BGH,
Urt. v. 14.8.2007 - 1 StR 201/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 201/07
vom
14.8.2007
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
14.8.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bayreuth vom 12. Dezember 2006 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den
Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete
Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Anordnung
von Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung
wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Der Angeklagte wurde wegen zwei Verstößen gegen
§ 145a StGB (Strafe je sechs Monate), schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB aF, Strafe
ein Jahr drei Monate), sexuellen Missbrauchs von Kindern (§
176 Abs. 1 StGB, Strafe zwei Jahre sechs Monate) und sexuellen
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Missbrauchs von Jugendlichen in drei Fällen (§ 182
Abs. 1 Nr. 1 StGB, Strafe je ein Jahr neun Monate) zu fünf
Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.
Die unbeschränkte Revision des Angeklagten ist auf die zur
Verurteilung gemäß § 176a Abs.1 StGB
ausgeführte Sachrüge gestützt. Sie bleibt
erfolglos. Die auf die Sachrüge gestützte und auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der
Staatsanwaltschaft wendet sich ausweislich ihrer maßgeblichen
Begründung nur gegen das Absehen von Sicherungsverwahrung. Sie
hat Erfolg.
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I.
1. Der Angeklagte war seit 1987 wegen näher geschilderten
sexuellen Missbrauchs von Kindern - Jungen und Mädchen
zwischen sechs und neun Jahren, die zu ihm Vertrauen hatten, etwa wegen
seiner Beziehungen zu ihren Müttern - zweimal zu zwei Jahren
und einmal zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, zuletzt
wegen Taten von Januar/Februar 1994 durch Urteil vom 9. Mai 1995,
rechtskräftig seit 13. September 1995. Er hat die Strafen
vollständig verbüßt, zuletzt ununterbrochen
bis Ende Februar 2000 über drei Jahre und acht Monate. Er gibt
an, er sei seither ständig in therapeutischer Behandlung.
Näheres war nicht festzustellen, weil er den Therapeuten nicht
von der Schweigepflicht befreit hat. 2002 wurde der Angeklagte, der
unter Führungsaufsicht stand, zu Geldstrafe verurteilt, weil
er entgegen einer Weisung einen Minderjährigen in seine
Wohnung aufgenommen hatte.
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2. Die jetzige Verurteilung beruht auf folgenden Feststellungen:
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a) Entgegen der ihm im Rahmen der Führungsaufsicht erteilten
Weisung, keine Minderjährigen zu beherbergen, hat er:
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- Ende 2003 fünf Kinder oder Jugendliche im Alter zwischen
zwölf und 14 Jahren, darunter den Nebenkläger F. B.
(geboren 9. Februar 1989) und dessen Schwester, die
Nebenklägerin M. B. (geboren 19. Oktober 1991) bei sich in der
Wohnung übernachten lassen, die dabei „in
erheblichem Maß Alkohol“ tranken, jedenfalls M. B.
war betrunken;
- im Sommer 2004 zwei Jungen im Alter von 13 und 13 oder 14 Jahren, die
von zu Hause ausgerissen waren, bei sich schlafen lassen.
b) Der Angeklagte hatte, über den genannten Fall hinaus,
dafür gesorgt, dass die genannte Gruppe über Jahre
nahezu täglich bei ihm war. Man konnte „rauchen,
fernsehen, essen, spielen“, aber auch alkoholische
Getränke trinken. Bei Gaststättenbesuchen zahlte er
alles und finanzierte etwa M. B. das Spielen an Automaten. Immer wieder
gab er sich als Onkel oder Vater der Nebenkläger aus. Er
entschuldigte M. B. in der Schule als krank, obwohl sie gesund war. In
diesem Rahmen kam es zu folgenden Straftaten:
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(1) Im September 2003 umarmte er M. B. und streichelte sie in der
Absicht, sich sexuell zu erregen, über der Kleidung (T-Shirt)
an der Brust.
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(2) Im August oder September 2004 weckte er M. B. , die sich in seiner
Wohnung wegen starker Trunkenheit schlafen gelegt hatte, und forderte
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sie auf, sein entblößtes Glied in die Hand zu
nehmen. Sie wollte erst nicht, als er aber drohte, sie und ihre Familie
„kaputt“ zu machen, rieb sie sein Glied bis es
steif war.
(3) Ab Mitte September 2004 nahmen im Abstand allenfalls weniger Wochen
in drei Fällen F. B. und der Angeklagte jeweils gegenseitig
Handverkehr bis zum Samenerguss vor. Wie jeweils vorher vereinbart,
wurde F. B. hinterher belohnt, zweimal mit Geld - einmal 50 und einmal
etwa 40 Euro -, einmal mit Playstationspielen.
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II.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Näher
auszuführen ist dies nur zur Verurteilung
gemäß § 176a Abs.1 Nr. 4 StGB aF.
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1. Die - inzidente - Annahme einer i. S. d. § 184f StGB
erheblichen sexuellen Handlung ist nicht zu beanstanden.
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a) Ob eine sexuelle Handlung erheblich ist, richtet sich nach dem Grad
ihrer Gefährlichkeit für das betroffene Rechtsgut
(BGH NStZ 1992, 432; Hörnle in MüKom § 184f
Rdn. 19 m.w.N.). §§ 176, 176a StGB schützen
die Möglichkeit ungestörter sexueller Entwicklung von
Kindern (BGHSt 45, 131, 132; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl.
§ 176 Rdn. 2 m.w.N.). Schon deshalb ist eine sexuell
getönte Handlung gegenüber einem Kind eher erheblich
als gegenüber einem Erwachsenen (BGH NStZ 1999, 45;
Hörnle aaO Rdn. 26 m.w.N.). Die Annahme, das Streicheln der -
auch (hier nur mit einem T-Shirt) bekleideten - Brust eines Kindes sei
erheblich, liegt regelmäßig nahe (vgl.
Hörnle aaO Rdn. 28 m.w.N.). Anhaltspunkte für eine
Ausnahme sind nicht ersichtlich:
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b) Sie ergeben sich nicht aus Art, Intensität und Dauer der
Handlung (BGH NStZ 1992, 432). Der Angeklagte hat das Kind nicht nur an
der Brust gestreichelt, sondern es auch umarmt. Seine Einlassung, er
habe es allenfalls bei einer „Kissenschlacht“ an
der Brust berührt, ist rechtsfehlerfrei widerlegt.
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c) Auch aus den Beziehungen der Beteiligten oder der vom Angeklagten
geschaffenen Atmosphäre (vgl. BGH NStZ 1992, 432, 433) ergeben
sich keine für ihn günstige Gesichtspunkte. Er hat
sich bei M. , wie bei den anderen Kindern und Jugendlichen, eine
Vertrauensposition geschaffen und sie zugleich z.B. durch Alkohol,
Nikotin, Glücksspiel und auch falsche Entschuldigung in der
Schule letztlich korrumpiert. Wegen dieses Rahmens ist eine sexuelle
Handlung aber offenbar nicht weniger erheblich.
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d) Soweit bei der Strafzumessung diese Handlung als nicht
„sehr“ erheblich bewertet ist, ist nur zutreffend
zum Ausdruck gebracht, dass auch bei Handlungen von einiger
Erheblichkeit (§ 184f StGB) bei der Gewichtung des
Schuldvorwurfs für solche Differenzierungen Raum ist.
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2. Auch die Voraussetzungen von § 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB aF
liegen vor.
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a) Die Revision meint, weil § 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB aF -
eingeführt 1998 (BGBl. I S. 164) - bei Begehung der 1995
abgeurteilten Taten noch nicht galt, hätte der Angeklagte
nicht wegen dieses Urteils gemäß § 176a
Abs. 1 Nr. 4 StGB aF bestraft werden dürfen (Art. 103 Abs. 2
GG, „nulla poena sine lege"). Dies trifft nicht zu. Bei
Begehung einer Tat muss ihre Strafbarkeit feststehen, nicht die
Auswirkung ihrer Aburteilung auf die Aburteilung künftiger wei-
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terer Straftaten. Daher kann auch ein Urteil wegen einer vor
Einführung von § 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB aF begangenen
Tat zu einer Verurteilung nach dieser Bestimmung führen (so im
Ergebnis auch BGH NStZ 2002, 198, 199).
b) Da der Angeklagte zwischen 1996 und 2000 inhaftiert war, bleibt
§ 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB aF gemäß
§ 176a Abs. 5 Satz 1 StGB aF anwendbar, obwohl zwischen Tat
(2003) und früherem Urteil (1995) mehr als fünf Jahre
lagen. Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob die Frist des §
176a Abs. 1 Nr. 4 StGB aF mit Erlass des früheren Urteils
begann (Tröndle/Fischer aaO § 176a Rdn. 2) oder nicht
vielmehr mit dessen Rechtskraft (Roggenbuck in LK 11. Aufl.
<Nachtr.> § 176a Rdn. 5; so auch jetzt eingehend
Labitzky, Die Strafrahmenschärfung bei Rückfall nach
§ 176a Abs.1 StGB S. 146 ff.).
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Rückfallverjährung könnte dagegen vorliegen,
wenn die Tat, wie die meisten hier abgeurteilten Taten, erst 2004
begangen wäre. Die Auffassung, dies sei nicht
auszuschließen, teilt der Senat nicht. Die
Urteilsgründe stellen 2003 als Tatjahr wiederholt klar fest.
Sämtliche Feststellungen zu den Taten z. N. von M. B. beruhen
im Kern auf deren Aussagen, die die (sachverständig beratene)
Strafkammer rechtsfehlerfrei für glaubhaft hält.
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c) Anhaltspunkte dafür, dass die frühere Verurteilung
keine Warnfunktion entfaltet hätte, ohne dass dies dem
(uneingeschränkt schuldfähigen) Angeklagten
vorzuwerfen wäre (vgl. BGH NStZ 2002, 198, 199 m.w.N.), gibt
es nicht.
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d) Bei der Strafzumessung sind die drei einschlägigen
Vorstrafen zu vollständig verbüßten
langjährigen Freiheitsstrafen insgesamt
strafschärfend erwogen. Während dies hinsichtlich der
beiden ersten Vorstrafen offensichtlich unbedenklich ist, kann die
Berücksichtigung der Vorstrafe, die erst zu einer Verur-
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teilung gemäß § 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB aF
(statt gemäß § 176 StGB) führt,
gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen (BGH aaO). Eine
solche Vorstrafe ist aber bei der Strafzumessung dann nicht ohne jedes
Gewicht, wenn ihr eine besonders hohe Warnwirkung zukommt (BGH aaO).
Dies ist der Fall, wenn, wie hier, der Täter damals zu
mehrjähriger und vollständig
verbüßter Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
Hinsichtlich der übrigen Taten und der Gesamtstrafe sind
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten weder konkret behauptet noch
ersichtlich.
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III.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Das Absehen von
Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) hält rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
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1. Die Strafkammer hat die formellen Voraussetzungen von § 66
Abs. 1 StGB und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zutreffend verneint,
die von § 66 Abs. 2 StGB dagegen zutreffend bejaht. Soweit sie
auch die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB
bejaht hat, trifft dies nicht zu. Der Angeklagte wurde hier nicht zu
zwei Einzelstrafen von mindestens zwei Jahren verurteilt.
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2. Die Strafkammer hat einen Hang i. S. d. § 66 Abs. 1 Nr. 3
StGB nicht zutreffend verneint.
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a) Dabei verkennt sie nicht, dass ein Hang wiederholte Straftaten auf
Grund eines eingeschliffenen Verhaltensmusters voraussetzt. Es muss
eine auf charakterlicher Anlage beruhende oder durch Übung
erworbene Neigung zu
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Rechtsbrüchen vorliegen, die den Täter immer wieder
straffällig werden lässt (st. Rspr., vgl. d. Nachw.
b. Tröndle/Fischer aaO § 66 Rdn. 18).
b) Dies wird verneint. Eine eingeschliffene Verhaltensschablone bei den
Sexualpraktiken des Angeklagten sei nicht erkennbar. Solche Schablonen
seien durch „abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz,
durch Ausbau des Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese
Praktiken“ gekennzeichnet. All dies liege nicht vor. Obwohl
er über Jahre nahezu täglich Gelegenheit zu
Sexualstraftaten gehabt hätte, sei es
„nur“ zu fünf Sexualstraftaten zum
Nachteil der Nebenkläger gekommen. Zunehmendes Raffinement sei
nicht zu erkennen, auch seien die sexuellen Handlungen nicht intensiver
geworden und seien seine früheren Opfer jünger
gewesen. So sei er früher etwa wegen Analverkehrs und
häufigem wechselseitigen Oralverkehrs mit einem neun Jahre
alten Jungen verurteilt worden.
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c) All dem liegt ein rechtlich unzutreffender Maßstab zu
Grunde. Liegen die von der Strafkammer genannten Verhaltensschablonen
bei einem Sexualstraftäter vor, so sind dies Anhaltspunkte
für eine schwere (andere) seelische Abartigkeit i. S. d.
§§ 20, 21 StGB (BGH, Beschl. vom 10. Oktober 2000 - 1
StR 420/00 = NStZ 2001, 243, 244 mit zust. Anmerkung Nedopil aaO 474;
zu erheblich verminderter Schuldfähigkeit bei Sexualstraftaten
vgl. auch BGH NStZ 1998, 30). Typische oder notwendige Merkmale eines
Hangs sind sie nicht, ihr Fehlen spricht nicht gegen einen Hang.
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3. Da die Strafkammer demnach von einem rechtlich schon im Ansatz nicht
tragfähigen Maßstab ausgeht, können die
hierauf aufbauenden einzelnen Erwägungen nicht
tragfähig sein. Teilweise bestehen gegen diese
Erwägungen auch im übrigen Bedenken.
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(1) Liegen die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 StGB
vor, so kann nach gesetzlicher Wertung schon allein aus den
abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein. Es versteht sich daher
nicht von selbst, dass es maßgeblich gegen einen Hang
sprechen kann, wenn der Täter nicht früher, nicht
öfter oder nicht intensiver straffällig wurde.
Außerdem übersieht der Hinweis auf die nicht
zunehmende „Frequenz“ der Taten, dass es ab
August/September 2004 in kurzem Abstand zu vier Taten kam.
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(2) Ebenso wenig versteht sich von selbst, dass (zu Recht
strafschärfend bewertete, einschlägige) Vorstrafen
maßgeblich gegen einen Hang sprechen können.
Jedenfalls spricht aber ein Vergleich des Alters der jetzigen (elf bis
15 Jahre) und der früheren Opfer (sechs bis neun Jahre) so
wenig gegen einen Hang zu Sexualdelikten an Kindern und Jugendlichen
wie ein Vergleich der Praktiken bei den jetzigen
(hauptsächlich Handverkehr) und den früheren Taten
(z. B. Anal- und Oralverkehr).
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4. Nicht rechtsfehlerfrei sind auch die Erwägungen zur
„Gefährlichkeit des Angeklagten … auf
Grund der Erheblichkeit der Straftaten“.
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a) Die Strafkammer stellt unter anderem darauf ab, der Angeklagte habe
keine körperliche Gewalt angewandt. Dann wäre er aber
auch noch der sexuellen Nötigung (§ 177 StGB)
schuldig. Dass dies nicht der Fall ist, kann ihm bei der
Rechtsfolgenbestimmung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (bzw.
Jugendlichen) nicht zugute kommen (vgl. BGH b. Miebach NStZ 1998, 132;
Renzikowski in MüKom § 176 Rdn. 67), auch nicht bei
der Prüfung von § 66 StGB (BGH NStZ 2007, 464, 465).
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b) Die Erwägung, die Nebenkläger hätten
keine Angst vor dem Angeklagten gehabt, ist in tatsächlicher
Hinsicht undifferenziert. M. B. wurde erst durch seine Drohung, er
mache sie und ihre Familie „kaputt“, zu einer
sexuellen Handlung veranlasst. Im Übrigen liegt die
Gefährlichkeit von Taten gegen §§ 176, 176a
StGB in der Beeinträchtigung der ungestörten
Entwicklung von Kindern. Diese Gefahr ist nicht geringer, wenn die Tat
nicht auf Angst des Kindes beruht, sondern z. B. auf manipulativem
Missbrauch einer Vertrauensstellung. Hinsichtlich § 182 Abs. 1
Nr. 1 StGB gilt hier Entsprechendes. Der Jugendliche soll davor
geschützt werden, sexuelle Handlungen als käuflich zu
erfahren (BGHSt 42, 51, 54) und es soll verhindert werden, dass die
sexuelle Selbstbestimmung des Jugendlichen, der - nahe liegend aus
Unreife - seine materielle Lage verbessern will, manipuliert wird (vgl.
BGH aaO; Tröndle/ Fischer aaO § 182 Rdn. 10).
Fehlende Angst vor dem Erwachsenen, der für sexuelle
Handlungen bezahlt, spricht also nicht für eine geringe
Gefährlichkeit dieser Taten.
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c) Schließlich erwägt die Strafkammer, bei den
Nebenklägern seien zurzeit keine seelischen Schäden
feststellbar, was aber auf Verdrängung beruhen und sich daher
noch ändern könne.
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Seelische Schäden bei Kindern oder Jugendlichen durch
Sexualstraftaten sind oft nur schwer festzustellen oder hinsichtlich
künftiger Taten zu prognostizieren. Die „namentlich
- Klausel“ in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB belegt jedoch,
dass Sicherungsverwahrung auch in derartigen Fällen
möglich ist. Auch die allgemeine und abstrakte
Gefährlichkeit von Delikten kann Grundlage von
Sicherungsverwahrung sein (BGH NJW 2000, 3015; Hanack in LK 11. Aufl.
§ 66 Rdn. 103, 139 ff. m. N.). Es genügt daher, wenn
die in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB genannten Schäden
für die (begangenen und zu erwartenden) Taten typisch sind,
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auch wenn ihr konkreter Eintritt nicht exakt feststellbar ist. Dies ist
hier der Fall. Psychische Beeinträchtigungen sind typische
Folgen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen (vgl.
zusammenfassend Tröndle/ Fischer aaO § 176 Rdn. 36
m.w.N.; zu seelischen Schäden bei Jugendlichen durch das
Erleben eigener Käuflichkeit vgl. BGH NStZ 2001, 28, 29).
5. Nach alledem muss über Sicherungsverwahrung neu entschieden
werden: Zwar kann der Tatrichter nach seinem vom Revisionsgericht nur
begrenzt überprüfbaren Ermessen von
Sicherungsverwahrung auch absehen, wenn alle Voraussetzungen von
§ 66 Abs. 2 StGB vorliegen (BGH NStZ 2007, 464 m.w.N.). Hier
hat die Strafkammer jedoch schon Hang und Gefährlichkeit
verneint. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Strafkammer dies bei
zutreffenden Maßstäben anders beurteilt und unter
Abwägung aller Erkenntnisse Sicherungsverwahrung angeordnet
hätte.
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6. Die Urteilsaufhebung wegen unterbliebener Sicherungsverwahrung
führt hier nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs
gemäß § 301 StPO. Es ist nicht ersichtlich,
dass das Absehen von Sicherungsverwahrung zu höherer Strafe
geführt haben könnte.
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Nack Wahl Boetticher
Hebenstreit Graf |