BGH,
Beschl. v. 8.8.2002 - 3 StR 239/02
3 StR 239/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
8. August 2002
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8.
August 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 15. März 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil er im Zustand erheblich
verminderter, möglicherweise sogar ausgeschlossener
Schuldfähigkeit einen anderen mittels einer Axt zu verletzen
versucht hatte. Hiergegen richtet sich die Revision des Beschuldigten.
Sie hat mit der allgemeinen Sachbeschwerde Erfolg.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nicht
zulässig, wenn der Täter mit strafbefreiender Wirkung
vom Versuch der rechtswidrigen Tat zurückgetreten ist (BGHSt
31, 132, 134). Das Landgericht hat nicht erkennbar geprüft, ob
der Beschuldigte von der weiteren Tatausführung freiwillig
zurückgetreten ist, obwohl sich eine ausdrückliche
Erörterung im Urteil aufgedrängt hätte.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Beschuldigte,
verärgert über die Geräusche aus der
benachbart gelegenen Wohnung des Zeugen L. , mit einer Axt zuerst ein
Loch in dessen Wohnungstür geschlagen. Als der Zeuge daraufhin
die Tür öffnete, wurde er von dem Beschuldigten in
die Wohnung zurückgeschubst und kam dadurch zu Fall. Der
Beschuldigte führte nun einen Schlag mit der Axt auf den am
Boden liegenden Zeugen, mit dem er diesen zumindest verletzten wollte
und den er mit den Worten verband: "Mach leiser oder ich bringe Dich
um." Der Zeuge konnte sich wegrollen und so dem Schlag ausweichen. Nun
trat der Zeuge K. , der sich als Gast in der Wohnung aufgehalten hatte,
hinzu und schrie den Beschuldigten an, er solle aufhören. Der
Beschuldigte verließ daraufhin die Wohnung mit der Bemerkung,
daß er den Zeugen L. das nächste Mal umbringen werde.
Nach diesen Feststellungen liegt es fern, daß der geistig
behinderte Beschuldigte nach der letzten von ihm vorgenommenen
Ausführungshandlung einen Körperverletzungserfolg
für möglich gehalten hätte (zum insoweit
maßgeblichen "Rücktrittshorizont"; vgl. nur BGHSt
39, 221, 227; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 24
Rdn. 14 ff.). Dem Urteil ist auch nicht zu entnehmen, daß dem
Beschuldigten nach dem Hinzutreten des Zeugen K. ein erneuter Axthieb
nicht mehr möglich gewesen wäre, und ein
Rücktritt vom Versuch wegen dessen Fehlschlags (vgl. hierzu
BGHSt 39, 221, 228, 232; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 6 ff.) nicht
mehr in Betracht gekommen ist. Zuletzt war eine Erörterung des
Rücktritts auch nicht deshalb entbehrlich, weil dem
Beschuldigten sein außertatbestandliches Handlungsziel, die
Verhinderung zukünftigen ruhestörenden Lärms
durch den Zeugen L. , möglicherweise schon erreicht schien,
denn dies würde einen strafbefreienden Rücktritt
nicht ausschließen (vgl. BGHSt 39, 221, 231; BGHR StGB
§ 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 23).
2. Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis kommen, daß der
Beschuldigte vom Versuch der gefährlichen
Körperverletzung zurückgetreten ist, so wird er das
Verhalten des Beschuldigten nach Wiedereinbeziehung ausgeschiedener
Gesetzesverletzungen (§ 154 a Abs. 3 StPO) unter dem
Gesichtspunkt der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs und
der (u. U. nur versuchten) Nötigung bzw. der Bedrohung zu
würdigen haben. Dabei wird der Umstand, daß der
Beschuldigte auf den Zeugen mit einer Axt eingedrungen ist, als solcher
bei der Würdigung des Geschehens im Hinblick auf eine
Gefährlichkeit des Beschuldigten auch dann nicht ausgeblendet
werden müssen, wenn ein Rücktritt festgestellt worden
ist, jedoch wiederum zu beachten sein, daß der Beschuldigte
von seinem Versuch der gefährlichen Körperverletzung
abgelassen hat.
Es könnte sich im Hinblick auf den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB)
auch als sachgerecht erweisen, den Vorfall vom Dezember 2000, als der
Beschuldigte aus ähnlichem Anlaß mit laufender
Kettensäge vor der Tür des Zeugen L. stand, in das
Verfahren einzubeziehen.
3. Auf die Rüge, die Strafkammer habe ein gegen den
Sachverständigen gerichtetes Befangenheitsgesuch zu Unrecht
abgelehnt, kommt es nicht mehr an. Sie hätte der Revision auch
nicht zum Erfolg verholfen, gibt dem Senat jedoch Anlaß zu
folgender Bemerkung:
Der Sachverständige, ein Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie, war mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der
Schuldfähigkeit sowie der Gefährlichkeit des
Beschuldigten beauftragt worden. Die von dem Verteidiger begehrte
Anwesenheit bei der Exploration lehnte der Gutachter ab, so
daß der Beschuldigte lediglich im Rahmen der Hauptverhandlung
begutachtet werden konnte.
Die fachliche Durchführung der Untersuchung ist allein Sache
des Sachverständigen; er hat hinsichtlich der
Informationsbeschaffung und der Methodenwahl weitgehend freie Hand. Das
Gericht darf ihm keine Weisungen darüber erteilen, auf welchem
Weg er das Gutachten zu erarbeiten hat
(Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 78 Rdn.
6 m. w. N.). Wenn es der Sachverständige für
erforderlich hielt, die psychiatrische Untersuchung des Beschuldigten
in Abwesenheit dritter Personen, insbesondere des Verteidigers,
vorzunehmen, weil er die Verfälschung des Ergebnisses der
Exploration befürchtete, bewegte er sich im Bereich seiner
Fachkompetenz. Es gibt keinen wissenschaftlichen Standard, der die
Anwesenheit Dritter bei Schuldfähigkeits- und
Prognosegutachten vorsieht.
Das Recht des Beschuldigten, sich in jeder Lage des Verfahrens
anwaltlicher Hilfe zu bedienen, führt entgegen der Ansicht der
Revision nicht zu einem Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der
Exploration. Die Strafprozeßordnung sieht ein solches
Anwesenheitsrecht nicht vor. Auch wenn die Exploration unter
Umständen in Abhängigkeit von dem Gutachtenauftrag
vernehmungsähnliche Elemente haben kann, ist sie mit den
Vernehmungen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht nicht
gleichzusetzen.
Die Anwesenheit des Verteidigers ist auch nicht erforderlich, um
sicherzustellen, daß die Begutachtung den medizinischen
Standards (vgl. dazu Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 277
ff.) und der Strafprozeßordnung (insbesondere der Grenze
eigener Aufklärungsmöglichkeiten des Gutachters, vgl.
hierzu Rogall in SK-StPO 26. Lfg. § 80 Rdn. 17) entspricht.
Wenn der Beschuldigte sich gleichwohl nur in Anwesenheit seines
Verteidigers untersuchen lassen will und damit die Untersuchung in der
vom Sachverständigen für erforderlich gehaltenen Art
verweigert, muß er in den Fällen, in denen - wie
hier - die Untersuchung ihrer Art nach die freiwillige Mitwirkung des
Beschuldigten voraussetzt, damit rechnen, daß seine
Begutachtung ggf. nur auf einer schmaleren Basis von Befunden erfolgen
wird (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl.
§ 246 a Rdn. 3; Herdegen in KK 4. Aufl. § 246 a Rdn.
3).
Winkler Pfister von Lienen
RiBGH Becker ist wegen Urlaubs gehindert seine Unterschrift
beizufügen.
Winkler Hubert
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