BGH,
Beschl. v. 6.11.2003 - 1 StR 451/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 451/03
vom
6.11.2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6.11.2003 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Mannheim vom 3. Juni 2003 wird mit der Maßgabe
verworfen, daß die Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt entfällt.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem
Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit
gefährlicher
Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Außerdem
wurde er in einer Entziehungsanstalt untergebracht (§ 64 StGB)
und zur
Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Geschädigten verurteilt.
Der Verurteilung liegt folgendes zu Grunde:
R. L. hatte den Angeklagten gegenüber der Polizei
verdächtigt,
am 30. Juli 2002 ihre Scheckkarte entwendet zu haben. Die Polizei fand
die
Scheckkarte bei ihm, außerdem hatte er kurz nach dem
Verschwinden der
Scheckkarte damit Geld vom Konto der R. L. abgehoben. Der Angeklagte
forderte seinen Bekannten W. S. , den Freund der R.
L. auf, diese zur Rücknahme der Anzeige zu bewegen. S. wei-
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gerte sich jedoch. Aus Ärger hierüber drang der
Angeklagte am 8. August 2002
in angetrunkenem Zustand gewaltsam in die im vierten Stock gelegene
Wohnung
S. s ein, zog den ebenfalls angetrunkenen, ihm körperlich
unterlegenen
S. gewaltsam aus dem Bett und warf ihn schließlich aus dem
Fenster aus über zehn Meter Höhe in den Garten. S,
wurde schwer
verletzt und überlebte nur dank glücklicher
Umstände.
II.
Die auf mehrere Verfahrensrügen und die nicht näher
ausgeführte Sachrüge
gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall
der Unterbringungsanordnung
(§ 349 Abs. 4 StPO), bleibt aber im übrigen erfolglos
(§ 349
Abs. 2 StPO).
1. Hinsichtlich der Verfahrensrügen nimmt der Senat auf die
zutreffenden
Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug.
2. Hinsichtlich des Schuldspruchs, des Strafausspruchs und des
Schmerzensgeldes
hat die auf die Sachrüge gebotene
Überprüfung des Urteils ebenfalls
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3. Die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
liegen
dagegen nicht vor.
a) Der Angeklagte trinkt seit etwa 20 Jahren, zwar zunehmend, aber nach
wie vor nur „gelegentlich Alkohol im
Übermaß“. Er hat ein „sich
anbahnendes
Alkoholproblem“. Der sich daraus ergebende Hang zeige sich
„andeutungsweise“ auch schon in den Taten, die
früheren Verurteilungen
zu Grunde liegen. Die - zahlreichen - früheren Taten sind
detailliert
mitgeteilt, ein Zusammenhang mit Alkohol ist jedoch nur vereinzelt er-
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sichtlich. Letztmals war der Angeklagte danach bei einem 1994 begangenen
Einbruch in ein Büro angetrunken, die letzte Vorstrafe
überhaupt
(30 Tagessätze wegen Diebstahls einer Klingelanlage) erfolgte
1998.
b) Die Annahme, ein Alkoholproblem bahne sich erst an, erscheint mit der
Annahme, ein Hang zu Alkoholmissbrauch zeige sich auch an Taten, die
schon etliche Jahre zurück liegen, nicht ohne weiteres
vereinbar.
Der Senat braucht dem aber nicht näher nachzugehen. Ein Hang im
Sinne des § 64 StGB liegt nämlich nur vor, wenn
entweder eine chronische,
auf Sucht beruhende körperliche Abhängigkeit gegeben
ist, oder
wenn zwar noch keine körperliche Abhängigkeit
besteht, jedoch eine
eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder
durch
Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol (oder
andere
berauschende Mittel) zu konsumieren (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1
Hang 4, 5; BGH b. Detter NStZ 2003, 133, 138; Hanack in LK 11. Aufl.
§ 64 Rdn. 40 jew. m.w.N.) Für all dies fehlen jedoch
Anhaltspunkte.
c) Hinzukommen müßte außerdem,
daß der Angeklagte die Rauschmittel
„im Übermaß“ konsumiert. Dies
bedeutet, daß er sie in einem solchen
Umfang zu sich nimmt, daß seine Gesundheit, Arbeits- und
Leistungsfähigkeit
dadurch erheblich beeinträchtigt wird (BGH b. Detter aaO;
Körner
BtMG 5. Aufl. § 35 Rdn. 297; Hanack aaO Rdn. 44 m.w.N. in
Fußn. 12).
Die Strafkammer stellt demgegenüber ausdrücklich
fest, daß der Angeklagte
„gesund“ und „uneingeschränkt
arbeitsfähig“ ist.
d) Nach alledem ist für eine Unterbringung des Angeklagten in
einer Entziehungsanstalt
kein Raum. Gelegentliches Sich-Betrinken in Verbindung
mit Straffälligkeit im Rausch genügt hierfür
nicht (BGH, Beschluß
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vom 15. Oktober 1996 - 1 StR 591/96; BGHR StGB § 64 Abs. 1
Hang 1
m.w.N.).
4. Unter den hier gegebenen Umständen kann der Senat
ausschließen, daß
eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die ein
anderes Ergebnis
rechtfertigen würden. Er erkennt daher entsprechend §
354 Abs. 1
StPO auf den Wegfall der Unterbringungsanordnung (vgl. BGH,
Beschluß
vom 26. Februar 2003 - 1 StR 7/03; Meyer-Goßner StPO 46.
Aufl. § 354
Rdn. 32 m.w.N.).
III.
Trotz dieses Teilerfolges der Revision hält es der Senat nicht
für unbillig,
den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten zu belasten
(§ 473 Abs. 4
StPO). Es ist nämlich nicht erkennbar, daß der
Angeklagte das Urteil nicht angefochten
hätte, wenn von einer Unterbringung abgesehen worden
wäre ( BGH
aaO; BGH NStZ-RR 1998, 70 m.w.N.). Der Angeklagte hat die Tat in der
Hauptverhandlung bestritten. Mit seinen Verfahrensrügen hat er
unter anderem
geltend gemacht, sein früheres Geständnis sei
unverwertbar gewesen und die
Feststellung, daß eine Zeugin das Tatgeschehen beobachtet
hat, sei nicht
rechtsfehlerfrei getroffen worden.
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