BGH,
Urt. v. 12.7.2000 - 3 StR 70/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 70/00
vom
12. Juli 2000
in der Strafsache gegen
wegen Beihilfe zum Diebstahl
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12.
Juli 2000, an der teilgenommen haben: Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Krefeld vom 8. September 1998, soweit es den Angeklagten
L. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil,
soweit es ihn betrifft, aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Straftaten verurteilt worden ist, die
vor dem 8. August 1992 begangen wurden,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Diebstahl in 45
Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die
Staatsanwaltschaft beanstandet, daß der Angeklagte nicht
wegen gewerbsmäßigen Bandendiebstahls in 45
Fällen verurteilt worden ist. Der Angeklagte rügt die
Verletzung formellen und materiellen Rechts, insbesondere sei ein Teil
der Taten bereits verjährt. Die Verfahrensrüge ist
nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§
344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Rechtsmittel haben in dem aus dem
Urteilstenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach den getroffenen Feststellungen wurden in dem Stahlwerk
K zwischen 1988 und 1997 fortlaufend Edelstahlprodukte in einer
Gesamtmenge von über 4.000 Tonnen entwendet, auf das
Betriebsgelände des Mitangeklagten E. verbracht und von diesem
für über 14 Millionen DM verkauft. Dabei handelte es
sich um Material, das in den betrieblichen Kontrollsystemen nicht oder
nicht in der üblichen Form erfaßt war. Die
Stahlpakete wurden von mitbeteiligten Betriebsangehörigen in
der Firma K mit gefälschten Etiketten und Kennzeichnungen
versehen. Parallel dazu wurden entsprechende Lieferscheine und
Transportpapiere ausgefertigt. Nachdem der Mitangeklagte E. zuvor
entsprechend informiert worden war, holte in seinem Auftrag eine -
nicht in den Tatplan eingeweihte - Spedition unter Verwendung der ihr
mitgegebenen Ladepapiere jeweils Edelstahlmengen im Bereich von bis zu
etwa 25 Tonnen aus dem Stahlwerk ab und brachte sie zu der nur wenige
Kilometer entfernten Firma E. .
In der zweiten Jahreshälfte 1989 wurde der Angeklagte, der dem
Werkschutz angehörte, von seinem früheren Kollegen,
dem Mitangeklagten P. , zu einem Gespräch in das Büro
des Mitangeklagten E. eingeladen. Dieser fragte, ob der Angeklagte
bereit wäre, Fahrzeuge einer Spedition passieren zu lassen,
ohne sie ordnungsgemäß zu verwiegen. Er
erklärte dem Angeklagten, die Fahrer hätten
ordnungsmäßige Ladepapiere, der Abtransport der Ware
solle jedoch nicht registriert werden. P. äußerte
dazu, was E. bestätigte, daß der Leiter des
Werkschutzes, der Mitangeklagte Es. eingeweiht sei und dahinter stehe.
Der Angeklagte stimmte dem Plan zu, unter anderem deshalb, weil ihn das
Geld lockte, das ihm für jeden Lkw-Transport versprochen
wurde, und weil er berufliche Nachteile befürchtete, wenn er
sich gegen seinen Chef wenden und nicht mitmachen würde. In
folgender Weise wirkte er bei 45 monatlich durchgeführten, im
Urteil näher dargestellten Lkw-Transporten in der Zeit von
März 1990 bis November 1993 mit:
Die Diebesfahrten liefen immer in gleicher Weise ab. Der Mitangeklagte
E. hatte aus dem Stahlwerk die Nachricht erhalten, daß eine
oder mehrere Fuhren Edelstahl abgeholt werden können. Er
brachte in Erfahrung, wann der Angeklagte an der Waage Dienst hatte und
verständigte ihn, wann der Lkw kommen werde. Dabei
wählte er möglichst Zeiten, zu denen der Angeklagte
im Wiegebüro alleine den Dienst versah. Der Angeklagte wog den
einfahrenden Lastzug zwar und tippte das Gewicht in einen Computer ein,
löschte den Datensatz jedoch wieder, ohne die Daten an den
Zentralcomputer weiterzugeben. Bei der Rückkehr verfuhr er in
gleicher Weise. Als im Jahre 1991 eine neue Waage mit einem anderen
Computersystem eingerichtet wurde, bei dem das Gewicht des gewogenen
Fahrzeugs sofort im Computer erschien und nicht erst eingegeben werden
mußte, fand er die Möglichkeit heraus, die Daten
nicht weiterzugeben und sie später zu löschen, so
daß es so aussah, als habe das Fahrzeug ohne Ladung das Werk
verlassen. Je nach Gewicht der Ladung erhielt der Angeklagte von dem
Mitangeklagten E. für jede Fuhre 2.000 bis 2.500 DM, insgesamt
mindestens 90.000 DM.
I. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen Beihilfe zum Diebstahl
in 45 Fällen hat keinen Bestand.
1. Das Urteil enthält schon keine genauen Feststellungen dazu,
welche der angeklagten Taten Gegenstand der Verurteilung des
Angeklagten L. sind. Die Anklage hat ihm 78 Lkw-Fuhren Edelstahl
angelastet. Die Strafkammer geht dagegen von 72 solcher, durch
mitgeteilte Listen konkretisierter Fuhren aus und folgt dem
Angeklagten, der angibt, nur an 45 Fällen der Ausschleusung
von Lkw-Fuhren mit Edelstahl beteiligt gewesen zu sein. Sie hat ihn
deshalb wegen Beihilfe zum Diebstahl in 45 Taten verurteilt, die
übrigen Fälle hat sie gemäß
§ 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Um welche der in der Anklage
konkretisierten Fälle es sich dabei im einzelnen handelt, ist
dem Urteil jedoch nicht zu entnehmen, so daß offen bleibt, in
welchen konkreten Fällen der Angeklagte verurteilt ist und in
welchen nicht. Damit fehlt es hinsichtlich der abgeurteilten
Einzeltaten an einem auf eindeutigen Feststellungen beruhendem
Schuldspruch.
2. Aber auch die rechtliche Bewertung der Teilnahme des Angeklagten als
Beihilfe hält rechtlicher Überprüfung nicht
stand. Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe
begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten
Umständen, die von seiner Vorstellung umfaßt sind,
zu beurteilen (BGHSt 37, 289, 291). Wesentliche Anhaltspunkte
können sein der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat,
der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der
Wille zur Tatherrschaft (BGHSt aaO), so daß
Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom
Willen des Betreffenden abhängen (BGHR StGB § 25 II
Mittäter 18 und Tatinteresse 5; BGH NStZ 1995, 285). Eine
solche wertende Betrachtung ist vom Tatrichter in einer vom
Revisionsgericht nachprüfbaren Weise grundsätzlich
für jeden Teilnehmer gesondert vorzunehmen. Das
schließt nicht aus, daß einzelne bei mehreren
Teilnehmern übereinstimmend vorliegende Umstände nur
einmal dargestellt werden und dann auf sie Bezug genommen werden kann.
Es muß jedoch aus den Urteilsgründen zweifelsfrei
erkennbar sein, daß der Tatrichter für jeden
Angeklagten eine eigenständige und gerade seine Strafbarkeit
begründende tatsächliche und rechtliche
Gesamtbetrachtung vorgenommen hat. Diesen Grundsätzen
genügt die rechtliche Würdigung des Landgerichts
nicht.
Zur Strafbarkeit des Angeklagten hat das Landgericht lediglich
ausgeführt, daß es das Tun des Angeklagten L. in
allen abgeurteilten Einzelfällen unter denselben
Gesichtspunkten wie bei dem Mitangeklagten B. nicht als
mittäterschaftliche Teilnahme am Bandendiebstahl, sondern
lediglich als Beihilfe zum Diebstahl nach §§ 27, 242
StGB gewertet hat (UA S. 36). Mangels näherer
Begründung ist nicht nachvollziehbar, wieso das Tun des
Angeklagten in allen abgeurteilten Einzelfällen unter
denselben Gesichtspunkten wie bei B. lediglich als Beihilfe zu werten
sein soll. Denn die Tatbeiträge des Angeklagten unterscheiden
sich signifikant in zahlreichen Punkten von der Tatbeteiligung des
Mitangeklagten B.: Im Gegensatz zum Angeklagten L. , der ohne Druck und
freiwillig sich zur Tatbegehung bereit erklärte, handelte der
Mitangeklagte B. in jedem Einzelfall auf Anweisung des
früheren Mitangeklagten Es. , in dessen persönlicher
Abhängigkeit er - im Gegensatz zu dem Angeklagten - stand.
Anders als der Angeklagte bestanden die Tathandlungen B. s nicht im
Manipulieren der computergestützten Wiege- und
Sicherungssysteme, sondern darin, daß er mit seinem
Firmenwagen vor dem Lkw her- und an den Waagen vorbeifuhr und dem
Wiegepersonal gegenüber dafür jeweils eine falsche
Erklärung abgab. Im Gegensatz zu dem Angeklagten gab es kein
einführendes Gespräch mit dem anderweitig verfolgten
E. , vielmehr sprach der Mitangeklagte B. diesen - unter Druck setzend
- nach sieben bis acht Fahrten von sich aus an. Auch erhielt er
für seine weiteren Tatbeiträge pro Lkw jeweils nur
500 DM, während der Angeklagte L. jeweils 2.000 DM bis 2.500
DM bekam, was schon für sich genommen auf eine andere,
gewichtigere Bedeutung für das Zusammenspiel der an
verschiedenen Stellen im Tatgefüge agierenden Täter
und für das Gelingen der Tat hinweist.
Damit trifft keiner der von dem Landgericht bei dem Mitangeklagten B.
angeführten Gesichtspunkte auf den Angeklagten L. zu, so
daß
- abgesehen davon, daß es an einer wertenden
Gesamtbetrachtung vollständig fehlt - die für die
Bewertung der Tatbeiträge des Angeklagten L. als
Beihilfehandlungen gegebene Begründung, es lägen
"dieselben Gesichtspunkte wie bei B. " vor, in den Feststellungen keine
Stütze findet. Der neue Tatrichter wird deshalb aufgrund einer
umfassenden Betrachtung der Tatbeteiligung des Angeklagten bewerten
müssen, ob Beihilfe oder Täterschaft vorliegt.
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes
hin:
a) Ohne nähere Begründung hat das Landgericht
Beihilfe zum (einfachen) Diebstahl gemäß §
242 StGB angenommen. Es hat nicht ausgeführt, wen es - von
einer Reihe als Täter, Anstifter oder Gehilfen in Betracht
kommender Personen - als Täter dieser Diebstahlstaten
angesehen hat. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe
läßt sich allerdings entnehmen, daß der
Angeklagte gewerbsmäßig gehandelt hat, so
daß zumindest § 243 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 StGB hätte geprüft werden
müssen.
Die Feststellungen legen auch eine Erörterung nahe, ob die
gestohlenen Edelstahlpakete Sachen darstellten, die im Hinblick auf die
obligatorischen Verwiegungen der Lkw´s bei den Ein- und
Ausfahrten unter den hier gegebenen Umständen (u.a. auch durch
die Mitwirkung des Werkschutzes) durch eine Schutzvorrichtung gegen
Wegnahme besonders gesichert waren (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
StGB). Auch hätte insoweit eine Erörterung nahe
gelegen, ob nicht unbenannte besonders schwere Fälle des
Diebstahls vorliegen.
b) Das Landgericht hat die Tatbeiträge des Angeklagten ohne
jegliche Begründung "nicht als mittäterschaftliche
Teilnahme am Bandendiebstahl" gewertet. Abgesehen davon, daß
dann zumindest die Prüfung der Beihilfe zum Bandendiebstahl in
Betracht gekommen wäre, teilt das Landgericht, das
offensichtlich von der Existenz einer Diebesbande ausgegangen ist,
nicht mit, von welchen rechtlichen Voraussetzungen eines
Bandendiebstahls es ausgegangen ist. Als zu prüfende
Vorschriften kommen § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB (n.F.) bzw.
§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Fassung des 1. StrRG in
Betracht und zumindest für die im Jahr 1993 begangenen Taten
§ 244 a StGB, der durch das OrgKG vom 15. Juli 1992 in das
Strafgesetzbuch eingefügt worden ist. Der Senat kann mangels
entsprechender Urteilsausführungen nicht prüfen, ob
das Landgericht eine mögliche Teilnahme des Angeklagten am
Bandendiebstahl zutreffend abgelehnt hat. Der Senat weist im
übrigen darauf hin, daß die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs hierzu in naher Zukunft eine Änderung
erfahren wird (vgl. Anfragebeschluß des Senats vom 22.
Dezember 1999 - 3 StR 339/99, NStZ 2000, 255 mit Anm. Hohmann, S. 255
und Anm. Otto StV 2000, 309; Anfragebeschluß des 4.
Strafsenats vom 14. März 2000 - 4 StR 284/99, JZ 2000, 628 m.
Anm. Engländer). Der Senat wird in dem seiner Anfrage
zugrundeliegenden Verfahren 3 StR 339/99 endgültig am 9.
August 2000 entscheiden, nachdem die übrigen Strafsenate
seiner Rechtsauffassung bei- bzw. nicht entgegengetreten sind.
Der dem hier angefochtenen Urteil zu entnehmende Sachverhalt
drängt zu einer Prüfung des Bandendiebstahls, da
neben dem Angeklagten L. zumindest der Mitarbeiter der Firma K , auch
wenn er dem Angeklagten nicht persönlich bekannt gewesen sein
sollte, der für die Beladung der Lkw´s und die
Ausstattung mit gefälschten Begleitpapieren sorgte, als
Bandenmitglied in Betracht kommt. Da dieses Bandenmitglied sowie der
Angeklagte L. auf dem Betriebsgelände und damit am Tatort
tätig waren und für das Gelingen der Wegnahme bzw.
des endgültigen Gewahrsamsbruchs zu sorgen hatten,
lägen die vom Senat aufgestellten rechtlichen Kriterien
für die Annahme eines Bandendiebstahls vor, ebenso da
zumindest der außerhalb der Firma agierende ehemalige
Mitangeklagte E. als weiteres Mitglied in Betracht kommt,
wären die vom 4. Strafsenat verlangten Voraussetzungen
für die Annahme einer Bande - mindestens drei Bandenmitglieder
- erfüllt.
II. Revision des Angeklagten
Die Revision hat nur in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang
Erfolg.
Das Landgericht hat selbst festgestellt, versehentlich nicht
berücksichtigt zu haben, daß die von dem Angeklagten
vor dem 8. August 1992 begangenen Taten - das sind bei der
festgestellten monatlichen Begehungsweise 30 Taten, wobei zugunsten des
Angeklagten davon auszugehen ist, daß die Tat im August 1992
vor dem 8. August begangen wurde - verjährt sind (UA S. 36).
Eine Einstellung des Verfahrens durch den Senat kam insoweit nicht in
Betracht. Da eine rechtliche Bewertung dieser Taten als
täterschaftlich begangener Bandendiebstahl
gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. bzw.
§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB n.F. nicht ausgeschlossen erscheint,
wäre unter diesen Umständen
Verfolgungsverjährung wegen der dann geltenden
Verjährungsfrist von zehn Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 3
StGB) nicht eingetreten.
Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils
aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten ergeben.
Rissing-van Saan Miebach Winkler Pfister RiBGH von Lienen ist urlaubsbe-
dingt ortsabwesend und deshalb
an der Unterschrift gehindert.
Rissing-van Saan |