BGH,
Beschl. v. 7.6.2000 - 3 StR 84/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 84/00
vom
7. Juni 2000
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2000
gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 9. August 1999 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer
Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und ein sichergestelltes
Handy eingezogen. Mit der Rüge der Verletzung formellen und
sachlichen Rechts wendet sich der Beschwerdeführer gegen seine
Verurteilung. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so
daß es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
I. Nach den Feststellungen gehörte der Angeklagte zu den
Hintermännern eines gescheiterten
Rauschgiftgeschäftes, bei dem 30 kg Heroin und 1 kg Kokain
für 670.000 DM an die polizeiliche Vertrauensperson B.
verkauft werden sollten. Nach deren Angaben kam es zu zahlreichen
Treffen, bei denen für die Verkäuferseite
unterschiedliche Personen tätig wurden. Der Angeklagte soll an
fünf solcher Treffen teilgenommen und dabei neben weiteren im
einzelnen dargestellten Handlungen die Vertrauenswürdigkeit
des Scheinaufkäufers B. überprüft und seine
Beteiligung an dem geplanten Geschäft mit zunächst 10
bis 12 kg, dann mit 8 kg Heroin angegeben haben.
II. Die Beweiswürdigung unterliegt durchgreifenden Bedenken.
Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der
Täterschaft des nicht vorbestraften, die Tat bestreitenden
Angeklagten auf die Angaben der Vertrauensperson, die diese
gegenüber ihrem Führungsbeamten KHK E. in einer
Vernehmung zwei Monate nach der Tat und in vier weiteren
Nachvernehmungen während der Zeit der Hauptverhandlung gemacht
und die dieser als Zeuge in der Hauptverhandlung wiedergegeben hat. Von
der Glaubwürdigkeit der Vertrauensperson konnte sich die
Strafkammer nicht unmittelbar selbst überzeugen, weil der
zuständige Innenminister eine Sperrerklärung
abgegeben hatte.
Das Urteil muß schon deshalb aufgehoben werden, weil der
Tatrichter bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der
Vertrauensperson einen rechtlich fehlerhaften Maßstab
angelegt hat. Die Strafkammer hat die bestreitende Einlassung des
Angeklagten als widerlegt angesehen durch die Angaben der
Vertrauensperson, die durch eine "Vielzahl von Kriterien"
gestützt würden und bei denen "sich im Laufe der
Hauptverhandlung in keinem einzigen Punkt das Gegenteil zu der
Darstellung der Vertrauensperson herausgestellt" habe (UA S. 22). In
den im Laufe der Hauptverhandlung erforderlich gewordenen
Nachvernehmungen, die "zu Modifikationen der Schilderung und ihrer
Ergänzung durch zahlreiche Details geführt" habe, sei
die Vertrauensperson "in keinem Punkt völlig von ihrer
ursprünglichen Aussage abgerückt" (UA S. 19). Die
Beweisaufnahme habe ergeben, daß die Angaben der
Vertrauensperson "nicht durch andere Beweismittel widerlegt worden"
seien (u.a. UA S. 23, 25), andere Beweismittel diesen ihren Angaben
nicht entgegenstehen (UA S. 26, 27) oder ihre Richtigkeit in Frage
stellten (UA S. 32). Damit ist den Anforderungen der Rechtsprechung an
die Glaubwürdigkeitsüberprüfung einer
Vertrauensperson nicht Genüge getan.
1. Zwar werden die Angaben der Vertrauensperson teilweise durch andere
Beweismittel gestützt. Diese anderen Beweismittel betreffen
jedoch nicht die Tatbeteiligung des Angeklagten, sondern Mitangeklagte
und andere anderweitig verfolgte Tatverdächtige, die, so die
früheren Mitangeklagten H. und Ha. , in Abrede gestellt haben,
den Angeklagten zu kennen, oder bei denen dahinstehen könne
(UA S. 31), ob sie den Angeklagten persönlich kennengelernt
hätten.
Damit fehlt es an Beweismitteln, die die Aussage der Vertrauensperson
einerseits in bezug auf seine Wahrnehmungen von der Tatbeteiligung des
Angeklagten, andererseits von der Zugehörigkeit des
Angeklagten zur Personengruppe der Verkäuferseite
bestätigen.
2. In dieser besonderen Beweissituation darf die Strafkammer sich bei
der Bildung ihrer Überzeugung von der Täterschaft des
Angeklagten nicht darauf beschränken, festzustellen und im
einzelnen zu begründen, daß und warum sie die
Angaben der Vertrauensperson durch die Beweisaufnahme nicht
für widerlegt erachtet. Vielmehr muß sie
nachprüfbar darlegen, daß die nach ihrer Beurteilung
glaubwürdigen Angaben der Vertrauensperson durch ein oder
mehrere andere Beweismittel, die auf eine Tatbeteiligung des
Angeklagten hinweisen, ihre Bestätigung finden. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei der Beurteilung der
Aussage eines Zeugen vom Hörensagen besondere Vorsicht
geboten. Handelt es sich bei den von dem
Vetrauensperson-Führer bezeugten Angaben um diejenigen eines
anonymen Gewährsmanns, so darf darauf eine Feststellung
regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn
diese Angaben durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt
worden sind (BGHSt 42, 15, 25; 39, 141, 145 f.; 36, 159, 166 ff.;
BVerfG NStZ 1995, 600 - jew. m. w. Nachw.).
III. Darüber hinaus leidet das Urteil an einem durchgreifenden
Darstellungsmangel.
Das Urteil teilt nachvollziehbar mit, daß im Laufe der
Hauptverhandlung Nachvernehmungen der Vertrauensperson erfolgen
mußten, weil die Vertrauensperson bei ihrer
Ursprungsvernehmung nicht wissen konnte, welche Punkte des sehr
umfangreichen Sachverhalts, den sie schilderte, besondere Wichtigkeit
erlangen könnten (UA S. 18). Im Anschluß daran
heißt es: "Dies hat zu Modifikationen der Schilderung und
ihrer Ergänzung durch zahlreiche weitere Details
geführt, jedenfalls ist die Vertrauensperson in keinem Punkt
völlig von ihrer ursprünglichen Aussage
abgerückt" (UA S. 19). Sodann nimmt das Landgericht eine
umfangreiche Beweiswürdigung vor, ohne indes deutlich zu
machen, inwieweit es sich dabei um Modifikationen oder
Ergänzungen handelte und welche Beweistatsache gemeint war,
bei der die Vertrauensperson nicht völlig von ihrer
ursprünglichen Aussage abgerückt ist. In diesem
Zusammenhang verweist der Senat auf die in BGHSt 36, 159, 166, 167
niedergelegten Grundsätze. Angesichts der dargelegten
Besonderheit der Beweisaufnahme kann das Revisionsgericht nicht
nachprüfen, ob das Landgericht die Beweise rechtsfehlerfrei
gewürdigt hat.
IV. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf
folgendes hin:
1. Die Revision rügt einen Verstoß gegen
§§ 249, 251 und 244 Abs. 2 StPO, weil der Vorsitzende
die Einführung von Teilen der Vernehmung der Vertrauensperson
im Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO angeordnet hat,
ohne - was sich aus der Sitzungsniederschrift auch nicht ergibt - zu
kontrollieren, ob die Schöffen von dem Inhalt dieser
Vernehmungsprotokolle auch tatsächlich Kenntnis genommen
haben. Damit liegt ein Verstoß gegen § 249 Abs. 2
StPO vor, weil der Vorsitzende feststellen muß, daß
die Richter und Schöffen vom Wortlaut der
Schriftstücke Kenntnis genommen haben. Diese Feststellung ist
gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO im Protokoll
zu vermerken. Dabei handelt es sich um eine wesentliche
Förmlichkeit im Sinne des § 273 StPO. Da schon die
Sachrüge durchgreift, kann der Senat die Frage offen lassen,
ob auf diesem Verfahrensverstoß das Urteil beruht.
2. Das Landgericht hat das Beweisbegehren auf Einholung eines
Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache,
daß es unmöglich ist, zwischen 21.07 Uhr und 23.58
Uhr am gleichen Abend die Strecke Neuss, Further Straße und
Frankfurt-Innenstadt und zurück mit einem schnellen Auto unter
optimalen Verkehrsbedingungen zurückzulegen, als Beweisantrag
behandelt und diesen als ohne Bedeutung zurückgewiesen, da
keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vorlägen,
daß das von der Vertrauensperson geschilderte Treffen in
Frankfurt Innenstadt stattgefunden habe (Verfahrensrüge Nr.
17). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner
Antragsschrift fehlt es bei diesem Antrag nicht schon an der
erforderlichen Konnexität zwischen Beweismittel und
Beweisbehauptung (vgl. dazu BGHSt 43, 321, 329 f. m.w.Nachw.), da dem
Antrag entnommen werden kann, daß durch das Beweismittel
bewiesen werden sollte, daß der Angeklagte in dem angegebenen
Zeitraum nicht an einem Treffen in Frankfurt teilgenommen haben konnte.
Entsprechendes gilt für die Verfahrensrügen Nr. 18
und 19.
3. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Generalbundesanwalts,
daß die Verfahrensrügen Nr. 24 bis 29 - in denen die
Nichtverwertung aufgezeichneter und in der Hauptverhandlung
abgehörter Telefongespräche zwischen dem Angeklagten
und der Vertrauensperson, aufgezeichnete und als Urkunden verlesene
Telefonate und als Urkunden verlesene Aussagen der Vertrauensperson
beanstandet wird - keine verfahrensrechtlichen
Verstöße belegen, sondern im Rahmen der
Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen
Sachrüge berücksichtigt werden müssen. Denn
dem Revisionsführer darf nicht die Möglichkeit
genommen werden, sein Rechtsmittel auf Verfahrensvorgänge zu
stützen, die in den Urteilsgründen nicht behandelt
werden.
4. Der Strafausspruch begegnet ebenfalls Bedenken. Die angesichts der
gegen den nicht vorbestraften Angeklagten verhängten
Freiheitsstrafe von neun Jahren sehr knappen und meist formelhaften
Strafzumessungsgründe lassen nicht erkennen, ob der Tatrichter
alle wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden
Gesichtspunkte rechtsfehlerfrei gewürdigt und gegeneinander
abgewogen hat. Im vorliegenden Fall hätte zudem ein Eingehen
auf die Höhe der Strafen der Mitangeklagten nahegelegen, die
trotz erheblich gewichtigerer Tatbeiträge, insbesondere trotz
Fortführung des gescheiterten
Rauschgiftgeschäfts sowie weiterer Rauschgiftdelikte zu
erheblich niedrigeren Freiheitsstrafen verurteilt worden sind (vgl.
dazu BGHR StGB § 46 Zumessungsfehler 1; Wertungsfehler 23).
VRiBGH Kutzer ist krank RiBGH Dr. Rissing-van Saan ist Miebach
und kann daher nicht in Urlaub und kann daher nicht
unterschreiben. unterschreiben.
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