BGH,
Beschl. v. 8.1.2004 - 4 StR 147/03
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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StGB §§ 63, 66, 323 a
Bei einer Verurteilung nach § 323 a StGB kommt die Anordnung
der Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus trotz uneingeschränkt
schuldhaften
Sichberauschens jedenfalls dann in Betracht, wenn der Täter
andernfalls in
der Sicherungsverwahrung untergebracht werden müßte.
BGH, Beschluß vom 8.01.2004 - 4 StR 147/03 - Landgericht
Bielefeld
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 147/03
vom
8.01.2004
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Vollrausches
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8.01.2004
gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Bielefeld vom 20. Dezember 2002 im
Maßregelausspruch
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen
Vollrausches
zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt
und seine
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet
sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung
materiellen
Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum
Maßregelausspruch Erfolg; im übrigen
ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen mißhandelte der Angeklagte in
alkoholisiertem
Zustand (Tatzeit-BAK: 4,02 ‰) einen Zechgenossen durch
Schläge mit der
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Faust und mit einer Taschenlampe sowie durch Fußtritte, so
daß dieser u.a.
ein Schädelhirntrauma und mehrere Gesichtsfrakturen erlitt.
2. Die sachverständig beratene Strafkammer geht -
rechtsfehlerfrei - davon
aus, daß der Angeklagte bei Trinkbeginn (im Zeitpunkt des
"Sichberauschens")
voll schuldfähig war. Die Rauschtat (gefährliche
Körperverletzung)
habe er im Zustand erheblich verminderter, möglicherweise
völlig aufgehobener
Steuerungsfähigkeit begangen.
Das Landgericht hat weiter festgestellt, daß beim Angeklagten
eine dissoziale
Persönlichkeitsstörung vorliegt. Er ist seit
Jahrzehnten alkoholabhängig.
Im Bundeszentralregister befinden sich für ihn 23
Eintragungen; die diesen
zugrundeliegenden Straftaten beging der Angeklagte, soweit sie
gewichtig waren,
stets unter Alkoholeinfluß. Mehrjährige
Unterbringungen in einer Entziehungsanstalt
waren ohne Erfolg.
3. Die Strafkammer hat die Unterbringung des Angeklagten in der
Sicherungsverwahrung
gemäß § 66 Abs. 1 StGB, dessen
Voraussetzungen vorliegen,
angeordnet. Seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§
64 StGB)
hat sie ohne Rechtsfehler abgelehnt, weil diese keine Aussicht auf
Erfolg verspricht.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63
StGB)
hat das Landgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des 5.
Strafsenats
des Bundesgerichtshofs (Beschluß vom 18. Mai 1995 - 5 StR
239/95 = NStZ
1996, 41) mit der Begründung abgelehnt, diese komme nur dann
in Betracht,
wenn die Tat, d.h. das Sichberauschen, im Zustand der
Schuldunfähigkeit oder
der verminderten Schuldfähigkeit begangen wurde, was hier aber
nicht der Fall
gewesen sei.
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4. Die Maßregelanordnung kann nicht bestehen bleiben.
Die Annahme des Landgerichts, die Anordnung der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB scheide aus
Rechtsgründen
aus, hält der Nachprüfung nicht stand.
Zu Recht macht die Revision geltend, daß die
Sicherungsverwahrung
als "ultima ratio" (vgl. BGH NStZ 2002, 533, 534) erst dann
hätte angeordnet
werden dürfen, wenn § 63 StGB nicht anwendbar
wäre. Hätte das Landgericht
bei der Maßregelentscheidung auf die Rauschtat -
gefährliche Körperverletzung
- abgestellt, so wäre die Eingangsvoraussetzung des §
63 StGB - die sichere
Feststellung zumindest verminderter Schuldfähigkeit
(§ 21 StGB) - erfüllt
gewesen. Da dem Angeklagten kein Nachteil daraus erwachsen darf,
daß er
nicht wegen der Rauschtat, sondern (weil seine
Steuerungsfähigkeit möglicherweise
aufgehoben war) in Anwendung des Zweifelssatzes wegen Vollrausches
verurteilt wurde (vgl. BGH NStZ 1993, 81, 82; StV 1997, 18),
hätte das
Landgericht - in erneuter Anwendung des Zweifelssatzes (diesmal zum
Rechtsfolgenausspruch) - die Voraussetzungen des § 63 StGB
prüfen (zur
Anwendung des § 63 StGB beim Zusammenwirken von
Persönlichkeitsstörung
und Alkoholabhängigkeit vgl. BGHSt 44, 338 ff.;
Tröndle/Fischer, StGB 51.
Aufl. § 63 Rdn. 2 f. m.w.N.) und nach § 72 Abs. 1
StGB der Maßregel den Vorzug
geben müssen, die den Angeklagten am wenigsten beschwert (vgl.
BGHR
StGB § 63 Konkurrenzen 3; s. hierzu auch BGHR StGB §
72 Sicherungszweck
1, 4, 6).
5. Der Senat hat bei den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs
angefragt, ob der Entscheidung des 5. Strafsenats vom 18. Mai 1995 (=
NStZ
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1996, 41), der sich der 1. Strafsenat (Beschluß vom 16.
Dezember 1997
- 1 StR 735/97), der 2. Strafsenat (u.a. Beschluß vom 26.
Juni 1996 - 2 StR
244/96 = NStZ-RR 1997, 102) und auch der erkennende Senat
(Beschluß vom
4. Februar 1997 - 4 StR 655/96 = NStZ-RR 1997, 299, 300) angeschlossen
haben, der Grundsatz zu entnehmen ist, daß bei einer
Verurteilung wegen Vollrausches
eine Unterbringung nach § 63 StGB nur in Betracht kommt, wenn
der
Angeklagte das Vergehen nach § 323 a StGB - die
Alkoholaufnahme - im Zustand
erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen hat,
daß somit für die
Unterbringungsanordnung die Schuldfähigkeitsbeurteilung im
Hinblick auf die
Rauschtat ohne Bedeutung ist. Dem hätte der Senat -
für eine Fallgestaltung
wie hier - nicht folgen können. In seinem
Anfragebeschluß vom 5.08.2003
hat er vielmehr grundsätzliche Bedenken geltend gemacht, ob an
der Rechtsprechung
festzuhalten ist, daß bei § 323 a StGB
Anknüpfungspunkt der für die
Anordnung nach § 63 StGB vorausgesetzten sicheren Feststellung
des § 21
StGB (allein) das "Sichberauschen" - die Alkoholaufnahme - und
"rechtswidrige
Tat" im Sinne des § 63 StGB nicht auch die Rauschtat ist. Die
anderen Strafsenate
haben hierzu nicht abschließend Stellung genommen; sie sind
jedoch
der beabsichtigten - auf die doppelte Anwendung des Zweifelssatzes
gestützten
- Entscheidung des Senats nicht entgegengetreten.
6. Der Maßregelausspruch ist daher mit den
zugehörigen Feststellungen
aufzuheben. Hierdurch wird der Strafausspruch nicht berührt,
weil auszuschließen
ist, daß das Landgericht eine mildere Strafe
verhängt hätte, wenn es
statt
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der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hätte.
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Ernemann
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