BGH,
Beschl. v. 5.11.2003 - 1 StR 368/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 368/03
vom
5.11.2003
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5.11.2003 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 19. Dezember 2002 wird als unbegründet
verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Revision geht zutreffend davon aus, daß dem Angeklagten
ein Prozeßverhalten nicht angelastet werden darf,
das sich noch im Rahmen zulässiger Verteidigung hält
(vgl.
Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 46 Rdn. 53
m.w.Nachw.).
Das hat das Landgericht aber auch nicht getan. Es hat
vielmehr ausdrücklich dargelegt, daß es "im Belieben
eines
Angeklagten (steht), wie er seine Verteidigung gestalten
will", und daß grundsätzlich auch "Ausfälle
der Verteidigung
gegenüber Zeugen und Sachverständigen dem Angeklagten
nicht persönlich zuzurechnen (sind)". Strafschärfend
hat das Landgericht allein Verhaltensweisen des
Angeklagten in der Hauptverhandlung gewertet, in denen
sich eine rechtsfeindliche Einstellung offenbart hat. So hat
es ihm seine Mimik und Gestik anläßlich einer
"demütigen-
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den" Befragung der Mutter des sexuell mißbrauchten Kindes,
M. E. , und einer "an eine Prüfungssituation erinnernde"
Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. F.
angelastet wie auch seine erfreute Reaktion auf die Mitteilung,
die Geschädigte sei wegen der Gefahr einer
Selbsttötung
in ein Krankenhaus aufgenommen worden. Wenn
das Landgericht ein solches Verhalten als Ausdruck einer
zu mißbilligenden Einstellung wertet, die eine
Strafschärfung
rechtfertigt, ist dies frei von Rechtsfehlern (vgl. BGHR
StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4; BGH NStZ-RR
1999, 328).
2. Daß die Hauptverhandlung - bei einem
überschaubaren
Sachverhalt - an über 50 Tagen durchgeführt wurde und
über ein Jahr dauerte, gibt Veranlassung zu folgenden
Hinweisen:
Die Leitung der Verhandlung erfolgt durch den Vorsitzenden
(§ 238 Abs. 1 StPO). Seine Leitungsbefugnis umfaßt
auch die Befugnis, die sachgerechte Vernehmung von
Zeugen und Sachverständigen zu gewährleisten und
insbesondere
für die sachgerechte Ausübung des Fragerechts
(§ 240 Abs. 2, § 241a StPO) durch die
Verfahrensbeteiligten
Sorge zu tragen (BGHSt 16, 67, 70 f.; BGH MDR 1957,
53).
Er muß sicherstellen, daß der Zeuge zur Sache im
Zusammenhang
vortragen kann (§ 69 Abs. 1 StPO), Angriffe
abwehren, die mit dem Anspruch des Zeugen auf ange-
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messene Behandlung und Ehrenschutz unvereinbar sind
und nicht erforderliche Fragen nach entehrenden Tatsachen
(§ 68a StPO) sowie unzulässige, ungeeignete und
nicht zur Sache gehörende Fragen (§ 241 Abs. 2 StPO)
zurückweisen.
Dies gebietet die Achtung vor der menschlichen
Würde des Zeugen sowie das Rechtsstaatsprinzip
(BVerfG NJW 1975, 103, 104).
Wird die Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen
durch den Vorsitzenden von einem Verfahrensbeteiligten
unter anderem durch extensive Antragstellung, wiederholte
Beanstandungen, Herbeiführung von Gerichtsbeschlüssen
und Anträgen auf wörtliche Protokollierung
(§ 273 Abs. 3 StPO) fortwährend unterbrochen, so
braucht
der Vorsitzende derartige Anträge nicht sofort entgegenzunehmen
und zu bescheiden. In einem solchen Fall kann er
vielmehr die Befragung des Zeugen oder Sachverständigen
ungestört zu Ende führen und dem Verfahrensbeteiligten
statt dessen aufgeben, etwaige Beanstandungen erst
nach Abschluß seiner Befragung vorzutragen. Über
derartige
Beanstandungen und Anträge kann dann insgesamt
befunden werden.
Fragen an einen Zeugen oder Sachverständigen zu einem
sachfremden Beweisthema - hier: sexuelle Erlebnisse der
tatbeteiligten Mutter des mißbrauchten Kindes schon in ihrer
Kindheit - kann er durch eine Entscheidung zu diesem
Thema insgesamt zurückweisen (vgl. BGHSt 13, 252, 254;
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21, 334, 360; BGHR § 241 Abs. 2 StPO Zurückweisung 4;
BGH, Urt. v. 10. Februar 1993 - 3 StR 443/92). Werden dazu
gleichwohl weitere Fragen gestellt, so umfassen die
erstmalige Zurückweisung und der erstmalige
Gerichtsbeschluß
nach § 238 Abs. 2 StPO auch deren Zurückweisung.
Solche Fragen darf der Vorsitzende durch Bezugnahme
auf den Gerichtsbeschluß ohne weitere Begründung
zurückweisen. Einer erneuten Entscheidung durch
das Gericht nach § 238 Abs. 2 StPO bedarf es in solchen
Fällen nicht mehr.
Nack Wahl Boetticher
Kolz Hebenstreit
Veröffentlichung: ja
BGHR: ja
BGHSt: nein
_________________________
StPO § 238 Abs. 1
Zur Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden.
BGH, Beschl. vom 5.11.2003 - 1 StR 368/03 - LG Landshut |