielgerichtet und "kognitiv überlagert" nur auf nicht schwere Verletzungen hingewirkt, nicht mit der weiteren Annahme, beiden Tätern seien die Auswirkungen ihres Handelns "egal" gewesen, womit das Landgericht auch die angenommene Tatbestandsalternative der lebensgefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begründet hat (UA 12).
Schon deshalb ist auch der weitere Schluß nicht tragfähig, mit dem das Landgericht - auch darin dem psychiatrischen Sachverständigen folgend - aus der "kognitiven Überlagerung" des Vorgehens gegen das Opfer einen alkoholbedingt "allenfalls leichten Rauschzustand" zur Tatzeit hergeleitet hat. Daher kommt es nicht mehr darauf an, daß die Ausführungen zur ausschließbaren erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten schon für sich der rechtlichen Nachprüfung nicht standhalten. Dazu hätten die wesentlichen Anknüpfungstatsachen so genau wiedergegeben werden müssen, daß der Senat prüfen kann, ob die Annahme der vom Sachverständigen berechneten Maximal- und Minimal-Tatzeit-BAK und damit die Beweiswürdigung zu den Trinkmengenangaben des Angeklagten auf einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage beruht. Insoweit fehlen aber nicht nur genaue Angaben zu den der Berechnung zugrundeliegenden Trinkmengen, sondern auch zum Körpergewicht des Angeklagten. Das Landgericht ist zudem bei der Kontrollberechnung zur Ermittlung der Mindest-BAK rechtsfehlerhaft von einem stündlichen Abbau von 0,15 % ausgegangen, anstatt einen stündlichen Abbauwert von 0,2 % und einen einmaligen Sicherheitszuschlag von ebenfalls 0,2 % zugrundezulegen (st. Rspr.; BGHR StGB § 21 BAK 1).
Die die Schuldfähigkeitsbeurteilung durch das Landgericht betreffenden Rechtsfehler zwingen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Über diesen ist ohne Bindung an die hierzu bisher getroffenen Feststellungen durch den neuen Tatrichter zu entscheiden. Insoweit sieht sich der Senat lediglich vorsorglich zu dem Hinweis veranlaßt, daß auch die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil für sich genommen schon deshalb rechtlichen Bedenken begegnen, weil es an der für die Bildung der Einheitsjugendstrafe namentlich mit Blick auf den Erziehungsgedanken gebotenen Gesamtwürdigung aller Straftaten fehlt. Das Urteil beschränkt sich auf den pauschalen Hinweis, bei dem Angeklagten bestehe ein "höherer Erziehungsbedarf" als bei dem früheren Mitangeklagten (gegen den das Landgericht wegen der gemeinsam begangenen Tat auf eine Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten erkannt hat), "da die Verurteilung vom 22.06.01 einzubeziehen war". Dies erweckt den Eindruck, daß die Jugendkammer statt der gebotenen Gesamtbewertung die früher verhängte Jugendstrafe lediglich numerisch berücksichtigt und deshalb nicht, wie es § 31 Abs. 2 JGG verlangt, das frühere Urteil, sondern lediglich die früher erkannte Strafe einbezogen hat (vgl. BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 2).
Tepperwien Maatz Kuckein Athing Solin-Stojanovic



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