BGH,
Beschl. v. 9.1.2002 - 5 StR 543/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 StR 543/01
vom
9. Januar 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
3.
wegen Raubes mit Todesfolge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 9. Januar 2002
beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Potsdam vom 28. März 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO
aufgehoben
a) gegen die Angeklagten J und M C jeweils im gesamten
Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen,
b) gegen den Angeklagten W im Ausspruch über die Höhe
der Jugendstrafe sowie mit den zugehörigen Feststellungen,
soweit die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
unterblieben ist.
2. Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO
als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten des (gemeinschaftlichen) Raubes mit
Todesfolge für schuldig befunden und gegen die Angeklagten J
und M C jeweils zwölf Jahre Freiheitsstrafe, gegen den
Angeklagten W acht Jahre Jugendstrafe verhängt; eine
Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist
bei allen Angeklagten unterblieben.
Die Revisionen der Angeklagten sind zum Schuldspruch, beim Angeklagten
W auch zur Entscheidung über die Verhängung von
Jugendstrafe unbegründet gemäß §
349 Abs. 2 StPO. Im übrigen haben die Rechtsmittel jeweils mit
der Sachrüge zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg.
1. Alle drei Angeklagten pflegen seit ihrer Jugend unkritischen, teils
massiven Umgang mit Alkohol. Vor der in den Abendstunden begangenen Tat
hatten sie alle tagsüber Alkohol konsumiert. Gemeinsam begaben
sie sich in ein Obdachlosenheim, gingen gewalttätig gegen
dortige Bewohner vor, entwendeten ihnen dabei auch Bier, das sie
tranken, und raubten schließlich einem Obdachlosen die
Barschaft in Höhe von 140 DM. Bevor sie den Tatort
verließen, brachte mindestens einer von ihnen mit Billigung
der anderen dem zuvor schon mißhandelten Opfer massive Tritte
oder Schläge gegen den Kopf bei, an deren Folgen das Opfer
später verstarb. Einen erheblichen Teil der Beute vertranken
sie anschließend in einer Gaststätte.
2. Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei. Die ihn tragenden
Feststellungen beruhen auf einer insgesamt noch ausreichend
ausgeführten Beweiswürdigung. Danach gingen die
Angeklagten einverständlich ohne nähere Absprache
gemeinsam mit körperlicher Gewalt, die in wechselnder Abfolge
und in unterschiedlicher Art, Intensität und Zielrichtung von
jedem einzelnen eingesetzt, in Art und Ausmaß von den
Mittätern nicht kontrolliert, aber wahrgenommen und insgesamt
gebilligt wurde, gegen Insassen des Obdachlosenheimes vor; Gewalt und
Drohungen setzten sie dabei auch zur Durchsetzung der Wegnahme von Geld
und anderen Gegenständen aus der Habe ihrer Opfer ein. Das
Landgericht hat die Verfolgung sachgerecht auf den nach den
Grundsätzen von BGHSt 38, 295 fraglos erfüllten
Verbrechenstatbestand des gemeinschaftlichen Raubes mit Todesfolge zum
Nachteil des Obdachlosen beschränkt, der, wie insbesondere
durch den Obduktionsbefund und durch das beobachtete Verletzungsbild
unmittelbar nach der Tat hinreichend belegt ist, infolge der
Gewalthandlungen verstorben ist. Dabei durfte den Angeklagten ihr
gesamtes gewalttätiges Verhalten im Zusammenhang mit dieser
Tat, auch zum Nachteil anderer Obdachloser, bei der Strafzumessung
angelastet werden.
3. Hingegen hält der Rechtsfolgenausspruch - bei dem
Angeklagten W teilweise, bei den beiden anderen Angeklagten insgesamt -
sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat lediglich bei dem Angeklagten W unbedenklich die
Voraussetzungen des § 21 StGB wegen nicht ausgeschlossener
erheblicher alkoholbedingter Verminderung seiner
Steuerungsfähigkeit zugrundegelegt. Obgleich sich das
Landgericht hierfür bei den beiden anderen Angeklagten nicht
an ihren rechtsfehlerfrei als unzuverlässig gewerteten
Trinkmengenangaben orientieren mußte, ist die - wenngleich im
Einklang mit dem psychiatrischen Sachverständigen erfolgte -
Ablehnung der Voraussetzungen für eine entsprechende
Schuldminderung bei ihnen nicht tragfähig begründet.
Zumal vor dem Hintergrund ihrer festgestellten Trinkgewohnheiten und
eines längeren nicht unerheblichen Alkoholkonsums vor
Tatbegehung sowie unter Berücksichtigung aller festgestellten
Tat- und Begleitumstände, die insgesamt eine starke
alkoholbedingte Enthemmung aller Mittäter nahelegen, weisen
die herangezogenen Elemente des Leistungsverhaltens der Angeklagten J
und M C - die allerdings ausreichten, bei ihnen, nicht anders als bei
dem Mitangeklagten W , einen Vollrausch auszuschließen - zu
wenig Differenziertheit auf, um ein insoweit intaktes
Hemmungsvermögen ausreichend belegen zu können. Das
Erinnerungsvermögen ist angesichts der
verhältnismäßig dürftigen von den
Angeklagten angegebenen Umstände gleichermaßen wenig
aussagestark. Bei dieser Sachlage war auch der Beobachtung und
Beurteilung der alkoholbedingten Beeinträchtigung der
Angeklagten durch zwei Zeuginnen nach der Tat - und damit
möglicherweise nach gewisser aufgrund wahrgenommener Tatfolgen
eingetretener Ernüchterung - nicht zuzubilligen.
Es liegt freilich denkbar nahe, daß bei dem Angeklagten J C
im Blick auf seine einschlägige Vorverurteilung eine
Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
nicht in Betracht gekommen wäre. Gleichwohl
läßt sich jedenfalls nicht sicher
ausschließen, daß der Tatrichter die
Freiheitsstrafe auch gegen ihn bei Zugrundelegung erheblich
verminderter Schuldfähigkeit geringer bemessen hätte.
b) Der Angeklagte W wird durch die Anwendung von Jugendstrafrecht nicht
beschwert.
Bei ihm begegnet die Verneinung eines symptomatischen Zusammenhanges
zwischen der Tatbegehung und einem als möglich angesehenen
Hang im Sinne des § 64 StGB durchgreifenden Bedenken. Eine
dissoziale Persönlichkeitsstruktur, die ihn an der von
Gruppendynamik geprägten brutalen Tat zum Nachteil sozial noch
Schwächerer mitwirken ließ, steht mit seinem
systematischen Alkoholmißbrauch ersichtlich in engem
Zusammenhang, dieser ist für sein besonders kritikloses
Verhalten ebenso offensichtlich gleichermaßen
ursächlich (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang,
symptomatischer 1 und 2). Das Gewicht der von den dargestellten
dissozialen Lebensumständen des Angeklagten geprägten
schweren Tat indiziert eine spezifische Wiederholungsgefahr (vgl. BGHR
StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 7). Wenn das
Landgericht meinte, eine solche Gefahr unter Hinweis auf einen "aus der
Gruppensituation" folgenden "episodenhaften Charakter" der Tat
verneinen zu können, ist dies für den Senat nicht
nachvollziehbar.
Es läßt sich nicht ausschließen,
daß sich eine Maßregel der Unterbringung des
Angeklagten W in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB
i.V.m. § 105 Abs. 1, § 7 JGG auf die nach dem
Erziehungsbedarf vorzunehmende Bemessung der gegen ihn zweifelsfrei zu
verhängenden Jugendstrafe mildernd hätte auswirken
können. Deren Höhe kann allein deshalb keinen Bestand
haben. Insoweit bedarf es allerdings nicht der Aufhebung von
Urteilsfeststellungen. Der neue Tatrichter hat die Höhe der
Jugendstrafe auf der Grundlage der hierzu bisher getroffenen
Feststellungen - insbesondere auch zur erheblich verminderten
Schuldfähigkeit - unter Berücksichtigung im
Zusammenhang mit § 64 StGB gefundener neuer Erkenntnisse zu
bemessen. Im übrigen kann er lediglich ergänzende,
den bisherigen nicht widersprechende Feststellungen -
möglicherweise auch zu Vorbelastungen des Angeklagten W -
treffen.
c) Auch bei dem Angeklagten M C wird der neue Tatrichter
nähere Feststellungen zu Vorbelastungen zu treffen haben, wenn
auch er sie wegen Mißachtung der von ihnen ausgehenden
Warnfunktion strafschärfend berücksichtigen will.
Bei ihm wie bei dem Angeklagten J C hat das Landgericht für
die Nichtanordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB auf die
rechtsfehlerhafte Begründung der Entscheidung bei dem
Angeklagten W Bezug genommen. Auch insoweit ist der
Rechtsfolgenausspruch gegen die Angeklagten M und J C zu beanstanden.
Der neue Tatrichter wird daher bei allen Angeklagten mit Hilfe eines
Sachverständigen (§ 246a StGB) die Voraussetzungen
des § 64 StGB zu klären haben, bei den Angeklagten J
und M C nach Klärung der - bei W feststehenden -
Voraussetzungen des § 21 StGB, deren es indes für
eine solche Maßregel nicht einmal notwendig bedarf (vgl. BGHR
StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1).
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum |