BGH,
Urt. v. 1.12.2005 - 3 StR 243/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 243/05
vom 1.12.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
1.12.2005, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler, Pfister, von Lienen, Hubert als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt:
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Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg
vom 15. Februar 2005 wird verworfen. Die Beschwerdeführerin
hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die den Nebenklägern
dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen
Gründe: Das Landgericht hat gegen die Angeklagte Ariane G.
eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und gegen den
Mitangeklagten F. eine lebenslange Freiheitsstrafe jeweils wegen Mordes
verhängt. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten
ist - wie der Revisionsbegründung zu entnehmen ist - auf den
Strafausspruch beschränkt. Sie hat keinen Erfolg. 1 I. Nach
den Feststellungen des Landgerichts war die Ehe der Angeklagten mit
Alfredo G. , dem späteren Tatopfer, von Tätlichkeiten
und Demütigungen durch den ihr körperlich weit
überlegenen Mann geprägt. Zu Beginn des Jahres 2004
unternahm die Angeklagte einen Selbsttötungsversuch mit
Rattengift. Im Frühjahr 2004 entwickelte sich ein
Liebesverhältnis zwischen ihr und dem Mitangeklagten F. ,
einem Mitarbeiter in der von den Eheleuten G. gemeinsam betriebenen
Eisdiele. Der Ehemann schöpfte alsbald Verdacht und es kam zu
vermehrten, zunehmend heftigeren Tätlichkeiten. Dabei drohte
er, sich eine Pistole zu besorgen und "uns alle umzubringen", falls er
herausfinde, 2
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dass ein Verhältnis bestünde. Die Angeklagte sah sich
vor die Alternative gestellt, "ich oder er", und entschloss sich Ende
Mai 2004, ihren Mann zu ihrem eigenen Schutz zu töten, da sie
subjektiv keine andere Möglichkeit gesehen habe, ihrer Ehe zu
entfliehen. In der Folgezeit kam es zunächst zu drei
erfolglosen Mordversuchen. In den ersten beiden Fällen setzte
sie ihm mit Rattengift versetzte Speisen vor. Da eine Wirkung ausblieb,
bat sie den Mitangeklagten F. , Fingerhutpflanzen zu sammeln. Dieser
hat ihr jedoch - "unwiderlegt" - nur harmloses Pflanzenmaterial
gegeben, das sie für giftig hielt. Auch die damit zubereitete
Speise verzehrte Alfredo G. folgenlos. Nachdem sich die Sorge der
Angeklagten verstärkt hatte, ihr Ehemann könne
Beweise für die Liebesbeziehung finden, entschloss sie sich,
von weiteren Vergiftungsversuchen abzusehen und den Tod durch eine
Schusswaffe herbeizuführen. Der Mitangeklagte F. besorgte
einen Revolver und erschoss am 8. August 2004 nach einem gemeinsamen
Tatplan auf der Rückfahrt von der Arbeitsstelle in dem von der
Angeklagten geführten PKW von der Rückbank aus deren
vor ihm sitzenden, arglosen Ehemann. Die Strafkammer hat einen
gemeinschaftlich begangenen Heimtückemord angenommen. Die
Voraussetzungen eines entschuldigenden Notstandes nach § 35
Abs. 1 StGB hat sie verneint, da die vom Ehemann ausgehende Gefahr
für Leib oder Leben anders abwendbar gewesen sei. Sie
hätte polizeiliche oder gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen
oder Zuflucht etwa in einem Frauenhaus suchen können.
Allerdings habe die Angeklagte subjektiv nicht erkannt, dass sie die
Gefahr auf diese Weise hätte abwenden können; ihr
Irrtum sei aber vermeidbar gewesen, weshalb eine Strafmilderung nach
§ 35 Abs. 2 StGB ausscheide. Jedoch lägen
außergewöhnliche Umstände vor, die eine
Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB unter Anwendung der sog.
Rechtsfolgenlösung (BGHSt 30, 105) rechtfertigen
würden. 3
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II. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg. 4 1. Es kann offen
bleiben, ob die Annahme eines Putativnotstandes einer rechtlichen
Nachprüfung standhalten könnte, da die Angeklagte
hierdurch nicht beschwert wird. Allerdings weist die auf dieser
Grundlage vorgenommene Strafrahmenwahl einen Rechtsfehler auf, der sich
regelmäßig zu Gunsten eines Angeklagten auswirkt: 5
Da die Strafkammer einen vermeidbaren Putativnotstand angenommen hat,
hätte sie nach der zwingenden gesetzlichen Regelung des
§ 35 Abs. 2 Satz 2 StGB die Strafe bereits aus diesem Grunde
nach § 49 Abs. 1 StGB mindern müssen. Dieser Fehler
wird nicht dadurch ausgeglichen, dass sie stattdessen eine
Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB in
entsprechender Anwendung der sog. Rechtsfolgenlösung (BGHSt
30, 105) vorgenommen hat und damit vom gleichen Strafrahmen ausgegangen
ist. Denn die Bestimmung der Strafe aus dem erstgenannten
Strafmilderungsgrund wird regelmäßig zu einem dem
Angeklagten günstigeren Ergebnis führen, da die
sonstigen für ihn sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte
innerhalb des gemilderten Strafrahmens mit höherem Gewicht zu
Buche schlagen, während sie bei der Anwendung der sog.
Rechtsfolgenlösung in die der Strafrahmenmilderung zugrunde
liegende Gesamtabwägung einfließen und sodann bei
der konkreten Strafzumessung nicht mehr allzu gewichtig
berücksichtigt werden können (BGHSt 48, 255, 263). 6
2. Gleichwohl bedarf es einer Aufhebung des Urteils zur neuerlichen
Prüfung der Straffrage nicht. Auch auf der Grundlage einer
Strafrahmenverschiebung wegen eines vermeidbaren Putativnotstandes nach
§ 35 Abs. 2 Satz 2 StGB ist die verhängte
Freiheitsstrafe von 12 Jahren schuldangemessen im 7
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Sinne des § 354 Abs. 1 a StPO. Dabei wird ausgehend von den
Feststellungen des Landgerichts berücksichtigt, dass die Tat
neben der von zahlreichen Demütigungen, Drohungen und
Tätlichkeiten gekennzeichneten Vorgeschichte wesentlich auch
dadurch geprägt wird, dass der Tötungsentschluss erst
nach einer Zuspitzung der Situation gefasst wurde, nachdem die
Angeklagte mit dem Mitangeklagten F. ein ehewidriges
Liebesverhältnis aufgenommen hatte und befürchtete,
ihr Ehemann könne Beweise dafür finden und
entsprechend gewalttätig reagieren. Zudem waren der
eigentlichen Tötung durch Erschießen drei
Mordversuche vorausgegangen, wobei sich das Geschehen vom
Tötungsentschluss bis zur endgültigen Beseitigung des
Ehemannes über etwa drei Monate erstreckte. Es kommt
erschwerend hinzu, dass die Angeklagte die Mitangeklagten, ihren
Liebhaber Siegfried F. , dessen Ehefrau Rahime F. und die
Betriebsangehörige E. in das verbrecherische Handeln
verstrickte und der Gefahr erheblicher Strafverfolgung aussetzte. Im
Übrigen wird der Strafmilderungsgrund des Putativnotstandes
nicht unerheblich durch den Umstand relativiert, dass der Irrtum der
Angeklagten, sein Vorhandensein unterstellt, in Anbetracht der langen
Überlegungszeit und der offenkundigen Abwendbarkeit der Gefahr
bei nur geringer Anstrengung vermeidbar gewesen wäre, wobei
die Angeklagte zudem die Versuche der Mitangeklagten E. , sie von ihrem
Tatplan abzubringen, missachtete. III. Das Verfahren gibt dem Senat
Anlass zu folgenden Hinweisen: 8 1. Die Annahme einer
natürlichen Handlungseinheit, die sowohl die drei
Vergiftungsversuche als auch die Erschießung umfasst, ist
rechtlich bedenklich. Die Einheitlichkeit des Zieles vermag jeweils
selbständige Taten, bei denen es erst dann zu einer Folgetat
gekommen ist, nachdem der vorhergehende Versuch endgültig
gescheitert war, nicht zu einer Tat zu verbinden (vgl. BGHSt 41, 9
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368 f.). Auch erscheint es fraglich, ob bei dem sich über etwa
drei Monate erstreckenden Gesamtgeschehen noch von einem engen
zeitlichen und räumlichen Zusammenhang gesprochen werden kann.
2. Soweit das Landgericht beim dritten Vergiftungsversuch als
"unwiderlegbar" davon ausgegangen ist, es habe sich
tatsächlich nicht um giftige Fingerhutpflanzen, sondern um
harmlose Kräuter gehandelt, ist darauf hinzuweisen, dass der
Tatrichter sich auch bei entlastenden Angaben eines Angeklagten eine
Überzeugung von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit aufgrund
des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden hat. Er darf
solche Angaben, für deren Richtigkeit keine zureichenden
Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht
ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen und seiner Entscheidung
zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine
unmittelbaren Beweise gibt (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO §
261 Einlassung 6 und Überzeugungsbildung 29; BGH NStZ 2002,
48). 10 3. Die Annahme eines Irrtums der Angeklagten über das
Vorliegen eines Notstands im Sinne des § 35 Abs. 1 StGB ist
nicht ausreichend begründet: 11 a) Es ist bereits fraglich, ob
auch in einem Fall wie hier eine gegenwärtige Gefahr, wie sie
die Notstandsvorschriften nach §§ 34, 35 StGB
voraussetzen, bejaht werden kann. Zwar erkennt die Rechtsprechung eine
so genannte Dauergefahr als gegenwärtig an, wenn sich die
Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts so verdichtet hat, dass die
zum Schutz des bedrohten Rechtsgutes notwendigen Maßnahmen
sofort eingeleitet werden müssen, um den Schaden sicher zu
verhindern (BGHSt 48, 255, 259). Dieser Entscheidung lag ein
Sachverhalt zugrunde, bei dem damit zu rechnen war, dass der
Aggressionstäter aus dem Schlaf heraus erwachen und sogleich
zu körperlichen Misshandlungen 12
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schreiten könnte. Demgegenüber ist das Tatgeschehen
hier dadurch gekennzeichnet, dass zwischen dem Entschluss zur
Tötung des Ehemannes und seiner endgültigen Umsetzung
ein Zeitraum von etwa drei Monaten liegt und selbst der letztlich
durchgeführten Erschießung ein Vorbereitungszeitraum
von über einer Woche vorausging. b) Die pauschalen
Ausführungen zum Irrtum, wonach die Angeklagte "subjektiv
keine andere Möglichkeit sah" (UA S. 17) und "nicht erkannt
habe, dass sie die Gefahr auf die vorbezeichnete Weise Erfolg
versprechend abwenden kann" (UA S. 34), erscheinen nicht ausreichend.
Bei der festgestellten Sachlage, bei der die Annahme eines
Putativnotstandes ohnehin fern lag, hätten die behaupteten
irrigen Vorstellungen der Angeklagten näher und konkret
dargelegt werden müssen, damit nachgeprüft werden
kann, ob die vorgestellten Umstände, wenn sie zutreffen
würden, die Annahme einer Notstandslage im Sinne des
§ 35 Abs. 1 StGB rechtfertigen könnten. 13 c) Im
Übrigen lässt die Beweiswürdigung der
Strafkammer zu diesem Punkt eine Auseinandersetzung mit der nahe
liegenden Frage vermissen, ob nicht der wahre Grund für die
Entscheidung der Angeklagten, sich nicht dem Zugriff ihres Ehemannes
durch eine Flucht ins Frauenhaus oder entsprechende
Maßnahmen, etwa nach dem Gewaltschutzgesetz, zu entziehen,
sondern diesen lieber aus dem Wege zu räumen, darin bestand,
dass sie eine weitere Tätigkeit in der bislang mit ihrem
Ehemann betriebenen Eisdiele und ein Verbleiben in der Ehewohnung
sicherstellen wollte. 14 4. Abgesehen von dem oben unter II. 1.
näher dargelegten Vorrang der gesetzlich vorgesehenen
Strafrahmenmilderung nach § 35 Abs. 2 Satz 2 StGB, erscheint
hier die Anwendung der sog. Rechtsfolgenlösung rechtlich
bedenklich. 15
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Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass bei einem
Heimtückemord im Regelfall auf eine lebenslange
Freiheitsstrafe zu erkennen ist und eine Abweichung nur bei
Entlastungsfaktoren, die den Charakter
außergewöhnlicher Umstände aufweisen und
die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als
unverhältnismäßig erscheinen lassen, und
nur auf Grund einer umfassenden Würdigung der Tat
möglich ist (vgl. BGH NStZ 2005, 154; BGHR StGB § 211
Abs. 1 Strafmilderung 5 m. w. N.). Ob nach diesen strengen
Maß-stäben eine umfassende Würdigung unter
Einbeziehung des Tathintergrunds des ehewidrigen Verhältnisses
der Angeklagten mit dem Mitangeklagten F. und der Verstrickung der
Mitangeklagten in schweres Unrecht eine Strafrahmenmilderung
hätte rechtfertigen können, erscheint fraglich.
Tolksdorf Winkler Pfister von Lienen Hubert |