BGH,
Urt. v. 13.2.2003 - 3 StR 349/02
3 StR 349/02
BtMG § 30 a Abs. 3
Bei der Anwendung des minder schweren Falles nach § 30 a Abs.
3 BtMG ist die Sperrwirkung der höheren Mindeststrafe eines
verdrängten Tatbestandes wie dem des § 29 a Abs. 1,
§ 30 Abs. 1 BtMG zu beachten, sofern nicht auch insoweit ein
minder schwerer Fall gegeben ist.
BGH, Urt. v. 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02 - LG Hannover
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
13. Februar 2003
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen zu 1.: unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
zu 2.: bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 13.
Februar 2003, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler, Pfister, von Lienen, Hubert als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten K. , Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten
M. und die Revision dieses Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 29. Mai 2002
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte M. des bewaffneten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Ausüben der
tatsächlichen Gewalt über einen verbotenen Gegenstand
schuldig ist und
b) in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten dieser Rechtsmittel, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten K. und die weitergehenden Revisionen
der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten M.
werden verworfen.
3. Der Angeklagte K. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die
durch das zum Nachteil des Angeklagten K.
eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstandenen Kosten und
die insoweit diesem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen
fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Einfuhr von
Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren und den Angeklagten M. wegen "Einfuhr
in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils
in nicht geringer Menge (Heroin und Kokain), und zwar jeweils unter
Mitführen eines Gegenstandes, der nach seiner Art zur
Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist (Schlagring) jeweils
in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz" zu
einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Nach
den Feststellungen haben die Angeklagten gemeinsam mit dem bereits
rechtskräftig verurteilten Mittäter A. 3864,94 g
Heroin und 493,97 g Kokain in den Niederlanden erworben und
über die deutsche Grenze eingeführt, um die Drogen
gewinnbringend weiterzuverkaufen. Dabei hatte der Angeklagte M. ohne
Kenntnis seiner Mittäter einen Schlagring bei sich.
Gegen das Urteil haben die Angeklagten und - zu ihren Ungunsten - auch
die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.
I. Verurteilung des Angeklagten M. :
Die den Angeklagten M. betreffenden Revisionen haben teilweise Erfolg.
1. Der Schuldspruch war zu ändern, da neben bewaffnetem
Handeltreiben eine Verurteilung wegen bewaffneter Einfuhr nicht
möglich ist. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des §
30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG: "wer ... ohne Handel zu treiben,
einführt ..." (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 91). Im übrigen
hat die Nachprüfung des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler
ergeben.
2. Der Strafausspruch hat dagegen keinen Bestand. Denn die Strafkammer
hat infolge eines unrichtigen rechtlichen Ausgangspunktes bei der
Strafzumessung einen falschen Strafrahmen zugrunde gelegt.
Das Landgericht hat ausgeführt, daß der Angeklagte
M. wegen des Mitsichführens eines Schlagringes zwar den
Straftatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erfüllt
habe, daß jedoch wegen der vergleichsweise minderen
Gefährlichkeit dieses Gegenstandes ein minder schwerer Fall
nach § 30 a Abs. 3 BtMG "begründet" sei (UA S. 7).
Dies führe zu einer Anwendung des Tatbestandes des §
30 Abs. 1 BtMG, zumal ein minder schwerer Fall nach § 30 Abs.
2 BtMG nicht gegeben sei.
a) Dieses Vorgehen ist in zweifacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.
Zum einen hat die Strafkammer für die Prüfung, ob ein
minder schwerer Fall nach § 30 a Abs. 3 BtMG gegeben ist,
ersichtlich allein auf die mindere Gefährlichkeit des
Gegenstandes abgestellt und andere Aspekte unberücksichtigt
gelassen. Nach ständiger Rechtsprechung ist für das
Vorliegen eines minder schweren Falles jedoch entscheidend, ob das
gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und
der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der
erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem
so erheblichen Maß abweicht, daß die Anwendung des
milderen Strafrahmens geboten erscheint (vgl. BGHR BtMG § 30
Abs. 2 Wertungsfehler 3). Dies gilt auch für § 30 a
Abs. 3 BtMG.
Zum anderen werden durch die Annahme des schwereren
Qualifikationstatbestandes des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG sowohl
der Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 BtMG als auch die
Qualifikation nach § 30 Abs. 1 BtMG verdrängt. Dies
führt dazu, daß deren Strafrahmen
grundsätzlich auch dann unanwendbar bleiben, wenn ein minder
schwerer Fall nach § 30 a Abs. 3 BtMG angenommen wird (BGHR
BtMG § 30 a Konkurrenzen 2; BGH, Beschl. vom 22. Februar 2000
- 5 StR 1/00).
b) Allerdings darf bei Anwendung des minder schweren Falles nach
§ 30 a Abs. 3 BtMG die Strafe nicht milder sein als nach dem
Strafrahmen der verdrängten Vorschrift des § 30 Abs.
1 BtMG, sofern nicht ausnahmsweise auch die Voraussetzungen eines
minder schweren Falles nach § 30 Abs. 2 BtMG gegeben sind.
Denn beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
steht der Qualifikationstatbestand des bewaffneten Handeltreibens nach
§ 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG in Gesetzeskonkurrenz zum
Grundtatbestand nach § 29 Abs. 1 BtMG ebenso wie zu den
weiteren Qualifikationstatbeständen nach § 29 a Abs.
1 und § 30 Abs. 1 BtMG (Grundsatz der Spezialität,
vgl. Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. vor § 52 Rdn. 84). Bei
Gesetzeskonkurrenz entfaltet jedoch ebenso wie bei Tateinheit
(§ 52 Abs. 2 Satz 2 StGB) das zurücktretende Delikt
eine Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe (st. Rspr.; vgl. BGHSt
1, 152, 156; 8, 46, 52; 19, 188, 189; BGH NStZ 2001, 419; Pfister
NStZ-RR 2000, 358 f.).
Auf diese Weise wird wenigstens bei der unteren Begrenzung des
Strafrahmens der Wertungswiderspruch vermieden, der entstehen
würde, wenn ein Täter des § 30 Abs. 1 BtMG
durch das Beisichführen eines - wenn auch nur
eingeschränkt gefährlichen - Gegenstandes im Sinne
des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 zwar zusätzlich einen
weiteren Qualifikationstatbestand erfüllt, aber bei Anwendung
der Strafrahmenmilderung nach § 30 a Abs. 3 BtMG besser
gestellt werden würde als ein Mittäter, der keinen
solchen Gegenstand bei sich hat.
Das Landgericht hätte daher bei richtigem Vorgehen nach einer
Gesamtabwägung aller erheblichen Faktoren entscheiden
müssen, ob der Normalstrafrahmen des § 30 a Abs. 2
BtMG von fünf bis 15 Jahren Freiheitsstrafe oder der des
minder schweren Falles nach Abs. 3, der allerdings nach unten durch die
Mindeststrafe des § 31 Abs. 1 BtMG begrenzt wird und somit von
zwei bis fünf Jahren reicht, angemessen erscheint. In diese
Abwägung hätte es dabei neben der minderen
Gefährlichkeit des Gegenstandes auch die tatbezogenen
Umstände wie insbesondere Art, Qualität und Menge der
Drogen, Gewicht des Tatbeitrags sowie die täterbezogenen
Aspekte wie Vorstrafen,
Bewährungsversagen, Geständnis,
Aufklärungsbemühungen u. ä. einbeziehen
müssen. Ergeben dabei die straferschwerenden Faktoren,
daß die Tat trotz einer minderen Gefährlichkeit der
Bewaffnung mit dem Strafrahmen des minder schweren Falles nach
§ 30 a Abs. 3 BtMG nicht schuldangemessen geahndet werden
kann, verbietet sich eben dessen Anwendung.
Der Senat verkennt nicht, daß damit der Strafrahmen des
§ 30 a Abs. 3 BtMG nur auf einen schmalen Umfang
beschränkt wird und daß das Fehlen eines Bereiches,
in dem sich beide Strafrahmen überlappen, die Strafzumessung
in Grenzfällen erschwert. Doch ist dies auf die wenig
geglückte Harmonie der Strafrahmen des
Betäubungsmittelstrafrechts zurückzuführen.
Die Strafrahmensituation entspricht der des schweren Raubs nach altem
Recht. Auch diese war als systemwidrig und unbefriedigend empfunden
worden; ihr hat jedoch der Gesetzgeber neben einer Abstufung der
Mindeststrafe nach § 250 Abs. 1 und 2 StGB nF durch eine
angemessene Erhöhung des Strafrahmens für minder
schwere Fälle nach § 250 Abs. 3 StGB nF auf ein bis
zehn Jahre Freiheitsstrafe Rechnung getragen (vgl. amtl. Begr.
BTDrucks. 13/8587 S. 44). Auch bei den
Qualifikationstatbeständen des § 177 StGB in Abs. 3
und 4 ist der Strafrahmen für minder schwere Fälle
auf eine Spanne von einem bis zehn Jahre angehoben worden (§
177 Abs. 5 Halbs. 2 StGB). Eine entsprechende Korrektur könnte
auch bei § 30 a BtMG angezeigt sein.
c) Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des
Strafausspruches auf die zu Ungunsten eingelegte Revision der
Staatsanwaltschaft, aber auch auf die des Angeklagten. Denn es ist nach
Sachlage weder auszuschließen, daß die Strafkammer
bei richtigem Vorgehen den schwereren Strafrahmen des § 30 a
Abs. 2 BtMG angewandt und zu einer höheren Strafe gelangt
wäre, noch daß sie einen minder schweren Fall nach
§ 30 a Abs. 3 BtMG angenommen und somit einen in der
Obergrenze niedrigeren Strafrahmen als den des § 31 Abs. 1
BtMG zugrunde gelegt hätte.
II. Verurteilung des Angeklagten K. :
Die Revision des Angeklagten K. ist zulässig, da die
Rücknahme der Revision durch die unzutreffende Auskunft des
Gerichts veranlaßt worden ist, die Staatsanwaltschaft habe
kein Rechtsmittel eingelegt (vgl. BGH StV 2001, 556). Sein Rechtsmittel
ist jedoch ebenso wie die zu seinem Nachteil eingelegte Revision der
Staatsanwaltschaft offensichtlich unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
Tolksdorf Winkler Pfister von Lienen Hubert |